Zahnschmerzen

Moderne Literatur heißt: Kino, Theater und Oper nicht vergessen. Welcher Film ist sehenswert? Welche Inszenierung gelungen?
razorback
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Zahnschmerzen

Beitragvon razorback » 03.07.2004, 02:28

Gestern, liebe Freunde, gestern sah ich "Kleine Haie" auf DVD. Und las nebenbei das Drehbuch. Und dachte mir so "Razor, was haste eigentlich immer gegen den Sönke Wortmann gehabt?" Gut, "Der bewegte Mann" zum Beipiel ist harter Kitsch und vor allem mit Till Schweiger, dieser Starrkrampffresse, aber herrjeh - "Kleine Haie" ist doch ein tadelloser Film. 1a, wunderbar, alles gut. Okay, Meret Beckers Stimme ist zum Schockfrosten, aber da kann ja Frau Becker nichts für, für die andererseits spricht, dass sie den Vornamen mit einer meiner Töchter teilt und die als Schauspielerin sowieso ebenfalls tadellos ist, wie eben auch der ganze Film. Also, ganz kleine Brötchen backen und bei Herrn Wortmann im Geiste für vergessene Grosstaten entschuldigen.

Tja, Demut macht dann zuweilen leider auch übermütig. Denn, so dachte ich, wenn ich dem Herrn Wortmann Unrecht getan habe, vielleicht tue ich ja auch der Frau Dörrie seit Jahren Unrecht, nur weil so grob in meinem Kopf herumspukt, dass deren Werke trotz Lob und Preis und Gejubel doch ziemlich Scheisse sind. Und also begab ich mich in die Videothek und lieh mir Nackt aus. Selbst Schuld.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Drei Paare treffen sich zu einem Abendessen, aufgrund einer doofen Wette ziehen sich zwei Paare aus und begrabbeln sich, dann ziehen sie sich wieder an und gehen nach Hause. Bis auf die Gastgeber natürlich. Dazwischen, davor und danach wird gelabert, dass die Tapete von den Wänden kommt. In Dialogen, die künstlicher, konstruierter und darüberhinaus blöder nicht sein könnten, werden Sätze abgesondert wie: "Ich zeige Dir meine Seele, und Du guckst gar nicht hin." Auch von "Speck auf der Seele" ist dauernd die Rede. Und von Liebe natürlich. Überhaupt ist ungeheuer viel die Rede, im Grunde ist das ein sehr langweiliges Hörspiel, dass Frau Dörrie, da sie ja Filmemacherin ist, bebildern musste. Ach ja - gesungen wird auch. Das muss ja nun gar nicht sein. Der einzige Trost ist, dass ausser Doris Dörrie und einigen ihrer Fans unter den kulturbeuteligen Kritikern wohl niemand an diesen Schwachsinn glaubt. Hoffe ich. Ich würde ja Angst davor haben, so zu werden wie die Leute in dem Film, wenn ich glauben würde, dass es solche Leute gibt.

Nie, nie wieder will ich über französische Problemfilme schimpfen, denn die kommen wenigstens nicht so bildungshuberisch daher wie dieser Bockmist.

Unlogisch durch und durch ist der Film ausserdem. Na, was soll's. Immerhin zieht sich Alexandra Maria Lara aus. Das entschädigt ein wenig. Nina Hoss, Jürgen Vogel, Heike Makatsch, Benno Führmann und Mehmet Kurtulus spielen auch mit.

Und es ist sehr (wenn auch sicherlich unfreiwillig) komisch, dass in deutsche Filmen stets psychologische Studien den Ausschlag geben müssen, damit mal etwas zumindest ansatzweise (zart ansatzweise) erotisch Gewagtes passiert. Das bleibt dann in diesem Film zwar auch auf dem Niveau kichernder Vorpubertierender stecken (trotz abgenudelter Bumsszenenmusik, zu der dann nichtmal... ach, egal... :-& ), aber wie gesagt - komisch ist es. Und das ist ja bei einer Komödie nicht unwichtig. Ach, habe ich das vergessen? Dieses Filmische Pendant zu einer Schlaftablette nennt sich Komödie. Ha!

Mir fällt da, ich weiss nicht warum, der Schlussdialog eines Comics aus der Feder des von mir recht geschätzten Jamiri ein:

"Das ist verblüffend!"
"Was?"
"Von Deinem Gequatsche krieg ich Zahnschmerzen."

In diesem Sinne...
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

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Re: Zahnschmerzen

Beitragvon Hamburger » 20.07.2004, 21:05

Hallo razor,

ich hab den Film "Nackt" vor - puh, lass mich nicht lügen" - ich glaub mindestens zwei Jahren im Kino gesehen. Mit meinen Eltern, muss ich zur Entschuldigung vorschieben (denen der Film übrigens ausgezeichnet gefallen hat- ich habe ihn dann diplomatisch "gar nicht so schlecht" genannt).

Ich kann unterschreiben was du schreibst. Dieser Film leidet halt vornehmlich unter dem Manko (und das ist nicht sein einziges Manko) alles auszusprechen, was er dem Zuschauer mitteilen will.
Wenn ich mich alleine an den Schluss erinnere, als Benno Führmann mit seiner Partnerin (ich glaube es war Nina Hoss) über Geld diskutiert - fürchterlich deutlich.
Dieser Film ist sicher ein Beispiel dafür wie man eine Reißbrettkonstruktion 1:1 umsetzt.

Das bringt mich auf die Idee, hier mal eine Diskussion um den deutschen Film anzustoßen.
Ich habe in letzter Zeit nämlich zwei sehr gute deutsche Filme gesehen, die ich auch demnächst noch rezensieren werde.

Daher rufe ich alle mal auf ihre Meinung zu sagen. Was zeichnet eurer Meinung nach den deutschen Film aus? Was nicht? Welche Produktionen sind es echt wert gesehen zu werden und welche deutschen Filme würdet ihr gerne sehen? Und welche nicht? Und überhaupt schreibt mal was dazu... ;-)
So, nun muss ich los und die Gedanken an Dorris Dörrie aus meinem Kopf
verscheuchen.
Ach, da fällt mir noch eine Frage ein: Ist es schlimmer Rosamunde Pilchers Bücher zu lesen oder Frau Dörries Filme zu sehen?

Leinwand-Grüße,

Hamburger
"If it's a hit? - Yeah, that's me! If it's a miss? - Yeah, that's me!" (Robert Palmer)


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