Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
[) i r k
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Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon [) i r k » 20.03.2004, 04:27

Ja, diese blasphemische Überschrift verheißt nichts Gutes. Man ahnt schon, worum es geht:

The Passion of the Christ
Regie: Mel Gibson
Mit: James Caviezel, Monica Bellucci, Maia Morgenstern, Mattia Sbragia, Hristo Shopov

Jesus ist tot. Soviel kann sicher gesagt werden. Wie er gelebt hat und unter welchen Umständen er gestorben ist, das ist weitestgehend der Phantasie überlassen. So wie in diesem Film. Mel Gibson konzentriert sich in seiner neuesten Regiearbeit auf die letzten 12 Stunden des Menschensohnes, der, das wird immer wieder gern betont, für unser aller Sünden gestorben ist. Also, ihr Sünder, hört gut zu, der arme Mann hat wirklich einiges durchgemacht, damit wir selisch sind. Vor allem hat er geblutet, wenn man diesem Streifen Glauben schenken mag. Wenn ich richtig informiert bin, hat so ein Menschenkörper zwischen 6 bis 7 Liter Blut intus. Aber nicht dieser Aramäer, der vor circa 2000 Jahren mal einen Ausflug nach Jerusalem machen wollte und dabei - naja, sagen wir es so - unter die Räder gekommen ist. Jesus also, in seiner Sprache Jeshua genannt, blutet wie ein Schwein. Entschuldigung, aber wenn es doch wahr ist!? Ich schätze, da fließen so zwischen 20 bis 40 Liter dieser roten Substanz aus den 666 Wunden, die man ihm beigebracht hat. Und das herausfließende Blut, das ist ein nicht unerheblicher Teil der Handlung: Es fließt, es spritzt, es tropft, es wird abgetupft, es wird aufgewischt ... und so weiter und so fort. Tja, Wunder gibt es immer wieder - und hat nicht er höchstselbst gesagt: "Nehmet hin, das ist mein Blut!" Also nehmen wir es hin. Was soll man auch sonst tun, man hat ja schließlich acht Euro dafür berappt.

Sehr schön auch die Szene, wo er geißelt wird. Die wunderbarsten Foltereffekte und die Kamera hält immer richtig schön druff, wenn das Blut spritzt und die Widerhaken das Fleisch aus dem Rücken reißen. Ja, da macht Kino so richtig Spaß. Nicht zu verachten sind auch die Augen von Jesus. Die machen auch einiges her, wie sie undefinierbar orange (nämlich tricktechnisch nachgefärbt) vor sich hinglimmen und bedeutungsvoll in der Gegend umherstarren. Wenn man mich fragt, grün hätte ihm besser gestanden, aber naja, man kann ja nicht alles haben. Schließlich noch die gelähmt-traurigen Gesichter von Maria, Maria-Magdalena, Johannes und noch einigen anderen vom Jesus-Anhang. Natürlich: Tränen en masse und Verzweiflung pur. Der Höhepunkt des Films ist der Kreuzgang, der in aller Ausführlichkeit geschildert wird. So circa 20 bis 25 Minuten, die sich unendlich hinziehen, während immer wieder auf den ohnehin schon halbtoten Menschen eingeprügelt wird. Dann fällt Jesus auch noch vier oder fünfmal sehr theatralisch hin - einmal über das Kreuz, einmal unter das Kreuz, einmal vor das Kreuz, einmal neben das Kreuz. Alles, was man sehen will. Slapstick vom allerfeinsten. Besonders angetan haben es mir die besoffenen Römer, denen das alles sichtlich Spass macht. Da kann die bleiche Maria schauspieltechnisch leider nicht mithalten mit ihrem mitleidig-apathischem Hollywoodmuttergehabe. Kurz vorm Exitus küsst resp. leckt sie ihm noch das Blut vom Fuß. Als der Sohnemann dann endlich (endlich-endlich) stirbt, herrje, muss natürlich auch noch der Himmel grollen und die Erde beben. Wer's glaubt! Und damit es auch noch der letzte Idiot versteht, der vielleicht (und vielleicht nicht ganz zu Unrecht) dachte, das wäre so ein blöder Splatterfilm und die Handlung wäre eh wurscht, tut sich dann noch die Erde auf und spaltet den Thron von Kaiphas, dem alten Giftbart.

Also, Leute erspart euch diesen Film. Ich schau mir ja sonst schon ganz gerne so melodramatische Bibelverfilmungen an, ist halt so eine Schrulle, aber dieser Film ist wirklich überflüssig. Nichts, nada, niente an der Story ist neu, außer der Bestialität der Darstellung. Ein ruhiger Abend, gute Musik, ein Glas Pfefferminztee und dann ein bisschen in der Bibel schmökern (oder im Qu-rân oder in den Upanishaden etc.), da hat man definitiv mehr von. Mensch, dabei hatte ich mir von diesem Film durchaus etwas mehr erwartet, die Regiearbeit, die Mel Gibson mit "Braveheart" abgeliefert hat, habe ich immer noch in guter Erinnerung.

Okay, das ganze in Aramäisch und Vulgärlatein zu inszenieren und mit Untertiteln ins Kino zu bringen, das hat schon seinen Reiz, ach, wenn es doch nur ein bisschen realistischer, trockener und weniger sentimental-pathetisch gewesen wäre. Herrgottnochmal, warum ist es nur so schwül am Pazifik, dass die immer so dick auftragen müssen? Ein anderer minimaler Pluspunkt, den man eingestehen kann, ist die Darstellung des Teufels, die mir ganz gut gefallen hat. So ein apart-androgyner Typ, dem gleich am Anfang ein Gewürm von einem Nasenloch ins andere kriecht.

