2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

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2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon razorback » 20.03.2008, 11:16

Gestern ist Arthur C. Clarke gestorben.

Arthur C. Clarke schrieb sowohl den Roman "2001" als auch das Drehbuch zum gleichnamigen Film, und ist dadurch auch außerhalb der Sience-Fiction-Gemeinde (zu Recht) bekannt geworden. Für die schöne Optik des Films und wohl auch für den sehr wohltuenden, ruhigen Rhythmus ist sicher Stanley Kubrick verantwortlich - aber die grundlegende Geschichte stammt von Clarke - und ist typisch für ihn.

Arthur C. Clarke gilt als Vertreter der "technischen" Science-Fiction. Er beschäftigt sich meist mit möglichen technischen Errungenschaften der Zukunft und baut darum seine Geschichten. Technische Science Fiction neigt dazu, daneben zu hauen. Nicht, was die technischen Beschreibungen angeht - die treffen meist irgendwann wirklich zu, wenn auch meist viel später, als der Autor dachte. Aber technische Autoren neigen dazu, die gesellschaftlichen und psychologischen Umstände ausser Acht zu lassen. Deshalb muten zum Beispiel die Geschichten von Jules Verne heute so bizarr an. Klar - da sind Raketen, Langstrecken-U-Boote, etc., etc. - und darum eine intakte Welt des 19. Jahrhunderts. Wirkt komisch. Und interessiert mich nicht besonders.

Das ist übrigens keine Kritik. Schriftsteller sind keine Propheten und wollen es meist auch nicht sein. Es ist nur der Grund, warum ich mit technischer SciFi nicht so viel anfangen kann.

Clarke aber war anders. Sicher: Er war ein Technikschreiber - und teilte das oben beschriebene Schicksal aller Technik-SciFi-Autoren. Aber die reine Technik war ihm nie genug, der Gedanke über die Welt dahinter und die Menschen, die von dieser Welt beeinflusst werden und sie beeinflussen, war bei ihm immer sehr wichtig, wenn nicht wichtiger. Deutlich sichtbar in "2001", aber auch zum Beispiel in der erstklassigen Kurzgeschichte "The Star". Das ist, soweit ich es sehe, die einzige Geschichte dieser Science-Fiction Gattung, die es schafft, die Beschreibung technischer Möglichkeiten und astronomischer Gegebenheiten mit Gedanken zu Religion und Metaphysik wirklich zu verbinden. In einer einzigen, brillanten, messerscharfen Pointe.

Wir hatten in diesem Forum einmal eine sehr interessante Diskussion zu Asimovs drei Gesetzen der Robotik. Ich halte diesen Entwurf Asimovs wirklich für sehr bemerkenswert, und sicher für seinen wertvollsten Beitrag zum Genre. Aber gegen die Gedanken, mit denen Clarke sich oft beschäftigt, ist das Kinderkram.

Es gibt für mich nur zwei Autoren, die wirklich in der Lage sind, eine Brücke zu bilden zwischen dieser komischen Supertechnikwelt und den Visionen etwa eines Philip K. Dick, eines Iain Banks oder auch eines Tad Williams, die ich so liebe und bewundere.

Der eine ist H.G. Wells. Und der andere natürlich Arthur C. Clarke.

Eine Verbeugung vor einem langen, schöpferischen Leben und einem beeindruckenden Werk.

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 20.03.2008, 13:25

razor, hast du einen hang zur heldenverehrung?
entschuldige die provokative frage - ich meine das nicht negativ, es ist schön, wenn sich jemand für etwas oder jemanden begeistern kann. und wenn, wird es selten so artikuliert, gilt vielleicht heutzutage als unmännlich, hymnen auf andere zu verfassen ...
clarke kenne ich fast nur als autor von "2001", ich habe nur dieses buch gelesen - ansonsten über ihn. meistens feierte man ihn weniger, sondern kritisierte ihn. und erklärte, dass kubrick ihm 2001 mehr oder minder von der story her diktiert hätte - er wäre nie so berühmt geworden, hätte kubrick ihn nicht inspiriert.
ich kann das nicht beurteilen, ich kenne sein werk zu wenig.

