Ballet, martialisch

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
gelbsucht
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Ballet, martialisch

Beitragvon gelbsucht » 15.06.2003, 02:30

"Hero"
Hongkong/China 2003
Originaltitel: Ying xiong
Regie: Zhang Yimou
Hauptdarsteller:
Chen Dao Ming
Maggie Cheung Man-Yuk
Tony Leung Chiu-Wai
Donnie Yen
Jet Li

Der Irrealismus im Kino ist erschreckend, mögen die Filme nun "Matrix reloaded" heißen oder "Hero". Die Gesetze der Schwerkraft sind aufgehoben. Die Helden wirbeln durch die Luft, preschen durch die Stadt wie Amok-Kampfflieger oder hüpfen übers Wasser, wie es Jesus höchstpersönlich nicht besser vollbracht hätte. Nie war Kino phantastischer, lächerlicher und unglaubwürdiger. Wo die Geschichten ausgehen, fängt die Tricktechnik an, wo nichts zu sagen bleibt, beginnt die Materialschlacht. Wenn ich dann sehe, was für ein dämliches Gesicht Keanu Reeves in den Kampfszenen des zweiten Teils der Matrix-Saga vor lauter Anstrengung macht oder höre, dass Carrie-Anne Moss keinen Bock mehr hat, in einem vierten Teil mitzuspielen, weil sie sich beim Dreh zu den Kampfszenen in "Reloaded" und "Revolutions" mehrere Rippen gebrochen hat, dann versöhnt mich das wieder ein bisschen und ich sage mir: Da siehst du, wie kostbar ein Quäntchen Phantasie ist. Vor allem kostet sie dich keine 200 Millionen Dollar. :-D

Obwohl ich kein Fan des Genres bin, glaube ich dennoch, dass der Film "Hero" sehenswert ist. Zwar spielen die unrealistischen und sehr ästhetischen Kampfszenen eine entscheidende Rolle, aber dabei hat der Regisseur nicht vergessen, dem Kinozuschauer eine Geschichte zu erzählen. Ein namenloser Held tritt vor den König Qin, er soll drei gefährliche Attentäter beseitigt haben, und der König würde gern erfahren, wie er das zustandegebracht hat, wo er doch selbst stets gescheitert ist, sie festnehmen oder töten zu lassen. Niemand darf sich dem König bis auf 100 Meter nähern, heißt es. Wegen seiner Verdienste, darf der Namenlose sich bis auf 10 Meter dem Herrscher nähern. Der Held berichtet, wie er seine Gegner besiegt haben will. Der König misstraut ihm und entlarvt ihn selbst als jemanden, der mit der Absicht gekommen ist, ihn zu töten ... Hier spielt der Film sehr geschickt mit verschiedenen Versionen und Erzählebenen. Ich finde auch zeitgeschichtlich ist dieser Film aus China sehr bedeutsam, denn zentral geht es hier um Terrorismus, nationale Einheit und Frieden. Dabei mangelt es dem Film weder an dem nötigen Pathos, noch an der Opulenz der Bilder – Patriotismus pur, aber erholsam ist, dass es sich dabei nicht schon wieder um Importware aus Amerika handelt.

Nicht der Kampf, nicht die Action, nicht der martialische Einsatz von Statisten haben mich bei diesem Kinogang beeindruckt, sondern vor allem die Filmmusik. Hier wird nicht nur von Schwert-Kunst geredet, hier wird sie auch mit anderen künstlerischen Tätigkeiten verglichen: mit Musik und Kaligraphie. Aber ich musste mir bei den Kampfszenen immer vorstellen, das ganze wäre eine Art Ballet. Diese Vorstellung hilft, das Irrealistische zu ertragen und harmoniert daneben mit der wundervollen Musik und der Farbenpracht der Bilder.
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon cute sushi lunches » 18.07.2003, 17:12

Deine Kritik war das,was mich letztendlich bewegt hat,mir diesen Film doch mal anzusehen.Er war wirklich gut.Diese Bilder waren so phantastisch,dass ich mir danach auch gewünscht habe,so eine Kämpferin zu sein.Da werden alte Kindheitsträume wieder wach.

gelbsucht
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon gelbsucht » 19.07.2003, 19:54

Hallo cute sushi lunches!
Deine Kritik war das, was mich letztendlich bewegt hat, mir diesen Film doch mal anzusehen. Er war wirklich gut.

Erschreckend, was eine Kritik von mir so alles anrichten kann! Nein, im Ernst: ich freue mich natürlich und empfinde das als großes Lob.
Diese Bilder waren so phantastisch, dass ich mir danach auch gewünscht habe, so eine Kämpferin zu sein.

Als ich aus dem Film kam, kam ich mir auch ganz merkwürdig vor. Irgendwie so leicht. Es würde mich nicht wundern, wenn ich ein bisschen über den Boden geschwebt bin auf meinem Weg nach Hause. Schon seltsam, was ein zweistündiges Geflimmer vor unseren Augen mit unserer Psyche anstellen kann.