Ja, Jesus ist tot. Den Rest des Märchens verdanken wir den dramarturgischen Ausschmückungen von Matthäus, Markus, Lukas, Johannes, Paulus ... und Onkel Mel. Wenn man sich's genau überlegt, es ist doch eine absolut hirnrissige und unglaubwürdige Geschichte, eine zweitausend Jahre anhaltende Massenpsychose, die sich während der Dekadenz und des Zerfalls des römischen Reiches erst so richtig epidemisch ausgebreitet hat. Ist doch immer wieder erschreckend, wenn man sich klar macht, worauf die Kultur des Abendlandes eigentlich fußt. Auf Sophismen, Wortspielen, Mythen, Märchen und Psychosen.
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon charis » 22.03.2004, 13:29

ja und vor allem sollte man einem vertreter einer ultrarechten sektenähnlichen religiösen splittergruppe in den eh schon genug verrückten US nicht auch noch helfen, sein budget zu erhöhen.
dass die lust an skandal und sensation leider immer so zieht (siehe kinokassen) ist echt zum kotzen.

denk ich.

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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon cute sushi lunches » 22.03.2004, 19:37

Genau so hatte ich mir deine Kritik vorgestellt, lieber Dirk :-D
Nein, jetzt mal im Ernst: Deine Kritik ist wirklich sehr amüsant zu lesen, aber so ganz zustimmen kann ich ihr leider nicht.
Natürlich hast du recht: Diese Gewaltszenen sind völlig überflüssig. Während der Geißelung war ich ein ehrlich schockiert, warum auch immer, bei dem ewig dauernden Gang zum Kreuz habe ich angefangen, mich zu langweilen.

Mal abgesehen davon war der Film allerdings nicht schlecht gemacht.Es war doch alles recht liebevoll nachrecherchiert, von der Sprache bis zur Atmsophäre. Und schlecht gespielt war er für meine Begriffe auch nicht, außer Monica Belucci kannte ich auch keinen der Darsteller. Schade nur, dass die Mimik von Jesus irgendwann hinter einer blutigen Masse verschwand. Mit oder ohne tricktechnisch verfärbten Augen hatte er auf jeden Fall ein Charisma, das kaum bei einem gewöhnlichen Hollywoodschauspieler zu finden ist. Auch Maria fand ich gar nicht hollywoodlike. Ich finde, sie wirkte stärker, mutiger und entschlossener, als sie in der Bibel dargestellt wird.Satan ist natürlich auch klasse gewesen, gespielt übrigens von einer Frau (!)) namens Rosalinda (!!!) Celentano.

Auch regietechnisch übertraf der Film alles, was ich Mel Gibson zugetraut hätte, zumindest da, wo es nicht gerade um Mord- und Totschlag ging. Die Stimmung war, auch wenn es seltsam klingen mag, so mystisch und tragisch, wie ich es immer bei dieser Geschichte empfunden hatte, na gut, wie es auch eigentlich immer in solchen Bibelverfilmungen ist.

Leider, leider, leider geht alles in dieser unglaublichen Brutalität unter, die den Film eben leider nicht unterstützt, sondern ihn zu einer tendenziellen Gewaltorgie herunterreißt. Ich hätte mir eine 3/4 Stunde weniger Folterungen und dafür das gewünscht, was Jesus getan hat/ haben soll (das entscheide bitte jeder für sich), wofür er steht und wofür er gestorben ist. Wenn die Geschichte ein Märchen sein soll, dann ist es eines der Lehrreichsten, Schönsten und Grausamsten, die es gibt.
Mein Vorwurf an den Film ist daher, dass er sich kaum mit der Thematik von Jesus' Geschichte auseinandersetzt.

Ach ja, und der Merchandise (Dornenkrone etc.) ist natürlich geschmacklos, aber was soll man bei Hollywood auch erwarten?

Ach ja, wo wir doch gleich bei dem Genre sind: Kennt jemand König der Könige oder Die letzte Versuchung Christi?

[) i r k
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon [) i r k » 25.03.2004, 02:04

Okay, dann noch einige Worte zur Leistung der Schauspieler:
Mal abgesehen davon war der Film allerdings nicht schlecht gemacht. Und schlecht gespielt war er für meine Begriffe auch nicht, außer Monica Belucci kannte ich auch keinen der Darsteller. Schade nur, dass die Mimik von Jesus irgendwann hinter einer blutigen Masse verschwand. Mit oder ohne tricktechnisch verfärbten Augen hatte er auf jeden Fall ein Charisma, das kaum bei einem gewöhnlichen Hollywoodschauspieler zu finden ist.

Ich muss sagen, dass mir die Monotonie des Pathos gerade in der Darstellung der Hauptfiguren unheimlich auf den Keks gegangen ist. Was mich besonders daran ärgert, ist, dass immer dieselben Bilder und Stereotypen bedient werden, z.B. bei der Jesusfigur. Das fängt beim Aussehen an. Was uns da gezeigt wird, ist nicht ein typischer Aramäer, ein Jude, ein Mensch semitischer Abstammung, sondern das Milch-Bubi-Face eines Westeuropäers (vielleicht mal abgesehen vom Bart). Wie passt diese dünne, zarte, empfindsame Jünglingsgestalt, die da am Kreuz hängt zu einem Menschen, der wie sein Vater Tekton war, was unzureichend mit "Zimmermann" übersetzt wird – also eine Art Handwerker bzw. Bauarbeiter? Hast du dich nicht auch schon mal gefragt, woher die stereotypen Bilder und Vorstellungen von Jesu Aussehen und Angesicht herstammen – dieses schmale Jünglingsgesicht? Bekannt ist, dass die ersten davon erst 300 Jahre nach Christi Geburt auftauchen. Also sehr sehr sehr sehr unwahrscheinlich, dass er wirklich so ausgesehen hat – eher drücken sich in diesen künstlerischen Abbildern noch die homosexuellen Präferenzen der Künstler aus. Jesus war vermutlich 34 Jahre alt, als er hingerichtet wurde – ich frage mich, wie hoch die durchschnittliche Lebenserwartung in Galiläa gewesen sein mag und wie ein Mann Mitte Dreißig zu seiner Zeit wohl aussah – vielleicht eher wie ein Mann zwischen fünfzig und sechzig Lebensjahren heute? Und dann diese Schneckenhaftigkeit in der Bewegung? Warum muss Jesus, alles was er tut, immer sooooooooooo langsam tun? Warum muss jede Handlung auf der Leinwand so ausgebreitet und ins heilig-bedeutungsvolle erhoben werden durch inbrünstige Verzögerung und Zeitraffer? Wie passt diese verklärte Lahmarschigkeit zu einem sportlichen Typen, der beim Sturm übers Wasser latscht, der sich einem Lynchmob in den Weg stellt oder im Tempel die Wechslertische umschmeißt? Von der Sanftmütigkeit der Bewegung bis zur heißungsvollen Inszenierung der Augen folgen diese Jesusverfilmungen doch alle dem selben Schema. Und das nenne ich nicht Charisma, sondern religiösen Kitsch. Und gerade in diesem Film von Mel Gibson stört es wenig, dass die Mimik des Hauptdarstellers nach der Züchtigung mit dem horrible flagellum hinter einer Maske aus Blut verschwunden ist, beschränken sich die Anforderungen des Drehbuchs an das Talent des Schauspielers doch fast ausschließlich auf die Darstellung von Schmerz. Wahrscheinlich könnte man heutzutage diese blutige und entstellte Visage auch schon ganz passabel im Computer animieren und würde kaum einen Unterschied in der Qualität des Ausdrucks feststellen. Aber da waren die Macher eben nicht konsequent genug und haben sich nur auf animierte Glupscher beschränkt.
Auch Maria fand ich gar nicht hollywoodlike. Ich finde, sie wirkte stärker, mutiger und entschlossener, als sie in der Bibel dargestellt wird.