von wegen zukunft vorhersagen in literatur: das ist wohl deshalb so schwer, weil die welt sehr komplex ist. es wirkt oft irrational, welchen weg die gesellschaft einschlägt, was sie befürwortet und was sie ablehnt. manche neue tabus sind unprognostizierbar.

etwa das tabu der abscheu vor gentechnischen veränderungen am erbgut des menschen (beim tier zumeist erlaubt), aber keine abscheu vor dem bau von robotern, auch menschenähnlichen robotern.

oder das tabu der sterbehilfe beim menschen, während beim tier sterbehilfe geradezu positiv konnotiert ist.

das kann man nicht voraussehen, weil es mit vielen emotionen verbunden ist. man müsste schon, um zukunftsvisionen noch besser fiktional umsetzen zu können, ein team an autoren bilden, die alle ihre vorstellung einbringen, wie es etwa in 50 jahren aussieht auf dem planeten. sie würden dann gemeinsam eine art kompromisswelt erschaffen. das wäre, konkret als projekt angedacht, sehr spannend. jeder würde quasi ein paar neue bausteine an dieser imaginären zukunftswelt mit hineinzimmern und ansonsten versuchen müssen, sich in die von den anderen gestaltete welt mit hineinzuleben.
ich prognostiziere dann allerdings einen für den leser höchstwahrscheinlich kaum noch zu verstehenden roman ;)

oder?

lg
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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon KaRe » 20.03.2008, 16:03

ich prognostiziere dann allerdings einen für den leser höchstwahrscheinlich kaum noch zu verstehenden roman ;-)


wieso sollte der Leser das nicht verstehen, solange es die Autoren so beschreiben, wie sie es verstehen?
Mich würde solch eine Zukunftsvision, die mehrere Menschen (Wissenschaftler, Phantasten, Visionäre ...) entwickelt haben, sehr interessieren. Gibt es nicht schon derartige Projekte?
es wäre gar nicht so schön ohne mäntelchen, wenn man keines hätte

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 20.03.2008, 17:11

ich frage mich: hätte jemand um 1900 unsere wirklichkeit von heute beschrieben, so wie sie wirklich heute ist ... hätte man das damals kapiert?

es gibt immerhin einige zukunftsforscher, aber ob die zusammen tatsächlich FIKTIONAL-PROGNOSTIZISTISCHE BÜCHER schreiben?

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon razorback » 20.03.2008, 17:20

Glaukos... ich kann nichts dafür, ehrlich. Was soll ich dagegen tun, dass im Moment dauernd Leute sterben oder geehrt werden, die für mich in irgendeiner Form von Bedeutung sind :-D .

Nein, ich glaube nicht, dass ich einen Hang zur Heldenverehrung habe. Und wenn, würde ich Clarke durchaus nicht als einen meiner "Helden" bezeichnen. "The Star" gehört zwar unbedingt zu meinen Lieblingsgeschichten aus diesem Genre - aber in einem anderen Text hat Clarke auch eine der dämlichsten Folgerungen gezogen, die ich (auf diesem Niveau) je gelesen habe.

Ich habe versucht, einen Tag nach seinem Tod einen sehr wichtigen Autor aus einem Genre zu würdigen, in dem ich auch zuweilen schreibe. Und ich denke, dieser kleine Nachruf ist das Mindeste, was er verdient hat.

Hier übrigens

von wegen zukunft vorhersagen in literatur: das ist wohl deshalb so schwer, weil die welt sehr komplex ist. es wirkt oft irrational, welchen weg die gesellschaft einschlägt, was sie befürwortet und was sie ablehnt. manche neue tabus sind unprognostizierbar.


hast Du mich, glaube ich, missverstanden. Ich messe keinen Autor, auch keinen SciFi-Autor, daran, ob er ein begabter Hellseher ist, oder nicht. Darum geht es ja nicht. Das manche Autoren dieses Genres sich dafür halten oder gar - im Nachhinein und zu ihrem Schaden - von anderen dazu gemacht werden (Jules Verne, der arme), ist eher schlecht.

