Was würde die Ente sagen?
Verfasst: 17.06.2006, 17:39
In der Elbe schwimmt eine Ente. Die Ente ist Gott. Wenn Gott „Andorra“ am Hamburger Schauspielhaus gesehen hätte, würde sie denken: Menschen doof!
Damit aber läge sie nur fast richtig. Denn: Menschen doof – Tina Lanik mehr doof!
Schon die Vorberichte ließen die Ente erschaudern. Für Regisseurin Tina Lanik ist Andri, der Protagonist in Frischs „Andorra“, „ein Ausgegrenzter, ein Unterdrückter und damit prädestiniert für eine Terroristenkarriere". Das Kreieren dieser neuen Kernaussage ist für Lanik umso praktischer, da sie das Stück bereits in der Schule langweilte und überhaupt: „Natürlich tun schlechte Kritiken weh, man weiß schließlich selbst, ob etwas gut ist oder nicht.“
(Quelle: http://www.welt.de/data/2006/03/15/859927.html )
Dieser Logik folgend ist „Andorra“ ein schlechtes Theaterstück, das nur auf Laniks Modernisierung gewartet hat…und dieser Verriss ist selbstverständlich sinnlos…
Zunächst das Positive (zähneknirschend, aber kurz): Die Enge des Andorranischen Denkens wird im Bühnenbild symbolisiert durch eine Reihe von Stegen, die für die Figuren vorgegebene Wege darstellen. Und gleich die erste Einstellung sitzt: Die Andorraner stehen schweigend an verschiedenen Stellen auf der Bühne, während ihre Gedanken per Lautsprecher eingespielt werden. Dieses Motiv wird aber im Verlaufe des Stücks leider nicht mehr aufgegriffen und verpufft so ziemlich schnell.
Außerdem gibt es immerhin einen Schauspieler, der stellenweise positiv auffällt: Der Lehrer Can, Andris Vater, vermag seiner Figur in manchen Momenten Intensität durch glaubwürdiges Spiel zu verleihen.
Widmen wir uns aber nun im Auftrag der Ente messerschärfend unserem Hauptauftrag…
Beginnen wir doch gleich beim Hauptdarsteller. Thiemo Strutzenberger legt seinen Andri laut, heftig, fast ständig brüllend und ohne Sinn für Zwischentöne an. Durch die gleichförmige Betonung seiner Sätze, die von wilden Schreianfällen unterbrochen werden und durch einen meist nicht allzu intelligenten Gesichtsausdruck wirkt Andri in vielen Szenen, als sei er geistig behindert. Manche Szenen, wie die Begegnung mit seiner Mutter (Marlen Diekhoff) geraten so zum großen Lacherfolg. Ebenso deplaziert erscheint aus dem selben Grund der Vergleich des Priesters von Andri mit Spinoza und Einstein.
Darin liegt dann auch schon ein grundlegender Mangel dieser Inszenierung. Denn ein nicht ernstzunehmender Hauptdarsteller kann nicht das Zentrum eines Stücks verkörpern.
Aber auch die anderen Darsteller machen ihre Sache keinesfalls besser: Das Brüllen haben sie sich von Andri abgeguckt und tragen marktschreierisch ihren Text vor. Besonders schlecht kommen dabei der Doktor (völlig überzeichnet), der Priester (der wirkt als würde er Andri nicht nur aus christlichen Erwägungen lieben), die Senora (grinst leicht debil und verabschiedet sich relativ beschwingt von dem Sohn den sie Jahre lang nicht sah), die Mutter (die vielleicht über eine geringere Valium-Dosis nachdenken sollte) und der Tischler (dessen kunstturnerische Stuhlprobe nervenzerrende 4 Minuten in Anspruch nimmt) weg.
Die Figur des Jemand wurde ganz gestrichen und der Wirt darf nur noch 4 Sätze sprechen. Barblin und der Soldat machen ihre Sache in keiner Weise herausragend, aber heben sich schon durch den Verzicht auf grobe schauspielerische Schnitzer vom übrigen Ensemble ab.