Stärker? Mutiger? Entschlossener? Junge Frau, angesichts dieser Worte kommen mir ernsthafte Zweifel, dass wir denselben Film gesehen haben! Das Repertoire der Maria beschränkt sich auf eine versteinerte Maske des Leidens, mit leichten Nuancen ins erschrocken Leidende, ins sorgenvoll Leidende, ins kummervoll Leidende, ins verzweifelt Leidende, ins traurig Leidende und ins postnatal-depressiv Leidende. Das einzig beeindruckende daran ist, wie dieser Gesichtsausdruck über anderthalb Stunden Film durchgehalten wird. In Golgatha verkrallt sich die unbefleckte Empfängnis dann (entschlossen?) in der Erde – in den Staub der Schädelstätte – mit dem Pathos eines Michael Jackson wie seinerzeit im Video zu "Earth Song". Und stellt sich dann (mutig?) der römischen Wache entgegen wie Ben Hur himself, um am blutigen Zeh ihres Sohnes zu lutschen wie dieser einst an ihrer Brust. Dann steht sie mit blutiger Schnauze vor dem Kreuz wie Hannibal Lector in "Das Schweigen der Lämmer", nachdem er seine Wachen abgeschlachtet hat, natürlich nicht annähernd so bestialisch-schaurig-schön wie Sir Anthony Hopkins, sondern einfach nur noch obszön und lächerlich. Sorry, aber das ist weder mystisch noch tragisch, sondern einfach nur ur-komisch.
Es war doch alles recht liebevoll nachrecherchiert, von der Sprache bis zur Atmosphäre.

Na ja, was die Sprache betrifft, das habe ich ja zugegeben. Das ist einer der wenigen Punkte, wo ich der Idee des Films etwas abgewinnen kann. Aber ansonsten? Liebevoll nachrecherchiert? Mich ärgert an dieser modernen Verfilmung vor allem, wie schlecht sie nachrecherchiert ist, wie konsequent sie neuere theologische und archäologische Forschungen ignoriert und wie eng und wortgetreu sie sich an die Handlung und die Dialoge der Evangelien lehnt. Das ist doch anachronistischer, mittelalterlicher, kirchlicher Bockmist. So hängt dieser Film bei der Darstellung der Verurteilung denselben antisemitischen Ressentiments nach und inszeniert daneben einen zögerlichen, fast warmherzigen Pilatus, der nur um Aufruhr zu vermeiden, den Juden willfährt und den Unschuldigen kreuzigen lässt. Ich zitiere mal aus der Januarausgabe des GEO:
Pontius Pilatus ist seit dem Jahr 26 Praefectus Indaeae. Er ist ein eques, ein Ritter, ein Angehöriger der zweithöchsten römischen Gesellschaftsschicht. Einer seiner Vorfahren gehörte zu den Verschwörern, die Julius Cäsar an den Iden des März umbrachten. Er residiert in einem Palast im Küstenort Cäsarea und begibt sich nur zu besonderen Anlässen nach Jerusalem – etwa zum alljährlichen Passahfest.

Pilatus gilt als unnachgiebig, bestechlich, gewalttätig, hart, räuberisch und grausam. Überliefert ist, dass er vergoldete Feldzeichen der Soldaten nach Jerusalem bringen lässt. Dort erregten die verhassten Abbilder des Kaisers den Zorn der Menge so sehr, dass Protestierende in Cäsarea sich erbieten, lieber alle hingerichtet zu werden, als diese Bildnisse in Jerusalem zu dulden. Schließlich gibt Pilatus nach. Überliefert ist auch, dass er in seiner Amtszeit mindestens einen Aufstand blutig unterdrücken lässt und ein Massaker anordnet.

Pilatus wird im Jahr 36 wegen fortgesetzter Gewalttätigkeiten von seinem Posten abberufen und nach Rom zitiert, wo ihm ein Prozess droht. Doch ehe er sich verantworten muss, stirbt der Kaiser. Danach scheint das Verfahren im Sande verlaufen zu sein – und Pilatus verschwindet aus der Geschichte. [...]

Die römischen Magistrate sitzen meist am frühen Morgen zu Gericht. Also wird auch Jesus wohl schon beim ersten Dämmerlicht gefesselt vor Pilatus stehe – wahrscheinlich auf dem Vorplatz des Palastes, in dem Pilatus auf dem bema sitzt, dem Richterstuhl. Römische Bürger können gegenüber den Urteilen der von Magistraten beim Kaiser appellieren, für die Untertanen ohne dieses Privileg dagegen ist die erste zugleich auch die letzte Instanz. Auch für Jesus.