Ich habe mich zu dem Thema "Technische Science Fiction" schon einmal sehr ausführlich geäußert und will das nicht noch einmal alles wiederkäuen, wer Interesse hat, lese hier (etwas runterscrollen bis zum Eintrag vom 2.9.04 ff):

http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=977

Ich mochte diese Diskussion, und führe sie gerne weiter, aber wie gesagt - nicht alles nochmal neu.

Oh... und falls jemand das alte Fass von "warum überhaupt Sci Fi und Co." nochmal aufmachen will, den verweise ich auf den italienischen Sozialarbeiter:

http://www.literaturforum.net/viewtopic.php?t=310


Tja... hoffen wir, dass die noch lebenden unter meinen "Helden" sich weiter bester Gesundheit erfreuen. Sonst muss ich Glaukos weiter nerven. Das will doch keiner. ;-)
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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 20.03.2008, 17:32

razor,
bei gelegenheit werde ich mir die threads mal durchlesen.
vermutlich habe ich dich fehlgedeutet ...

... für mich ist übrigens die gegenwart schon sf genug. was ich da täglich zu lesen bekomme in den gazetten über die forschungen in sachen roboterwissenschaften oder hirnwissenschaften sowie gentechnologie - das ist unfassbar und ich habe mühe, das alles zu ende zu denken, die frequenz der neuerung ist zu hoch, ich komme zu kaum mehr als einem staunenden "AHA?!"

täglich werden alte prognosen von mir widerlegt, andere aber auch bestätigt. es ist verwirrend ... ich hätte nie geglaubt, dass man das gehirn mal transparent bekommt, und wenn doch, dann nicht mehr "in meiner lebenszeit". jetzt kann man z.b. bilder allein an den hirnströmen und sauerstoffverteilungen quasi nachkonstruieren, also: wenn man mir ein bild zeigt, dann stimuliert das bild mein gehirn in einer weise, die sich anhand der von außen ermittelbaren daten auch außen zu großer prozentzahl richtig reproduzieren kann. das ist ... eine revolution in meinen augen. entweder das experiment hat irgendwo einen fehler (wiewohl expertenseiten wie etwa telepolis und golem darüber berichtet haben, wenn ichs mir recht gemerkt habe ...) - oder wir sind wirklich kurz davor, das gehirn und damit unsere wahrnehmung auch noch zu entschlüsseln.

komplette mindcontrol wäre damit langfristig möglich. will sagen, ein superorganismus wie ein superhypergigarechner könnte dann alle menschen mit einer bestimmten technik (permantentes gehirnwellenscreening überall) transparent machen.

es gäbe dann so gut wie kein geheimnis mehr.
wir hätten einen allsichtigen gott. den, den man früher immer erträumt und sich "erglaubt" hat, den, den die atheisten dann in ihrem glücklichen jahrhundert (dem 20ten) als illusion enttarnt hatten, und den, der im 21ten jahrhundert dann geschaffen wurde.

privatsphäre ade, heißt das dann.
ich glaube, die wenigsten menschen beschäftigen sich wirklich mit diesen fragen, und wenn, nicht philosophisch. darum gehen gerne ein paar autoren her und bereiten das ganze mal ganz einfach fürs volk auf ...

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Jack Swallow » 31.03.2008, 13:07

Wow, Glaukos...
wenn das mal keine schöne neue Welt wäre. Dann müßte man noch umsteigen auf Rum-Pillen, die dann direkt, ohne den Umweg über den Euro, für unser Glück sorgen würden. Wäre ja dann technisch auch machbar...

