Die Antwort ist ja

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
gelbsucht
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Die Antwort ist ja

Beitragvon gelbsucht » 29.11.2003, 22:14

Gott
Komödie von Woody Allen

Inszenierung von Roberto Ciulli und Helmut Schäfer,
Theater an der Ruhr, Mülheim

Wie Gott beim Landeanflug ums Leben kam

Im alten Athen 500 v. Chr. hocken der chronisch erfolglose Dramendichter Hepatitis und sein Freund, der abgehalfterte Schauspieler Diabetes, zusammen. Der Schnaps ist alle. Man wappnet sich, um am alljährigen Athener Tragödienfestival teilzunehmen und den "Goldenen Tony" zu gewinnen und natürlich auch den Ruhm und die Kiste Ouzo einzuheimsen, die darauf dotiert ist. Aber die beiden haben ein Problem. Dem Stück von Hepatitis, in dem sein Freund Diabetes die Hauptrolle spielen soll, fehlt nämlich noch etwas Entscheidendes: das Ende. Das will den beiden partout nicht einfallen. Als sie schon ganz verzweifelt sind und verstrickt in allerhand philosophische Betrachtungen taucht zum Glück Trichinosis auf und präsentiert ihnen seine neueste Erfindung, von der er selbst mehr eingenommen und begeistert zu sein scheint als alle anderen zusammen: Eine Maschine, mit der am Ende des Stückes Gott höchstpersönlich von oben herabschweben soll ... wie gut, dass man Freunde hat.

Das Stück beginnt. Der Sklave Phidipides bekommt von Bob und Wendy Schicksal den Auftrag dem König Ödipus eine Nachricht zu überbringen. Die Nachricht lautet schlicht und ergreifend: ja. Das hat der ängstliche Bote schon mal in Erfahrung gebracht, denn schließlich hängt auch seine Zukunft davon ob, ob es eine gute oder eine schlechte für den Adressaten ist. Eine gute Antwort bedeutet für ihn und seine hebräische Sklavenfreundin die Freiheit, eine schlechte den Tod. Etwas ungeschickt fühlt er dem geistig angeschlagenen König auf den Zahn und nötigt ihn, zuerst die Frage zu sagen: Gibt es Gott? Freudig bringt der Sklave da seine Antwort vor und irrt sich doch gewaltig, denn für den psychisch leicht dekomprimierten König ist ein existierender Gott ein Graus, bedeutet es doch, dass er seine Taten vor einer höheren Instanz verantworten muss, und wenn man vom Teufel spricht! Da donnert es auch schon und Gott erscheint, erdrosselt sich aber im Sinkflug versehentlich mit einem Seil. Chaos auf der Bühne, Verblüffung, Schrecken, betroffen steht man da: Gott ist tot.

Das Schauspiel im Schauspiel im Schauspiel

Soweit das äußere Geschehen, jedoch kann von einer Geschlossenheit der Handlung bei Woody Allen gar nicht die Rede sein, wie das von Aristoteles in seiner Poetik eingefordert wird. Worauf dann auch im Stück selbst schon mal verwiesen wird, wenn es darum geht, eine Schauspielerin wieder von der Bühne zu schaffen, die aus einem anderen Stück abgehauen ist und lieber hier mitspielen will. So werden sich Hepatitis und Diabetes auch schnell bewusst, dass es gar nicht in ihrer Macht steht, einen Schluss für ihr Stück zu finden, sind sie doch selbst nur Figuren in dem Stück eines anderen. Kurzerhand rufen die beiden also den Autor an und fragen nach. Aber Woody Allen (die Stimme des deutschen Synchronsprechers Wolfgang Draeger) bescheinigt nur, er wisse auch nicht, wie es enden werde und man möge ihn doch über den Ausgang des Abends informieren.

Ganz verzweifelt wendet sich Hepatitis ans Publikum, ob denn nicht jemand unter den Anwesenden sei, der Philosophie im Hauptfach studiert habe und den beiden erklären könnte, wie sie denn wieder aus diesem paradoxen Schlamassel herauskämen. Betretene Stille. In dem Moment, wo sich Hepatitis schon wieder abwenden will, meldet sich eine Frau, kichert und sagt: Ja, ich. Hepatitis dreht sich um, späht in den Zuschauerraum, schaut, wo der Ruf herkam und fragt: Wer sind sie? Die Frau steht auf, geht auf die Bühne und stellt sich vor: Doris Levine, eine Jüdin aus der Bronx. Und sie ist nicht die einzige, die versteckt im Zuschauerraum sitzt, plötzlich aufspringt und mitspielt. Andere mischen sich ein: Lorenzo Miller, ebenfalls Schriftsteller (und ganz das Klischee, das man von Schriftstellern hat), kommt hinzu und gibt vor, gleich das ganze Publikum erfunden zu haben. Doris Levine protestiert: sie sei nicht fiktiv. Zumindest bestehe sie darauf, dass ihr Orgasmus echt sei.

So wird der Zuschauerraum selbst zur Bühne, das Publikum wird angesprochen und einbezogen. Die klaren Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit werden hinterfragt und die vermeintliche Realität wird Teil der Komödie. Dieses Konzept ist nicht neu, man denke etwa an Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung". Aber bei Woody Allen ist das ganze nicht so ernst und kopflastig. Er versteht es, gerade das Spiel mit den Wirklichkeitsebenen so auf die Spitze zu treiben, dass es nicht nur folgerichtig in Chaos und Absurdität führt, sondern dabei auch für den Zuschauer immer spannend und extrem unterhaltsam bleibt. Anders ausgedrückt: der Ideenreichtum in diesem Stück ist absolut beeindruckend.