Die Evangelisten, die als Einzige über diesen Tag berichten, haben später den Prozess aller Wahrscheinlichkeit nach den mit einer klaren Intention wiedergegeben: Pilatus wird da als zögernder Richter gezeichnet, der seine Hände in Unschuld wäscht, der Jesus gar am liebsten per Amnestie freigelassen hätte. Und es seien "die Juden" gewesen, die auf dem Todesurteil bestanden hätten.

Doch so ist es wahrscheinlich nicht gewesen. Denn als Markus und dessen Nachfolger ihre Texte schrieben, hatten sich die Christen gerade vom Judentum gelöst und waren zu dessen Gegnern geworden, während sie zugleich eifrig neue Anhänger unter den Heiden warben – also auch unter den Römern, ebenjenen, die Jesus letztlich auf die Richtstätte gebracht hatten.

Tatsächlich wird Pilatus, wie unzählige Male davor und danach, auch diesmal im wahrsten Sinne des Wortes kurzen Prozess gemacht haben. Er spricht Jesus wohl der seditio (des Aufruhrs) oder der perduellio (des schweren Landfriedensbruches) schuldig. In jedem Fall wird der letzte Satz, den Jesus von Pilatus vernimmt, die Formel gewesen sein: "Du wirst das Kreuz besteigen."

Quelle: GEO, Januar 2004

Ich würde mir mal eine mutigere, eine wirklich provokative Verfilmung wünschen, die mal ordentlich mit den christlichen Dogmas aufräumt und eine etwas wahrscheinlichere und realistischere Variante dessen erzählt, was sich vor zweitausend Jahren vermutlich zugetragen hat und nicht immer die selbe abgestandene, neu aufgekochte, rührselige Story.
Die Stimmung war, auch wenn es seltsam klingen mag, so mystisch und tragisch, wie ich es immer bei dieser Geschichte empfunden hatte, na gut, wie es auch eigentlich immer in solchen Bibelverfilmungen ist.

Eben!
Satan ist natürlich auch klasse gewesen, gespielt übrigens von einer Frau (!) namens Rosalinda (!!!) Celentano.

Celentano? Die Tochter von Adriano Celentano, dem Gib-dem-Affen-Zucker-Celentano? Das ist ja interessant.
Nichts, nada, niente an der Story ist neu ...

Eine kleine Korrektur meinerseits. An einer Stelle hat der Regisseur es doch tatsächlich gewagt, von der Bibel abzuweichen, und dabei herausgekommen ist eine der absurdesten Szenen des ganzen Films: Jesus als Erfinder des modernen Tisches. Hosianna! Da bleibt nur die Frage, ob der Nazarener sich mit dieser sinnreichen Innovation des antiken Mobiliars nicht hätte besser begnügen sollen. Dann wären wir heute vielleicht die glücklichsten Heiden auf der Welt.

Amen.
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon razorback » 25.03.2004, 12:20

Ich melde mich mit ein paar Randbemerkungen, da ich den Film nicht gesehen habe. Aber:

Merkt Ihr eigentlich, wie Ihr Mr. Gibson auf den Leim geht? Oder besser - seinem Wahn verfallt, er ist ja wohl ziemlich überzeugt von dem, was er da fabriziert hat. Ich finde Eure Diskussion wirklich hochinteressant, aber gerade bei Dir, Dirk, der Du ja klar zu erkennen gibst, dass Du der ganzen biblischen Überlieferung mindestens skeptisch gegenüberstehst, hätte ich mit mehr Distanz gerechnet (das ist kein Vorwurf, ich habe den Eindruck, hier treibt Dich der gerechte Zorn ;-) ). Ihr diskutiert hier tatsächlich, inwiefern Gibson mit der Verfilmung einer Geschichte authentisch war, von der nun niemand wirklich weiss, wieviel davon wahr, halbwahr, verdreht, verfälscht, umgedeutet und aus diversen mehr oder weniger edlen (oft sicher weniger) Motiven hinzu erfunden ist. Deshalb nennen sich die Leute, die daraus irgendeine Bedeutung für ihr Leben ziehen, ja auch „Gläubige“ und nicht „Wissende“. Von daher ist es wirklich schnurz, wie Jesus dargestellt wird. Es ist schon richtig, Dirk, ein durchtrainierter, breitschultriger Mann mit semitischem Äusseren und einigen Zahnlücken käme einem Zimmermann aus Galiläa um die Zeitenwende wohl schon näher. Gestandene Fischer, wenn wir mal in der Überlieferung bleiben, wären dem wohl auch eher gefolgt als einem dünnen, bartlosen Kerl mit verklärtem Lächeln. Aber wer weiss – vielleicht finden sie nächstes Jahr heraus, dass die Zimmerleute damals traditionell Irokesenschnitt trugen, und kaum ist der nächste Film mit einem Jesus mit Flat gedreht, zack, findet ein anderer heraus, dass sie sehr oft unter Krätze litten, und im nächsten Film kratzt der arme Kerl sich dann auch noch dauernd, bis wiederum herausgefunden wird... Also was soll’s. Wenn man sich generell drauf geeinigt hat, dass der Erlöser auszusehen hat wie eine Mischung aus Max von Sydow und Daniel Küblböck, dann kann man das glauben – oder eben nicht. Wie auch immer man eine Figur abbildet, von der keinerlei Bild (ich lasse das Turiner Tuch mal weg) existiert und an deren bloße Existenz man auch glauben muss oder eben nicht, historisch korrekt wird das nie sein. Er wird nur, davon gehe ich mal aus, etwas charismatischer und etwas weniger dauerbekifft gewesen sein, als in den meisten Bibelverfilmungen, die ich kenne. Ach ja, und ein wichtiger Faktor bei der durchschnittlichen Lebenserwartung ist immer die Säuglingssterblichkeit. Die Leute sind also, sagen wir mal, im Schnitt (!) 30 geworden. Aber für jedes Kind, dass an seinem ersten Lebenstag starb und sein 15jährige Mutter mitnahm durfte ein Zimmermann 75 werden ;-) .