Denke, daß man sich allgemein viel zu viel einbildet. Das bildgebende Verfahren in der Gehirnforschung bsp. mit der Entschlüsselung des menschlichen Bewußtseins gleichzusetzten, würde meines Erachtens zu weit gehen. Denke auch nicht, daß durch das "Transparent-machen" des Gehirns, sich das Transzendentale gezwungenerweise auflöst. Man darf nicht vergessen, daß das menschl. Denken zur Reflexion bis zur Iteration imstande ist. Vielleicht ist es ganz gut, die Augen zu öffnen und sich in den Wissenschaften heute umzuschauen. Das Interessante dabei ist, daß die Quantenphysiker heutzutage vielleicht die zeitgenössischen Philosophen sind, gezwungenermaßen sozusagen, ohne das sie es wissen. Der Umstand, daß die Weltformel noch nicht gefunden wurde, dank der MistGravitation, läßt darauf schließen, daß unsere Wahrnehmung oder unser Bewußtsein diesen Zusammenhang noch nicht verstanden hat und das Denken in dieser Hinsicht vielleicht einer Weiterentwicklung bedarf. Oder mit anderen Worten... Die Übersetzung der Quantenfeldtheorie in eine Art Philosophie, (obwohl man dazu vielleicht die herkömmliche Logik modifizieren müßte, soweit dies überhaupt möglich ist).
Denke, daß das das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht ist und das Transzendentale oder die sogenannte Metaebene nicht so ohne weiteres durch "Bilder" ersetzt werden kann (siehe Quantenfeldtheorie). Oder hat man Platons Ideenlehre in ihrer Substanz schon widerlegt? Eigentlich nicht so richtig, oder?

Grüße
"Dem schauenden Auge das Wort lassen" (Edmund Husserl)

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 04.04.2008, 13:38

hallo jack,
was bedeutet das:


...wenn das mal keine schöne neue Welt wäre. Dann müßte man noch umsteigen auf Rum-Pillen, die dann direkt, ohne den Umweg über den Euro, für unser Glück sorgen würden. Wäre ja dann technisch auch machbar...


was meinst du mit EURO? Rum-Pillen? Ist mir völlig unklar ... wenn es ein Witz ist, musst du ihn mir Humorlosen nochmal erklären ;-)


Ich glaube inzwischen schon, dass das Bewusstsein entschlüsselbar sein wird.

Mit dem Begriff des Transzendentalen (und auch nicht mit Transzendenz) habe ich mich nicht befasst und kann deshalb auch nichts Hirnreiches dazu sagen, i am sorry.

Die Quantenphysiker sind für mich weniger Philosophen, wie du es schreibst, sondern Märchenerzähler. Sie spielen alle denkbaren Möglichkeiten durch, jeder erfindet seine eigene Theorie, wenn ich mir Mühe gäbe, könnte ich auch eine eigene erfinden.
Für mich gibt es nach wie vor ein paar Philosophen.

Ob eine Weltformel je zu finden sein wird, ist seinerseits unklar. Es gibt so viele Rätsel, die sich schon für sich allein nicht lösen lassen, weshalb ich denke, eine große vereinigende Theorie muss noch lange auf sich warten lassen, man wird sich wohl über die Lösung(en) der vielen kleinen Probleme an die etwaige Weltformel annähern können. (So, wie Einstein Newton nicht widerlegte, sondern erweiterte ... wird auch Einstein erweitert werden ... bis, eventuell, eines Tages die Weltformel gefunden wäre)

Mit der Quantenfeldtheorie habe ich mich nicht eingehender beschäftigt, was sie vermag, kann ich nicht abschätzen.

Inwieweit man Meta-Denken abbilden kann - das ist eine spannende Frage. Ich halte nichts für unmöglich ... denn ich werde nie vergessen, wie ich 1992 in NZL den Wendersfilm "To the end of the world" gesehen habe und dort die Visualisierung von Träumen thematisiert wird. Ich fand den Film fürchterlich, hielt ihn für banalsten SF ... und heute, gerademal 16 Jahre später, sieht es so aus, als ob man eines Tages tatsächlich Traumbilder visualisieren kann ...

Inwieweit dann auch Gedanken zu fixieren sind - das erscheint auch mir komplexer, weil es eines ist, ein Bild zu sehen bzw. widerzugeben, und ein anderes, was man von dem Bild hält, wie man es interpretiert, was man dazu fühlt ... dennoch staune ich über die rasanten Fortschritte innerhalb der Wissenschaften, mir scheint, es wird heute in 10 Jahren so viel Neues gefunden wie vorher in 100 ... auch, weil wir heute wunderbare Techniken haben, die uns die weitere Forschung sehr erleichtern .....