Ich hab noch drei Fragen an dich:
  • Wie hat dir die Filmmusik gefallen?
  • Wie fandest du die Story - dieses Arbeiten mit verschiedenen Erzählebenen bzw. Versionen ein und derselben Geschichte?
  • Was hältst du von dem Thema "Kaligraphie", wie es im Film dargestellt wird?
:-) gelb ;-)
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon cute sushi lunches » 20.07.2003, 22:56

zu Filmmusik
Ich muss gestehen,dass sie mir nicht besonders im Gedächtnis geblieben ist.Ich war einfach zu sehr mit den Bildern beschäftigt.Wenn sie aber so unauffällig war,muss sie zumindest passend gewesen sein.Eine dominierende Musik hätte wohl nur von den Bildern abgelenkt und zumindest mich überfordert.

zu Story
Ich fand den Plot ganz gut.Er war sehr einfach gehalten,und nicht so wirklich mit überraschenden Wendungen.Es ist für meine Begriffe ein wenig gewagt,im Grunde nur die Erzählebenen zu wechseln,weil es dann schnell langweilig wird.Bei dem Film ist es Gott sei Dank geglückt.

zu Kaligraphie
Ich weiß im Prinzip gar nichts drüber.Es ist irgendwie schön,wenn hinter einem einzigen Schriftzeichen so viel Poesie stecken kann,wohlmöglich mit einem Zeichen mehr gesagt werden kann als mit einem Gedicht.Wenn ich die Zeit dafür hätte,würde ich es gern lernen,weil es so einen meditativen Eindruck macht.

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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon gelbsucht » 22.07.2003, 23:05

Ahoi!
Ich muss gestehen, dass sie mir nicht besonders im Gedächtnis geblieben ist. Ich war einfach zu sehr mit den Bildern beschäftigt. Wenn sie aber so unauffällig war, muss sie zumindest passend gewesen sein.

"So unauffällig" fand ich die Musik keineswegs. Ich glaube, wir machen uns auch nicht bewusst genug, wie entscheidend die Musik und die anderen Toneffekte für die Wirkung der Bilder sind. Aber es gibt zumindest eine Szene, in der auch dir die Musik im Gedächtnis geblieben sein müsste, nämlich als in dem Tee- und Schachhaus der Kampf für eine Zugabe eines alten Virtuosen (wenn ich jetzt nur wüsste, wie man das Instrument nennt, das er gespielt hat) unterbrochen wurde.
Ich fand den Plot ganz gut. Er war sehr einfach gehalten, und nicht so wirklich mit überraschenden Wendungen. Es ist für meine Begriffe ein wenig gewagt, im Grunde nur die Erzählebenen zu wechseln, weil es dann schnell langweilig wird. Bei dem Film ist es Gott sei Dank geglückt.

Exakt. Cute Sushi du hast manchmal die bewundernswerte Fähigkeit, mit wenigen Sätzen etwas genau auf den Punkt zu bringen. – Vom Schema hat mich der Film auch ein wenig an "Lola rennt" erinnert. Aber noch eine Frage: ich hatte die Befürchtung, mit meiner Rezension schon zuviel von der Story verraten zu haben? Was sich aber auch nicht ganz vermeiden ließ, eben weil der Plot eher schlicht ist.
Ich weiß im Prinzip gar nichts drüber. Es ist irgendwie schön, wenn hinter einem einzigen Schriftzeichen so viel Poesie stecken kann, wohlmöglich mit einem Zeichen mehr gesagt werden kann als mit einem Gedicht. Wenn ich die Zeit dafür hätte, würde ich es gern lernen,weil es so einen meditativen Eindruck macht.

Also wenn dieser Film ein Interesse in mir geweckt hat, dann das für die chinesische Schrift und Sprache. Das ist wahrscheinlich das lustigste daran: ich schaue einen Martial-Arts-Film und anstatt für Jiu-Jitsu fange ich an, mich für Mandarin Chinesisch zu interessieren. Wieder mal ein Zeichen dafür, dass mit mir irgendetwas nicht stimmen kann. :krank: Ich hab mir vorgenommen, mich im nächsten Wintersemester etwas damit zu befassen, gleichwohl ich weiß, dass ich keine Zeit dafür haben werde. Eine ebenso einfache wie faszinierende Einführung in die Eigenheiten der chinesischen Schrift und Kaligraphie habe ich hier gefunden – also für den Fall, dass dich das interessiert:

http://www.schriften-lernen.de/Schrift/China/Ch.htm

;-) zai jian :-)
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon Chialandra » 23.07.2003, 17:09

ich schau mir den Film jetzt auch an.. möchte doch mal wissen wie das mit dem Schweben ist :-D

Nein, ich mag den Schauspieler Jet Li sehr gerne und habe als Kind viele seiner Filme gesehen. Und ich fand es toll wie sie durch die Luft fliegen und sich der rote Stoff hinter ihnen herzieht. Trotzdem will ich gerne noch etwas zu dem Film sagen können und werd ihn mir dann bei Gelegenheit ansehen

Liebe Grüße Marina
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon ruuchrinden » 24.07.2003, 21:59

Ich genoss diesen Film sehr, obwohl ich diese Grossreich-Mythen für etwas schauderliches halte.

Trotzdem. Diese Bilder, diese Farben und diese Musik. Wahnsinn. Vorallem der Mann der bei dem ersten Kampf Harfe spielt. So abstrakt - ist wahrscheinlich aber sehr traditionell.

Zum Thema Lola rennt...
Das einzige das die Filme gemeinsam haben, sind die Wiederholungen der Geschichte mit den leichten Abwandlungen. Aber im Gegensatz zu Lola rennt ist der Schluss von Hero immer fix. Bei Lola rennt ändert er sich. Gruss, ruuchrinden.
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Re: Ballet, martialisch

Beitragvon Auf Eulen Schwingen » 23.10.2003, 17:12

hum, hum ...

mir ging es bei den Erzählvarianten schon an meine Logik-Ganglien.

Hat jemand Lust diese doch sehr unterschiedlichen Teilstorys zu diskutieren?
aes
(auf!eulen schwingen)


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