Was mich auch interessiert ist die Antwort auf zwei Fragen, die ich mir im Zusammenhang mit diversen Filmkritiken gestellt habe, und die Ihr mir vielleicht geben könnt:

1.) Hat Jesus wirklich orange Augen? Das wäre der Oberkracher, schliesslich werden ja Dämonen traditionell durch gelbe Augen gekennzeichnet.

2.) Macht Gibson wirklich den Satan verantwortlich für die Kreuzigung (er soll ja da überall rumschleichen)? Das wäre auch ein Heuler, vor allem, da der gute Mel sich ja so gläubig und bibelfest gibt. Der arme Kerl (Satan, nicht Gibson) wird ja nun wirklich für jeden Scheiss verantwortlich gemacht, aber die Nummer kann man ihm nicht andichten. Das ganze neue Testament handelt doch davon, dass das Leben und Leiden Jesu Gottes Plan war. Er hat seinen Sohn (also – Dreifaltigkeit – sich selbst) geopfert, damit wir Erlösung erlangen können. Gut – ich weiss nicht, wieso das Ganze so funktioniert, aber ich bin eben auch nicht Gott. Ich halte es auch, um mal die Überlieferung zu wechseln, für eine sehr blöde Idee, sich ausgerechnet in einen Schwan zu verwandeln, wenn man poppen will, aber auch Zeus wird Gründe gehabt haben, von denen ich nichts verstehe. Aber in der christlichen Überlieferung war es eben Gott selbst, der sich/Jesus zum Foltertod verurteilt. Satan hatte seine Chance in der Wüste, und er hat’s verbockt. Und am Kreuz beschwert sich Jesus (nach der Überlieferung zweier Evangelisten) ja dann auch folgerichtig nicht „Satan, Satan, wie hast Du mich verarscht!“ sondern „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Das passt zwar nicht zur typisch amerikanischen Schwarzweissmalerei (Gott mit uns, Satan mit den anderen), aber der Gott der Bibel ist eben auch nicht so eindimensional.

Nee, irgendwie... ich glaube, ich werde mir das Ding nicht ansehen. Meinen kleinen Bedarf an Folterszenen schreibe ich mir selbst. Und was Mel Gibson betrifft – er hat mir mit „Mad Max“ und „Lethal Weapon“ so viele schöne Stunden geschenkt, warum soll ich dabei zusehen, wie er sich zum Deppen macht.

Amen

Razorback

P.S.: Ach ja, Dirk, was Pilatus betrifft, da liegen Geo und Du völlig falsch. Es gibt da einen sehr guten Dokumentarfilm, der sich mit dem Thema befasst. Demnach befand sich Pilatus an dem Tag in einer psychischen Ausnahmesituation. Das Volk war so rebellisch, dass selbst der Anführer seiner Garde (immerhin ein, wie es heisst, „stämmiger Schwertträger“) Muffen hatte. Pilatus wurde bei dem Versuch es zu beschwichtigen nicht nur selbst auf’s übelste verhöhnt, auch sein Freund Schwanzus Longus (ein beliebter Redner und Schöngeist, der extra aus Rom angereist war) musste den grausamen Spott der Menge ertragen. Von daher war es klar, dass der Statthalter miese Laune hatte.

Cheers

Robizack
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon Silentium » 25.03.2004, 15:31

Silentiums Tischgebet:

Hoch ist hier der Mel zu loben,
denn er (und Gott dort droben)
brachten zu der Heilgen Schreck
den gelben und den razorback
auf das Thema "Christenheit"
und - der Heiland nimmer weit-
find ich, sie sind nicht religiös!
Harte Worte, wirklich bös-
Und, Gott steh mir bei, aber echt:
die beiden haben heilig recht.
Amen!

Sagt mal, habt ihr in Deutschland eigentlich was von der Hadereraufregung mitbekommen? Tolles, wunderbar recherchiertes Buch.
Eines der besten Karikaturenbüchlein ever!

"Das Leben des Jesus"
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon razorback » 25.03.2004, 18:37

Klar, ist bekannt. Bzw. - bekannt, dass es das gibt, gelesen nicht. Irgendwie sind mir Religionssatiren immer zu... religiös? :-D Ich habe, was das angeht, zu viel Realsatire erlebt, als dass ich noch grossartig Bedarf hätte. ;-)

Übrigens irrst Du, was mich betrifft. Ich bin religiös - oder zumindest gläubig. Aber offenbar irgendwie anders als der Herr Gibson. Irgendwie. :-D :-D :-D
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon Silentium » 26.03.2004, 23:20

Du weißt aber nicht, was dir mit dem Haderer entgeht. So schön zeichnet keiner...

Übrigens irrst Du, was mich betrifft. Ich bin religiös - oder zumindest gläubig.


Oh, dann entschuldige bitte meine bösartige Unterstellung!
(Gläubig bin ich ja auch irgendwie: ich bin zum schluss gekommen, an gar nicht zu glauben, nicht einmal daran, dass es keinen Gott gibt. So gehe ich sicher, mich nicht zu irren. Alles relativ, ich wart das Jüngste Gericht ab...)

by the ways:

Am Tag des Jüngsten Strafgericht
da scheidet sich: gläubig oder nicht!
Und während gelb und ich und alle atheisten
in der höll ein scheußlich dasein fristen
(mit feuerlodern, folterqualen und dem pipapo,
nichts zu lesen auser pilcher sowieso)
da sitzt der razor, weil nicht dumm
fröhlich schreibend im Elysium!

P.S.
Massenpsychose! Massenpsychose! Das ist derart ... treffend... hach, gelb, es juckt mich soooo in den fingern, deine Christentumbeschreibung, so unendlich treffend, anonym meinem Religionslehrer vor die Tür zu legen. Wirklich bissig und passend.
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon razorback » 26.03.2004, 23:55

Du weißt aber nicht, was dir mit dem Haderer entgeht. So schön zeichnet keiner...