Platons Ideenleere ist mir ein vager Begriff, ich glaube, er meint, die Welt bestünde eher aus unserer Vorstellung von den Dingen und nicht aus den Dingen selbst, Materie wäre somit nachgeordnet?

Ich fürchte, bei so einer Philosophie wäre ein Chauvinismus zu konstatieren: Nur, weil der menschliche Geist in der Lage ist, Ideen zu konstruieren, glaubt er gleich, dass alles auf Ideen basiert. Und wenn er einen Schritt weiter geht, ist er so gütig und erklärt, dass ja ALLES, am besten auch die Atome, eigentlich denken und Ideen verfolgen etc., eigentlich sehr löblich, wiewohl das noch nicht richtig sein muss ... der Geist ist wohl noch immer im Stadium seiner Selbstbespiegelung und Selbsteinschätzung ... und hier und dort über- oder unterschätzt er sich gewaltig ...

oder wie siehst du, seht ihr das?

LG
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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon andres » 06.04.2008, 16:37

Moin Glaukos,

und heute, gerademal 16 Jahre später, sieht es so aus, als ob man eines Tages tatsächlich Traumbilder visualisieren kann ...


Ich denke, dass du da den Erkenntnisstand unserer Hirnforscher überschätzt.

Gerhardt Roth, eine Größe auf diesem Gebiet, hat das mal recht gut zusammenfasst. Die moderne Forschung kann mit Hilfe von bildgebenden Verfahren recht gut beschreiben, wann sich etwas wo abspielt, hier wird also eher eine quantitative Forschung betrieben. Die eigentlich qualitativen Frage, also die nach dem wie und warum, sind noch weitgehend ungeklärt. Und von einem Verständnis der Qualia ist man meilenweit entfernt.

Obwohl also die Aussagekraft bildgebender Verfahren recht begrenzt ist, treten immer wieder einzelne Forscher an die Öffentlichkeit und verkünden prophetischen Botschaften. (Wir haben das Gehirn bald entschlüsselt, etc.) Warum? Das könnte man stark verkürzt so darstellen: Mehr Aufmerksamkeit= erhöhtes Budget.

Die Quantenphysiker sind für mich weniger Philosophen, wie du es schreibst, sondern Märchenerzähler.


Tatsache ist, dass die Logik der herkömmlichen Physik hier nicht mehr anwendbar ist. Ein Teilchen kann eigentlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, Quantenphysiker haben aber genau das bewiesen.
Diese Ergebnisse für sich alleine haben keine Aussagekraft, sie bedürfen einer Interpretation. Und hier, da stimme ich dir zu, wird es oft märchenhaft, absonderlich, etc. Dennoch ist das kein Argument gegen die Quantenphysik oder die Interpretation ihrer Ergebnisse. Man sollte lediglich sehr vorsichtig vorgehen, das Neuland behutsam erkunden. Und wer weis, vielleicht kommt da irgendwann doch eine brauchbare Philosophie bei raus.

Nur, weil der menschliche Geist in der Lage ist, Ideen zu konstruieren, glaubt er gleich, dass alles auf Ideen basiert. Und wenn er einen Schritt weiter geht, ist er so gütig und erklärt, dass ja ALLES, am besten auch die Atome, eigentlich denken und Ideen verfolgen etc., eigentlich sehr löblich, wiewohl das noch nicht richtig sein muss ... der Geist ist wohl noch immer im Stadium seiner Selbstbespiegelung und Selbsteinschätzung ... und hier und dort über- oder unterschätzt er sich gewaltig ...


D’accord ... dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen! Die Ideenlehre ist ein Meisterstück der Anthropozentrik!

MFG

Andres
werden.

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 07.04.2008, 02:24

Salut Andres,
bist du auch Jack Swallow? Irgendwie bekomme ich hier den Eindruck, das wäre so ...

Das mit dem Erkenntnisstand der Hirnforschung: Soweit ich weiß, forscht man derzeit über die Durchblutungsweisen im Gehirn und leitet von der Konzentration von Sauerstoff (soweit ich weiß) in bestimmten Regionen dann ab auf die etwaigen Bildinhalte, die der Getestete im Augenblick des Tests vorgesetzt bekommt.