Konsequenz dieser darstellerischen Minusleistungen ist eine völlig fehlende Identifikation mit den Figuren des Stücks. Man fühlt nicht mit ihnen – man betrachtet sie nur und denkt: Was würde die Ente sagen?
Bestimmt würde sie sagen: Die Qualität der Regiearbeit steht der der Schauspieler in nichts nach. Und das ist hier durchaus eine Drohung…
Keine Judenschau, keine Einzelrechtfertigungen der Figuren, kein Weißeln – überhaupt ist mindestens das halbe (übrigens nicht besonders umfangreiche) Stück der Streichwut Laniks zum Opfer gefallen. Der übrig gebliebene Text wird dafür möglichst oft wiederholt – immerhin schulklassenfreundlich plakativ.
Apropos Schulklassen: Mitunter wirkte es, als versuche Lanik aus dem Stück eine Komödie zu machen, was zwei Konsequenzen hatte:
a) ein völliges Fehlen von jeder Beklemmung
b) die Schulklassen hinter uns hatten ihren Spass. Voll cooles Stück.
Angesichts dieser „Gesamtleistung“ wirkt es beinahe erbsenzählerisch auf schlichte Regiefehler hinzuweisen: So brüllt Andri hingebungsvoll „Rühr mich nicht an“, obwohl der Priester noch 5 Meter von ihm entfernt steht oder er fragt diesen „Warum lachst du?“, obwohl dessen Gesicht unbeweglich ist wie ein Stück Holz.
Ach ja, die pseudo-intellektuellen Videoeinspielungen ohne jeden ersichtlichen Zusammenhang zum Stück (Pflanzen, Strand, düsteres Gebäude) passen ebenfalls genau ins Bild.
Am Schluss stürzt Andri schließlich schreiend von der Bühne (vermutlich hält er es nicht mehr aus), während Barblin seine Kleider anzieht, leicht verwirrt in seine Rolle schlüpft und das Publikum ansteckte – das Licht ging aus, wieder an und es dauerte quälend lange Sekunden bis zum (leider frenetischen) Schlussapplaus.
Ein wirklich nur mit viel Schokolade zu ertragendes Stück war zu Ende gegangen – aber wir hatten den Gang zur Ente noch vor uns…
Khadija und Ham
Damit aber läge sie nur fast richtig. Denn: Menschen doof – Tina Lanik mehr doof!
Schon die Vorberichte ließen die Ente erschaudern. Für Regisseurin Tina Lanik ist Andri, der Protagonist in Frischs „Andorra“, „ein Ausgegrenzter, ein Unterdrückter und damit prädestiniert für eine Terroristenkarriere". Das Kreieren dieser neuen Kernaussage ist für Lanik umso praktischer, da sie das Stück bereits in der Schule langweilte und überhaupt: „Natürlich tun schlechte Kritiken weh, man weiß schließlich selbst, ob etwas gut ist oder nicht.“
(Quelle: http://www.welt.de/data/2006/03/15/859927.html )
Dieser Logik folgend ist „Andorra“ ein schlechtes Theaterstück, das nur auf Laniks Modernisierung gewartet hat…und dieser Verriss ist selbstverständlich sinnlos…
Zunächst das Positive (zähneknirschend, aber kurz): Die Enge des Andorranischen Denkens wird im Bühnenbild symbolisiert durch eine Reihe von Stegen, die für die Figuren vorgegebene Wege darstellen. Und gleich die erste Einstellung sitzt: Die Andorraner stehen schweigend an verschiedenen Stellen auf der Bühne, während ihre Gedanken per Lautsprecher eingespielt werden. Dieses Motiv wird aber im Verlaufe des Stücks leider nicht mehr aufgegriffen und verpufft so ziemlich schnell.
Außerdem gibt es immerhin einen Schauspieler, der stellenweise positiv auffällt: Der Lehrer Can, Andris Vater, vermag seiner Figur in manchen Momenten Intensität durch glaubwürdiges Spiel zu verleihen.