Vielleicht sollte ich dem Mann mal die Geschichte vom Wunder des Teleskopbeins erzählen, dass eine der Schwestern (vulgo "Nonnen") an meinem katholischen Gymnasium zum Besten zu geben pflegte. Gezeichnet käme das sicher nochmal so gut... :-))

Oh, dann entschuldige bitte meine bösartige Unterstellung!


Ah lass mal, ich bin lange genug selbst Atheist gewesen, ich nehm da nix übel.

ich bin zum schluss gekommen, an gar nicht zu glauben, nicht einmal daran, dass es keinen Gott gibt.


Das ist nicht unweise. Wie sagt Kant doch so schön - Gott ist eine Möglichkeit, die gedacht werden darf ;-) .

Deine Vision der Hölle ist grausig (PILCHER!). Allerdings gibt's für mich da keinen Trost - wann das so ist, wie Du dichtest, hat Gibson ja doch recht - und dann bin ich auch dran. Und zwar sowas von...

Andererseits - mit Dirk und Dir im Feuer zu sitzen, uns gegenseitig Pilcher-Passagen vorlesend... so könnte ich die Ewigkeit eventuell sogar ertragen :-D
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon Silentium » 27.03.2004, 12:40

Vielleicht sollte ich dem Mann mal die Geschichte vom Wunder des Teleskopbeins erzählen, dass eine der Schwestern (volgo "Nonnen") an meinem katholischen Gymnasium zum Besten zu geben pflegte.

Tja, du könntest du Geschichte auch uns erzählen, oder?
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon razorback » 27.03.2004, 15:09

volgo...
Also, es ist nicht so, dass Silentium falsch zitiert hat, ich habe falsch geschrieben und dann korrigiert. volgo...

Ach, Silentium, die Geschichte mit dem Teleskopbein... die ist, glaube ich, nur wirklich witzig, wenn Haderer sie zeichnet. Oder wenn man dabei war, wie sie erzählt wurde. Eigentlich mag ich gar nicht über meine alte Schule lästern, sie ist inzwischen nämlich ausgesprochen gut und modern, vollgepackt mit vielen engagierten Leuten. Anfang der 80er allerdings, als ich dorthin kam, war dort in einiger Hinsicht Übergangszeit und vieles im Fluss. Und einige der Schwestern waren... sagen wir mal... etwas weltfern. Wir bekamen Wundergeschichten noch und nöcher erzählt. Auch die von dem Menschen mit dem kürzeren Bein, das im Gebetskreis plötzlich lang geworden ist. Wie ein Teleskop. :-&

Zur Ehrenrettung der Schwester, die das erzählt hat muss ich sagen, dass sie wirklich daran geglaubt hat. Sie war vergleichsweise jung, durch und durch lieb, vor allem viel zu lieb für einen höhere Schule. Deshalb wurde sie später auch mittels einer üblen Intrige rausgemobbt (nicht von uns Schülern). Ich hoffe wirklich, dass es ihr gut geht.
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon Silentium » 27.03.2004, 16:30

Hm... das Teleskopbein... könnte sich glatt mit Karli zusammentun... unser letzter Kaiser- der Karl, für den Momentan ein Seligsprechungsverfahren rennt. War ein Obergimpel, doof und politisch daneben bis zu den Ohren- hat aber, immerhin, eine Nonne von- KEIN Scherz- Krampfadern geheilt. Daher- Seeligsprechung. Einen Gebetskreis hat er auch...
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon charis » 30.03.2004, 11:52

schaut, was das ganze für auswüchse entwickelt.


Rom (APA) - Der Erfolg von Mel Gibsons Jesus-Film "Die Passion Christi" belebt den Tourismus in der süditalienischen Stadt Matera, wo der Streifen zum Großteil gedreht wurde. Die Reisegesellschaft EposGea bietet einen zweitägigen Rundgang zu jenen Orten, an denen der erfolgreiche Film aufgenommen wurde. Für 200 Euro werden einzelne Touristen oder Gruppen zwei Tage lang in die Ortschaften geführt.

"Das Interesse für unser Angebot ist vor allem in den USA groß. Über 17.500 Kontakte hat unsere Website registriert. Wir rechnen, dass das Interesse noch größer sein wird, nachdem der Film auch nach Italien gekommen ist", so die EposGea-Sprecherin Maria Teresa Cascino. Der Film läuft im April in Italien an. (Schluss) mit/aku


-> neue südeuropäische wallfahrtsstätte??

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charis

[) i r k
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon [) i r k » 01.04.2004, 19:41

Grüß Gott! :-D

Also zuerst bin ich dir ja noch ein paar Antworten schuldig, razorback.

1.) Hat Jesus wirklich orange Augen? Ja, wie ich bereits sagte:
Nicht zu verachten sind auch die Augen von Jesus. Die machen auch einiges her, wie sie undefinierbar orange (nämlich tricktechnisch nachgefärbt) vor sich hinglimmen und bedeutungsvoll in der Gegend umherstarren.

Allerdings leuchten sie nur an den entscheidenden Stellen orange auf (z.B. wenn sich Jesuslein anschickt, Pilatus zu verklickern, dass er ja eigentlich viel mächtiger ist als er), an anderen Stellen sind sie unergründlich dunkel und stumpf.

2.) Macht Gibson wirklich den Satan verantwortlich für die Kreuzigung (er soll ja da überall rumschleichen)? Nee, so würde ich den Film nicht deuten. Er schleicht zwar überall herum, aber er spielt hier eher die Rolle des Versuchers wie schon damals in der Wüste. So tritt er ganz zu Anfang des Films im Garten Getsemane an Jesus heran, als Jesus betet, Gott möge doch diesen Kelch an ihm vorübergehen lassen, und will ihm einhauchen, dass das, was ihm bevorsteht, kein Mensch ertragen könne bzw. es unmöglich sei, dass einer allein die Sünden der Menschheit auf seinen Schultern trage. Bla und blub. Jesus wird hier – wie in anderen Verfilmungen auch – als sehr mächtig geschildert, sprich, dass er, wenn er nur wollte, den ganzen Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen könne. Na ja, am Ende scheitert auch diese Versuchung, Jesus bleibt standhaft und geht den schwierigeren Weg, erduldet mehr oder weniger gefasst sein Martyrium und der Teufel fickt sich ins Knie. Same procedure as every Ostern.