Es ist in der Tat noch kein Abbilden von Gedanken, aber es ist ein Weg in diese Richtung.

Wie und warum - es wird ein nicht zu komplexer Algorithmus sein, der allem zugrunde liegt. Eine Mischung aus paralleler und serieller Arbeitsweise - vielleicht ganz primitiv vergleichbar mit den Rechnern im Spaceshuttle, die soweit ich weiß in fünf Exemplaren und dabei auch in unterschiedlichen Gerätetypen dasselbe Input berechnen und dann Entscheidungen via Mehrheitsentscheidung treffen. Was ich für sehr raffiniert halte, weil das immer Entscheidungsfähigkeit bedeutet ...



"Ein Teilchen kann eigentlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, Quantenphysiker haben aber genau das bewiesen."

Nun, sie haben eben erst ein vages Wissen über die atomaren und subatomaren Strukturen. Deshalb wirkt es nebulös. Mit mehr Wissen und besseren Untersuchungsmethoden wird man auch hier Licht ins Dunkel bringen. Ich erwarte hier keine Mysterien - doch der derzeitige Forschungsstand wirkt auch auf mich seltsam und mysteriös.

Diese Phänomene zu deuten, ist für mich Fabulierkunst. Ein Wissenschaftler mit Anspruch stellt meiner Meinung nach vor dem Experiment eine These/Theorie auf und beweist sie dann in selbigen. Heute scheint mir wird wild experimentiert und dann eine Erklärung gesucht.

Nun, ich glaube nicht an die Zufälligkeit von Irgendwas im Universum, in meiner Vorstellung ist die Welt nicht zufällig und auch nicht teilweise zufällig, überall wirken Ursache-Wirkung-Zusammenhänge ...


Ja, die Ideenlehre spiegelt wohl unseren Geist bzw. den Mechanismus unseres Geists schön wieder. Spannend ist für mich die Vorstellung, dass es etwas geben wird, dass noch ÜBER dieser Ideenlehre rangiert - und das wir Menschen vermutlich nicht mehr werden fassen können .......


Schöne Grüße!
Tolya

andres
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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon andres » 08.04.2008, 16:16

Hi Glaukos,

ich muss dich enttäuschen. Ich bin nicht Jack Swallow, also mathematisch ausgedrückt: Andres ≠ Jack. Wie kommst du drauf?
Inhaltlich unterscheiden sich unsere Positionen auch (z.B. in Bezug auf die Ideenlehre).

In einem Punkt aber muss ich ihm zustimmen, die Hirnforschung wird in ihrer Aussagekraft überschätzt. Vor allem wenn sie (wie im Fall der Libet-Experimente) großtonig verkündet, dass die Willensfreiheit ad acta zu legen sei. Bla, Bla, Bla... Bin zwar kein begeisterter Anhänger der “Ich-habe-einen-freien-Willen”-Religion, aber die ganze Thematik sollte man doch besser auf ihrem Heimatboden belassen. Schließlich verpasst mir mein Hautarzt auch keine Nierentransplantation.:-D

Was die Aussagekraft der Hirnforschung in Bezug auf Willensfreiheit (denn das ist ja ein Knackpunkt bei der ganzen „Gehirnentschlüsselungsgeschichte“ ) angeht: Eine Dokumentation der ganzen Debatte ist hier (http://www.amazon.de/Hirnforschung-Willensfreiheit-Deutung-neuesten-Experimente/dp/3518123874)zu finden. Lesenswert.
(Nicht zuletzt wegen der energischen Revierverteidigung der Geisteswissenschaftler...)

Heute scheint mir wird wild experimentiert und dann eine Erklärung gesucht.


Da geht’s auch viel um Aufmerksamkeit. Eine neue, ev. revolutionäre Wissenschaft möchte sich etablieren, möchte ernstgenommen werden, gerade von den „alten“ Disziplinen.
Meiner Meinung nach ist das alles eine Frage der Zeit. Anfangs hat auch niemand die Psychologie ernst genommen, heute ist sie eine geachtete Disziplin. Das alles ist doch aber kein Argument gegen die Quantenphysik, höchstens gegen die Schreihälse, die zu viel Lärm produzieren.