Wie ernst es ist, komisch zu sein

Auch wenn sich Woody Allen außerstande sieht, ernste Prosa zu schreiben, hält ihn doch nichts davon ab, ernste Fragen anzuschneiden oder sich mit ernsten Problemen auseinanderzusetzen, wie groß das Gelächter über sie auch sein mag. Seine drei Einaktern "Sex", "Tod" und "Gott" – die drei Dinge, über die er am meisten nachdenkt – schrieb er 1973/74.

"Es ist meine Melancholie", sagt er, "die mich zur Philosophie hinzieht und weshalb ich so stark an Kafka, Dostojewski und Bergmann interessiert bin. Ich glaube, ich habe alle Anzeichen und Probleme, mit denen diese Leute sich befassen: die Besessenheit vom Tod, die Besessenheit von Gott oder dem Fehlen Gottes, die Frage danach, warum wir hier sind. Antworten will ich, das ist alles. Fast mein ganzes Werk ist autobiographisch – überhöht, aber wahr."

"Ein Theaterstück zu schreiben macht Spaß, drei Monate lang steht man auf, frühstückt, geht allein in sein Zimmer und schreibt einfach. Ich liebe das. Es ist etwas Ernstes. Ich plane es durch. Ich entwerfe es. Ich nehme mir Zeit und muss mich konzentrieren. Dagegen ist ein Filmdrehbuch einfach ein Wegweiser für das Filmen."

(Die letzten drei Absätze zitiert nach Eric Lax: Wie ernst es ist, komisch zu sein.)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

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Re: Die Antwort ist ja

Beitragvon gelbsucht » 29.11.2003, 22:15

Gesammelte Woody Allen Zitate
Zum Thema Gott, Bibel, Jenseits, Ewigkeit etc.

Es gibt einen Gott, du musst ihn nur finden.

Wenn Gott mir doch irgend ein klares Zeichen geben würde, wie zum Beispiel bei einer Schweizer Bank eine großzügige Einzahlung auf meinen Namen zu machen.

Seine Filmfigur Boris Gruschenko sehnt sich wie Woody Allen nach einem Zeichen der Anwesenheit Gottes, einem Wunder: "Wenn ich doch nur irgendein Wunder sehen könnte, nur ein einziges Wunder. Mir wäre alles recht, meinetwegen ein brennender Busch, oder wie sich das Meer vor mir teilt oder wie mein Onkel eine Rechnung bezahlt."

Ich vermute, dass, wenn es einen Gott gäbe, dieser weder den Hunger in der Welt noch das tägliche Fernsehen erlauben würde.

Tatsächlich sind die Hübschesten fast immer die Langweiligsten, und deshalb haben einige Leute das Gefühl, es gibt keinen Gott.

Wie kann ich an Gott glauben, wenn sich erst letzte Woche meine Zunge in der Walze der Schreibmaschine verheddert hat?

Gott schweigt – wenn wir jetzt bloß die Menschen dazu brächten, die Klappe zu halten.

Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch mal, am Wochenende einen Klempner zu kriegen.

Produzent lamentiert: "Dies ist ein Film, der zu Ostern in die Kinos kommen soll. Da können wir keinen Film von einem Atheisten gebrauchen."
Woody Allen: "Also für Sie bin ich ein Atheist? Für Gott bin ich loyale Opposition."

Natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur: wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt, und wie lange hat sie offen.

Eine Ewigkeit dauert lange, besonders gegen Ende.

Die Offenbarung des Universums als einer komplexen Idee seiner selbst im Gegensatz zum Sein in oder außerhalb des wahren Seins von sich ist in sich ein begriffliches Nichts oder ein Nichts in Beziehung zu jeder abstrakten Form des Seienden oder Sein-Sollenden oder in Ewigkeit Existiert-Habenden, und den Gesetzen des Physikalischen oder der Bewegung oder der Vorstellung in Bezug auf die Nicht-Materie oder das Fehlen objektiven Seins oder objektiven Andersseins nicht unterworfen.

Das Universum ist bloß eine flüchtige Idee im Geiste Gottes – ein ziemlich unbehaglicher Gedanke, besonders, wenn man gerade die Anzahlung für ein Haus geleistet hat.

Sie lehnte die Bibel ab, weil sie, wie sie sagte, eine völlig unglaubwürdige Hauptfigur hat.

Vor Jahren gab meine Mutter mir eine Kugel. Ich steckte sie in meine Brusttasche. Ich ging gerade die Straße hinunter, als ein Amok laufender Protestant eine Bibel aus einem Hotelfenster schleuderte, die mich genau an der Brust traf. Die Bibel hätte mich mitten ins Herz getroffen, wenn die Kugel nicht gewesen wäre.

Isaac in "Manhattan" zu seiner sehr schönen und sehr jungen Filmliebe Tracy: "Weißt du, du bist die Antwort Gottes auf Hiob. Also mit dir hätte der Streit aufgehört zwischen den beiden. Ich meine, er hätte auf dich gedeutet und gesagt: 'Ich hab viel Schreckliches getan, aber ich kann auch so etwas schaffen.' Weißt du, und dann hätte Hiob vielleicht gesagt: 'Okay, du hast gewonnen.'"

Wie der Dichter sagt: "Gott allein kann einen Baum erschaffen" – wahrscheinlich, weil es so schwer ist herauszufinden, wie man die Rinde fest kriegt.

Woody Allen bezweifelt auch, dass er, wie alle Menschen nach Gottes Ebenbild geschaffen wurde, weil das bedeutete, "dass Gott eine Brille tragen würde".

Was, wenn es keinen Gott gibt? Was, wenn wir nur ein Haufen alberner Menschen sind, die einfach herumlaufen ohne Sinn und Verstand?
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)


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