Findest du wirklich, dass ich Mel auf den Leim gegangen bin?
Ihr diskutiert hier tatsächlich, inwiefern Gibson mit der Verfilmung einer Geschichte authentisch war, von der nun niemand wirklich weiss, wieviel davon wahr, halbwahr, verdreht, verfälscht, umgedeutet und aus diversen mehr oder weniger edlen (oft sicher weniger) Motiven hinzu erfunden ist. Deshalb nennen sich die Leute, die daraus irgendeine Bedeutung für ihr Leben ziehen, ja auch „Gläubige“ und nicht „Wissende“. Von daher ist es wirklich schnurz, wie Jesus dargestellt wird.

Ich finde nicht, dass das schnurz ist. Gerade weil die vier Evangelien von Leuten geschrieben wurden, die Jesus persönlich gar nicht kannten und wahrscheinlich noch nicht einmal seine Sprache gesprochen haben, sollte man kritischer mit diesen Texten umgehen. Am Ende hat ein Saulus-Paulus auf das Christentum, auf seine religiösen Vorstellungen und Überzeugungen mehr Einfluss gehabt, als Jesus selbst. Der Göttinger Theologe Gerd Lüdemann ist der Ansicht, dass nur etwa 15 bis 20 Prozent der Sätze, die uns von Jesus überliefert worden sind, tatsächlich von ihm stammen. Natürlich wirft die Forschung mehr Fragen auf, als sie beantworten kann. Aber die entscheidende Frage ist, wie kann man einem Kanon von Texten glauben, der voller Widersprüche, Halbwahrheiten und frommer Lügen ist, wie blind, dumm oder ignorant muss man sein, dieses Wissen zu verleugnen, diese ernsten Zweifel auszublenden und weiter zu "glauben"? Ich kann das nicht und darum empfinde ich einen Film wie "Die Passion Christi" als super-dogmatisch.
Also was soll’s. Wenn man sich generell drauf geeinigt hat, dass der Erlöser auszusehen hat wie eine Mischung aus Max von Sydow und Daniel Küblböck, dann kann man das glauben – oder eben nicht. Wie auch immer man eine Figur abbildet, von der keinerlei Bild (ich lasse das Turiner Tuch mal weg) existiert und an deren bloße Existenz man auch glauben muss oder eben nicht, historisch korrekt wird das nie sein.

Das ist ja schon aus den Jesus-Darstellungen von anderthalb Jahrtausenden bekannt, dass Jesus immer ein bisschen so aussah, wie es dem entsprechenden Geschmack der Zeit entsprach. So wäre ein Jesus mit Flat, Irokese oder einer anderen Modefrisur wohl heute die adäquateste Darstellung ... nur leider, hat die Kirche eine entsprechende Kunstförderung in letzter Zeit ein wenig vernachlässigt. Daniel Küblböck als Jesus – das ist doch überhaupt die Idee! Ich stelle mir gerade vor, wie er mit seiner schrillen, nasalen Stimme, die Bergpredigt herunterjodelt und dabei spastisch mit den Armen in der Luft fuchtelt. Oder wie er am Kreuz das "Gott hat mich verlassen" noch – musicallike – zum Besten gibt, bevor man ihm die Lanze in die Seite sticht, damit er endlich die Schnauze hält. Und Dieter Bohlen als Pilatus? Das kommt doch hin!
Und am Kreuz beschwert sich Jesus (nach der Überlieferung zweier Evangelisten) ja dann auch folgerichtig nicht „Satan, Satan, wie hast Du mich verarscht!“ sondern „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Das passt zwar nicht zur typisch amerikanischen Schwarzweissmalerei (Gott mit uns, Satan mit den anderen), aber der Gott der Bibel ist eben auch nicht so eindimensional.

Das "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" ist kein Zeichen der Verzweiflung oder der Abkehr von Gott, sondern der Anfang zu Psalm 22, einem jüdischen Sterbegebet, in dem es unter anderem heißt:
Doch ich bin kaum noch ein Mensch,
ich bin ein Wurm, von allen verhöhnt und verachtet.
Wer mich sieht, macht sich über mich lustig,
verzieht den Mund und schüttelt den Kopf:
"Vertrau doch auf Gott! Der kann dir ja helfen.
Er läßt dich doch nicht im Stich!
Bist du nicht sein Liebling?"
[...]
Schon losen sie um meine Kleider
und verteilen sie unter sich.

Na, kommt uns das bekannt vor? Genau, das wird dann gern als in Erfüllung gegangene Prophezeiung hingestellt, als Beweis, das es sich bei Jesus tatsächlich um den erwarteten Messias gehandelt haben soll. Moderne Exegeten gehen davon aus, dass es sich dabei um Worte handelt, die Jesus nachträglich in den Mund gelegt wurden, denn es ist anzunehmen, dass die Verfasser der "Frohen Botschaft" das Alte Testament kannten. Höchstwahrscheinlich wurde aus ähnlichen Gründen auch der Geburtsort Jesu mal eben verlegt:
Wenn Jesus im Stall von Bethlehem geboren sein soll, dann nicht wegen einer abstrusen Volkszählung, sondern aus ideologischen und schon im Alten Testament verwurzelten Gründen: "Aber du, Bethlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll." Micha heißt der Prophet, der das weissagt. Und wie könnte die göttliche Planung sich besser beweisen, als durch eine Erfüllung solcher Ankündigungen? Nun wusste damals aber dummerweise offenbar so gut wie jeder in der Gegend, dass Jesus aus Nazaret stammte, einem winzigen Nest in Galiläa, das bis heute untrennbar mit seinem Namen verbunden ist. Also schiebt Lukas die Geschichte ein bisschen zurecht, lässt die tatsächliche Volkszählung des Quirinius ein paar Jahre eher stattfinden und dehnt sie gleich auf die ganze römische Welt aus.