Widmen wir uns aber nun im Auftrag der Ente messerschärfend unserem Hauptauftrag…
Beginnen wir doch gleich beim Hauptdarsteller. Thiemo Strutzenberger legt seinen Andri laut, heftig, fast ständig brüllend und ohne Sinn für Zwischentöne an. Durch die gleichförmige Betonung seiner Sätze, die von wilden Schreianfällen unterbrochen werden und durch einen meist nicht allzu intelligenten Gesichtsausdruck wirkt Andri in vielen Szenen, als sei er geistig behindert. Manche Szenen, wie die Begegnung mit seiner Mutter (Marlen Diekhoff) geraten so zum großen Lacherfolg. Ebenso deplaziert erscheint aus dem selben Grund der Vergleich des Priesters von Andri mit Spinoza und Einstein.
Darin liegt dann auch schon ein grundlegender Mangel dieser Inszenierung. Denn ein nicht ernstzunehmender Hauptdarsteller kann nicht das Zentrum eines Stücks verkörpern.
Aber auch die anderen Darsteller machen ihre Sache keinesfalls besser: Das Brüllen haben sie sich von Andri abgeguckt und tragen marktschreierisch ihren Text vor. Besonders schlecht kommen dabei der Doktor (völlig überzeichnet), der Priester (der wirkt als würde er Andri nicht nur aus christlichen Erwägungen lieben), die Senora (grinst leicht debil und verabschiedet sich relativ beschwingt von dem Sohn den sie Jahre lang nicht sah), die Mutter (die vielleicht über eine geringere Valium-Dosis nachdenken sollte) und der Tischler (dessen kunstturnerische Stuhlprobe nervenzerrende 4 Minuten in Anspruch nimmt) weg.
Die Figur des Jemand wurde ganz gestrichen und der Wirt darf nur noch 4 Sätze sprechen. Barblin und der Soldat machen ihre Sache in keiner Weise herausragend, aber heben sich schon durch den Verzicht auf grobe schauspielerische Schnitzer vom übrigen Ensemble ab.
Konsequenz dieser darstellerischen Minusleistungen ist eine völlig fehlende Identifikation mit den Figuren des Stücks. Man fühlt nicht mit ihnen – man betrachtet sie nur und denkt: Was würde die Ente sagen?
Bestimmt würde sie sagen: Die Qualität der Regiearbeit steht der der Schauspieler in nichts nach. Und das ist hier durchaus eine Drohung…
Keine Judenschau, keine Einzelrechtfertigungen der Figuren, kein Weißeln – überhaupt ist mindestens das halbe (übrigens nicht besonders umfangreiche) Stück der Streichwut Laniks zum Opfer gefallen. Der übrig gebliebene Text wird dafür möglichst oft wiederholt – immerhin schulklassenfreundlich plakativ.
Apropos Schulklassen: Mitunter wirkte es, als versuche Lanik aus dem Stück eine Komödie zu machen, was zwei Konsequenzen hatte:
a) ein völliges Fehlen von jeder Beklemmung
b) die Schulklassen hinter uns hatten ihren Spass. Voll cooles Stück.
Angesichts dieser „Gesamtleistung“ wirkt es beinahe erbsenzählerisch auf schlichte Regiefehler hinzuweisen: So brüllt Andri hingebungsvoll „Rühr mich nicht an“, obwohl der Priester noch 5 Meter von ihm entfernt steht oder er fragt diesen „Warum lachst du?“, obwohl dessen Gesicht unbeweglich ist wie ein Stück Holz.
Ach ja, die pseudo-intellektuellen Videoeinspielungen ohne jeden ersichtlichen Zusammenhang zum Stück (Pflanzen, Strand, düsteres Gebäude) passen ebenfalls genau ins Bild.
Am Schluss stürzt Andri schließlich schreiend von der Bühne (vermutlich hält er es nicht mehr aus), während Barblin seine Kleider anzieht, leicht verwirrt in seine Rolle schlüpft und das Publikum ansteckte – das Licht ging aus, wieder an und es dauerte quälend lange Sekunden bis zum (leider frenetischen) Schlussapplaus.
Ein wirklich nur mit viel Schokolade zu ertragendes Stück war zu Ende gegangen – aber wir hatten den Gang zur Ente noch vor uns…
Khadija und Ham