Nebenbei: Tolya klingt nach einem lieblichen Wein, Glaukos hört sich felsig an. Felsgestein oder Rotwein?

MFG

Andres
werden.

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon [) i r k » 08.04.2008, 19:01

Ein Teilchen kann eigentlich nicht an zwei Orten gleichzeitig sein, Quantenphysiker haben aber genau das bewiesen.

Nur eine Kleinigkeit, aber - ich glaube - diese Aussage ist falsch. Unschärfe ist nicht gleichzusetzen mit Unlogik. Es ist eher ein grundsätzliches Problem der Messung, wenn ich das richtig verstehe:
Es ist nicht möglich, die Position und den Impuls eines Quantenobjektes gleichzeitig exakt zu messen. Die Messung der Position eines Quantenobjektes ist zwangsläufig mit einer Störung seines Impulses verbunden, und umgekehrt.

Quelle: Heisenbergsche Unschärferelation

Die Auflage von "Hirnforschung und Willensfreiheit" ist vier Jahre alt? Da mag der Untertitel "Zur Deutung der neuesten Experimente" auch etwas unscharf sein. :-D

Und ich trauere übrigens mit. :-( :-((
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Glaukos » 08.04.2008, 20:33

hallo andres,

na ja, in einigen threads hast du mit js oft sehr ähnlich "gesungen" ... es war nicht nur der thread hier ... und du wärest nicht der erste mit doppelt-account hier ...
so kann man dann eventuell seine eigene position verstärken oder dagegen polemisieren, was womöglich andere leute zum kommentieren anregt ...

ab jetzt nehme ich dich jedenfalls als identität nur mit dir selbst kongruent wahr *smile.


mein weingeschmack ist banal, ich kaufe doch gerne wein nach dem etikett, wenn ich ehrlich bin ... ein genießer werde ich kaum noch werden, höchstens ein trinker vielleicht ...
vielleicht denkst du bei tolya an tokaya?
der soll superlieblich sein, wenn ich nicht irre?

das mit der hirnforschung: den freien willen habe ich für mich glücklich beerdigt und bin seither ein ... zufriedener mensch. es gefällt mir gut, ein roboter zu sein, das nimmt mir die last der verantwortung für mein tun.
nicht allerdings die konflikte - die treten nach wie vor auf, weil sie teil der struktur sind, in der ich mich bewege. auch ein mechanischer roboter hätte konflikte, wenn man ihn menschenähnlich programmierte ... manchmal allerdings hielte ich es für cleverer, wenn entscheidungen nicht aufschiebbar wären und sofort tatsachen geschaffen würden ...

wie auch immer ... die illusion des freien willens hat mich zu einem eher unangenehmen zeitgenossen gemacht - einem streber und vorprescher und oft auch großmaul.
als roboter kann man gelassener an die belange des lebens herangehen.


schön auch, dass roboter keine schuld haben, sie machen höchstens fehler. was sie vor sanktionen natürlich nicht schützt ...

ein freier wille ist ohnehin eigenartig: als wäre man selbst eine art gott und könne tatsächlich die eigene welt so gestalten, wie man es selbst will. doch das gelingt noch nicht einmal bis zur perfektion in den eigenen tagträumen. ich wundere mich, wieso ich so lange an meinen willen geglaubt habe ... und an die macht meines willens. vielleicht habe ich zu viel nietzsche gelesen, und jener herr neigte ja bekanntermaßen auch sehr zur megalomanie.

oder wie denkst du über diesen komplex?


die psychologie hat raum erobert, das stimmt. weil sie wohl ein bisschen besser funktionierte als die religiös-pastorale psychologie der vorangehenden jahrhunderte.
die quantenmechanischen experimente werden gewiss irgendwann einmal eine neue formel ermöglichen, die, wie ich denke, nicht so kompliziert ist wie die formelungeheuer unserer tage.
und dann wird wieder eine phase kommen, in der neue rätsel auftauchen ... denke ich.