Quelle: "Jesus – Was Forscher heute wissen", Der Stern, 18.12.2002

Tja, so ist das mit der Geschichte Jesu. Es stimmt hinten und vorne nicht. Und das lustigste: noch nicht einmal auf die Angabe des Geburtsjahres ist Verlass. So wurde Christus höchstwahrscheinlich vier Jahre vor Christus geboren. Wenn man es also genau nimmt, leben wir im Jahre 2008 des Herrn.
Ach ja, und ein wichtiger Faktor bei der durchschnittlichen Lebenserwartung ist immer die Säuglingssterblichkeit. Die Leute sind also, sagen wir mal, im Schnitt (!) 30 geworden. Aber für jedes Kind, dass an seinem ersten Lebenstag starb und sein 15jährige Mutter mitnahm durfte ein Zimmermann 75 werden ;-) .

Da hast du wohl Recht, razormichel.
Es gibt da einen sehr guten Dokumentarfilm, der sich mit dem Thema befasst.

:-D :-)) :-D
Übrigens irrst Du, was mich betrifft. Ich bin religiös - oder zumindest gläubig. Aber offenbar irgendwie anders als der Herr Gibson. Irgendwie. :-D :-D :-D

Neuheide? Nee, erzähl mal, an was glaubst du denn so?
Am Tag des Jüngsten Strafgericht
da scheidet sich: gläubig oder nicht!
Und während gelb und ich und alle atheisten
in der höll ein scheußlich dasein fristen
(mit feuerlodern, folterqualen und dem pipapo,
nichts zu lesen auser pilcher sowieso)
da sitzt der razor, weil nicht dumm
fröhlich schreibend im Elysium!

P.S.
Massenpsychose! Massenpsychose! Das ist derart ... treffend... hach, gelb, es juckt mich soooo in den fingern, deine Christentumbeschreibung, so unendlich treffend, anonym meinem Religionslehrer vor die Tür zu legen. Wirklich bissig und passend.

Ach, Silentium, meine liebe Silentium, deine Verse erwärmen mein Herz. Allerdings irrst du auch, was mich betrifft. Es würde wahrscheinlich ein bisschen zu weit gehen, mich einen "Gläubigen" zu nennen (zumindest aus Sicht der Christenheit), aber ein Atheist durch und durch bin ich dann doch nicht. Vielmehr gehen mein Zweifel und mein Glauben Hand in Hand. Ich sehe zwar die Bibel als eine Sammlung von Schriften an, die von Menschen für Menschen geschrieben wurden, als einen Mythos wie jeden anderen, dennoch habe ich durchaus Sätze und Lebensweisheiten darin gefunden, die das Feuer meines Zweifels unbeschadet überstanden haben und für mein Leben und die Deutung meines Lebens wertvoll und bedeutsam sind. Ich glaube zwar nicht an eine Auferstehung, an einen Tag des jüngsten Gerichtes oder einen Himmel, aber ich glaube z.B. durchaus daran, dass diese Welt geschaffen wurde (obwohl andere Möglichkeiten ebenso denkbar sind, z.B. eine Welt, die es schon immer gab). Auch wenn ich wiederum nicht daran glaube, dass das vor ca. 6000 Jahren stattgefunden und sechs Tage beansprucht haben soll. Das größte und am schwersten wiegende Problem, das ich angesichts der drei großen monotheistischen Weltreligionen habe, ist, dass sie alle in irgendeiner Form das Leben verneinen, es als Prüfung oder Zwischenlauf für eine spätere Existenz begreifen. Dieser Gedanke ist mir vollkommen fremd und zuwider. Da halte ich es lieber mit den Worten von John Lennon:
Imagine there’s no heaven,
It’s easy if you try,
No hell below us,
Above us only sky,
Imagine all the people
Living for today...

An was ich "glaube", nennt man dann wohl eine Art naiven Pantheismus. Na ja, und nach dem Leben ist halt Sense. Nix mehr mit im Fegefeuerbrutzeln und Pilgerlesen.

@charis
Ob man in Matera auch Folter-Workshops besuchen kann oder einen Kurs "Kreuzigung für Anfänger" – angefangen mit der Auswahl des richtigen Holzes für den Kreuzbau bis hin zur Frage, wie nagelt man den Hobbychristus richtig fest?!? Ich habe mal gehört, dass sich irgendwo in Mittelamerika gläubige Menschen Jahr für Jahr am Karfreitag richtig ans Kreuz nageln lassen. Ja, das nenne ich wahren Glauben! Sollte man, wenn ihr mich fragt, neben Taufe und Abendmahl zu einem obligatorischen Ritual für Christenmenschen machen, während Ostereiersuchen und Weihnachtsbaumplündern den Heiden vorbehalten bleibt.

MfG,
[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

Silentium
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Re: Meine Fresse, hat der Jesus wat gelitten

Beitragvon Silentium » 01.04.2004, 20:04

Daniel Küblböck als Jesus – das ist doch überhaupt die Idee! Ich stelle mir gerade vor, wie er mit seiner schrillen, nasalen Stimme, die Bergpredigt herunterjodelt und dabei spastisch mit den Armen in der Luft fuchtelt. Oder wie er am Kreuz das "Gott hat mich verlassen" noch – musicallike – zum Besten gibt, bevor man ihm die Lanze in die Seite sticht, damit er endlich die Schnauze hält.


Himmel! Da sei Gott davor, mein lieber Pantheist! Jesusmariaauchnochmal! Nein. Hier hätten die Römer Gnade vor Recht ergehen lassen und ihn durch das Schwert gerichtet. Das stundenlange Gejaule, dass er da aufgeführt hätte- DAS wäre grausam gewesen.
Allerdings... Kirche +Musik... heute in der Schule den Proben zum Ostergottesdienst gelauscht. Gibt es eigentlich eine langweiligere, dümmlichere Musik, als die moderne Kirchenmusik?
Ich looobe meinen Gooohht, ich looobe ihn von Hääärzen..... Broooot, daass sich seeelber teilt.... Jesus ist in unserm Leeeeben...
Mit verstimmter Gitarre und dem etwas zittrigen Bariton eines Mathematikprofessors.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon


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