Wohin? Weiß ich´s?

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
gelbsucht
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Wohin? Weiß ich´s?

Beitragvon gelbsucht » 27.04.2003, 02:53

Woyzeck
Schauspiel von Georg Büchner

Inszenierung von Paul Plamper
Gesehen im Forum Freies Theater, Düsseldorf

Mir fällt auf, ich hab noch nie eine Theaterkritik geschrieben. Und auch dieses Forum hat bisher nur Filmrezensionen gesehen. Also ist's an der Zeit und ich trau mich mal.

Im ersten Jahr der Oberstufe ist mir Woyzeck zum ersten mal begegnet und seitdem kann ich ihn nicht vergessen. Das Stück ist sehr fragmentarisch, den Text, knapp 20 Seiten, liest man in einer Stunde und vielleicht gerade deshalb, bietet es viel Raum für Interpretation, viel Raum für eigene Gedanken. Die Welt, die Büchner uns in seinem Woyzeck vorführt, ist eng, beklemmend eng, unmenschlich, bedrohlich, pessimistisch. Woyzeck ist eigentlich kein Handelnder, kein Bühnencharakter im eigentlichen Sinn, sondern ein Behandelter. Ein Versuchsobjekt, ein Befehle Entgegennehmender, ein Erniedrigter, ein Betrogener. Am Ende ein Mörder, und trotzdem fällt es nicht schwer, selbst dann in ihm eher das Opfer als den Täter zu erkennen.

Mit sehr viel Licht und sehr viel Musik wartet Paul Plamper in seiner Inszenierung des Stoffes auf. Woyzeck goes Pop. Im Vordergrund sitzt DJ Max'well Smart und arrangiert Musik und Videosequenzen. Die Schauspieler hasten ständig zwischen Bühne und einem Hinterzimmer hin und her, dessen Innenleben über zwei Videokameras direkt auf die Bühne projiziert wird. Big Brother, na klar. Immer wieder Gesangseinlagen, ein bisschen Hiphop hier, ein bißchen Techno da. Alles sehr zeitgemäß. Und vielleicht etwas zu viel Effekt und Farbe für so eine kleine Aufführung. Alles, was mit der grellen und lärmenden Kulisse kollidiert, wurde am Text reduziert und konsequenterweise gesampelt und neu zusammengefrickelt. Über die schauspielerische Leistung muss man nicht viel sagen, denn sie ist in dieser Multimediashow Nebensache.

Der Fernsehraum in einer Psychiatrie, die Patienten schauen MTV, die Ärzte rekrutieren ab und zu jemand für ethisch bedenkliche Tests – darauf könnte man es reduzieren. Woyzeck als neurotisches Versuchkaninchen in einem Experiment mit fragwürdiger Aussicht auf wissenschaftlichen Nutzen. Ständig bevormundet, ständig kontrolliert, ständig beobachtet. Also mit Berechtigung paranoid. Der Idee, die schäbige und schaurig sinnlose Welt des Büchnertextes in den grellen Glanz und Glamour unserer Popkultur zu verlagern, kann man sicherlich noch etwas abgewinnen. Wenn uns das ganze dann aber noch als psychiatrischer Labskaus mit philosophisch-gesellschaftskritischem Anspruch serviert wird, ist Vorsicht geboten. Dieser Mix ist nicht wirklich der Stoff für letztlich unterhaltsames und zum Nachdenken anregendes Theater.

Jetzt will ich zum Schluss noch etwas gutes sagen über das Stück. Stefan Kolosko als Woyzeck. Dass der Abend sich dennoch gelohnt hat, ist allein seiner schauspielerischen Leistung zu verdanken. Nicht von all der Musik, den Installationen, den Videoclips lebt das Stück, sondern von seinem Auftritt. Und die Rolle des Hauptmanns mit einer Frau zu besetzten, das allerdings ist ein kleiner Geniestreich des Regisseurs.
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

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