Immerhin ein Anfang

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
Hamburger
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Immerhin ein Anfang

Beitragvon Hamburger » 17.12.2010, 01:24

Film: "22 Bullets"

Regisseur: Richard Berry

So manche Kurzbeziehung lässt einen zerstört zurück. Die Welt geht jeden Tag aufs Neue unter und die in „Der Mythos des Sisyphos“ (Albert Camus) gestellte Frage, ob das Leben trotz seiner offenkundigen Absurdität lebenswert sei, kann kurz und bündig beantwortet werden: NEIN! Für mich lautete die Antwort am Dienstag jedoch „Ja, so lange es Kino gibt“. Denn wo kann die weise Entscheidung, befreundet zu bleiben, besser verarbeitet werden, als in der Spätvorstellung eines sterilen Cinemaxx-Kinosaals? Viele leere Plätze, viel Werbung und ein Scheiß-Film – das schien mir genau die richtige Mischung zu sein, um mein Singledasein wieder aufzunehmen. Und „22 Bullets“ klang als Filmtitel hinreichend effekthascherisch, um meine Erwartungshaltung bequem am Nullpunkt anzusiedeln.

Zunächst schien mich der Streifen nicht zu enttäuschen. Nach dem Vorspann wird der Vater eines kleinen Sohnes von einer achtköpfigen Gruppe in einem Parkhaus in Marseille durch 22 Kugeln hingerichtet. Nun wird der Junge natürlich groß und nimmt fürchterliche Rache! Dachte ich. Doch stattdessen überlebt der Durchlöcherte den Anschlag und macht sich selbst auf die Suche nach seinen Fast-Mördern.

Um diesen Kern baut Regisseur Richard Berry das Beziehungsgeflecht auf. Charly Mattie (Jean Reno), Ex-Top-Mafioso und seit drei Jahren freiwillig aus dem Geschäft ausgestiegen, steht mit seinen Getreuen dem Clan seines Nachfolgers Tony Zacchia (Kad Merad) gegenüber. Zwischen den Fronten agiert Komissarin Marie Goldman (Marina Fois), das Zentrum des Films bildet jedoch das Duell Mattei-Zacchia samt seinen Auswirkungen auf Matteis Familie und Zacchias Clan.

Dies überzeugt gerade in der ersten halben Stunde, in denen der Film sich überraschenderweise ein wenig Zeit zur Charakterisierung seiner Figuren nimmt. Besonders Tony Zacchia sticht in dieser Phase heraus. Überzeugend spielt Kad Merad gegen sein durch Filme wie „Willkommen bei den Schtis“ (klasse Film) und „Der kleine Nick“ (geht so) erworbenes familienfreundliches Image an. Als stotternder, cholerischer Clan-Anführer mit ständig entzündeten Augen und Migräneanfällen ist Merad völlig gegen den Strich besetzt – und die Rechnung geht komplett auf. Martina Fois hält sich als Polizistin, die ihren Mann im Bandenkrieg verlor, solide. Jean Reno bietet Chuzpe und Einsamer-Wolf-Blick par excellence – und so wäre eigentlich der Weg frei für einen spannenden Thriller mit Tiefgang.

Doch nur das erste Attribut kann der Film für sich verbuchen. Obwohl recht schnell klar wird, dass Zacchia hinter dem Anschlag steckt – er versprach Mattei bei der Amtsübernahme, sich aus Drogengeschäften rauszuhalten, will diese jetzt aber unbehelligt tätigen – bleibt das Geschehen kurzweilig. Dafür sorgt mitunter auch ein recht hoher Blutzoll und ein kompromissloser Blick in die Brutalität der Marseiller Mafia-Strukturen, der die FSK 18-Freigabe rechtfertigt.

Vertieft werden die Figuren aber leider fast gar nicht mehr und so sieht der Zuschauer Reno zwar nicht gänzlich unbeteiligt, aber auch nicht übermäßig interessiert bei seinem Rachefeldzug zu, der durch ein paar Wendungen ab und zu aus der Bahn genommen wird, ohne dass die Geschichte je ihre konventionelle Erzählrichtung verliert. In diesem Sinne ist das Ende des Filmes konsequent, garniert mit einem kleinen Seitenhieb.

Oder anders gesagt: Wir haben richtig gehandelt. Aber ich sollte mal wieder meine Wohnung aufräumen.

Wertung: 6/10

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