so besehen habe ich überhaupt nichts gegen quantenmechanik - sofern man sie mit überlegtheit betreibt und nicht mit naiver experimentierlust a la pierre und marie curie ... mich würde es nicht wundern, wenn bald mal ein teilchenbeschleuniger in die luft fliegt ... wenn forscher nur ausprobieren, um irgendwas herausfinden zu wollen, von dem sie gar nicht wissen, was es ist - sind sie meines erachtens sehr naive (und in der naivität sehr egoistische) zeitgenossen.
wiewohl man hier auch nicht gleich hysterisch reagieren muss: ein teilchenbeschleuniger ist kein kernreaktor ... soweit ich informiert bin *smile ......

oder?
lg
tolya

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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon razorback » 08.04.2008, 21:01

Nur eine Kleinigkeit, aber - ich glaube - diese Aussage ist falsch. Unschärfe ist nicht gleichzusetzen mit Unlogik. Es ist eher ein grundsätzliches Problem der Messung, wenn ich das richtig verstehe.


Nein, kein Problem der Messung - zumindest nicht in der Hinsicht, dass man es messen könnte, wenn man nur die richtigen Geräte hätte.

Ich versuche mal, die Erklärung des Mathematikers Laszlo Merö widerzugeben (sie ist nicht ursprünglich von ihm, aber ich kenne sie aus einem Buch von ihm) - einfach weil er eine Metapher formuliert hat, die ich als Nicht-Physiker verstanden habe. Sollte das unverständlich bleiben, liegt es sicher an mir - nicht an Merö:

Licht ist sowohl als Quantum als auch als Welle meßbar. Das widerspricht sich - ist aber so (bewiesen in so genannten Doppelspalt-Experimenten). Wenn man von einem Lichtteilchen ausgeht ist es so, als spränge ein Frosch ins Wasser, breite sich dort in Form einer Welle aus und krabbelt da, wo die Welle das Ufer berührt, wieder als Frosch an Land. Das Teilchen ist meßbar, und die Welle ist meßbar.

Man kann sich nun die Wellenfunktion an jedem Punkt im Raum als sprungbereiten Frosch ansehen. Diese Frösche sind weder existent, noch nichtexistent, sie sind Wahrscheinlichkeiten (Merö: "Wahrscheinlichkeitsfrösche"). Jeder Punkt der Welle entspricht also einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dort einen Frosch zu finden, wenn man misst, so wie jeder Punkt am Ufer einer gewissen Wahrscheinlichkeit entspricht, dass der Frosch gerade dort wieder hinauskommt.

Misst man nun an einer bestimmten Stelle, so existiert dort also eine gewisse Forschwahrscheinlichkeit. Und wenn man entsprechend der Wahrscheinlichkeit auf einen Frosch trifft, so ist es ein realer, messbarer Frosch - ein Teilchen.

Ein anderes Bild, in dem die Wahrscheinlichkeit gnädigerweise auf 50:50 reduziert wird, ist Schrödingers berühmte Katze (die Hamburger hier irgendwo schon einmal erklärt hat, wenn ich nicht irre). Für mich ist die Frage, ob die Katze lebt, bevor man die Kiste öffnet, nicht so quälen wie für viele Physiker. Ich gehe davon aus, dass sie lebt und nicht lebt, und das in dem Moment, in dem ich die Kiste öffne, etwas mit mir passiert, nicht mit der Katze. Was ja auch viel logischer ist - schliesslich mache ich ja etwas, nicht die Katze. In dem Moment, wo ich den Kasten öffne und nachsehe, legt sich mein Bewusstsein, das, was ich "ich" nenne, fest, und ich bewege mich entlang der Wahrscheinlichkeitslinie die meiner Beobachtung entspricht (z.B. "Katze lebt"). Vermutlich gibt es auch ein Bewusstsein, dass sich entlang der Wahrscheinlichkeitslinie "Katze tot" weiterentwickelt - aber dieses Bewusstsein bewegt sich nun außerhalb meines Erfahrungshorizontes.

Das ist natürlich eine Glaubensfrage - weil sich die Wahrscheinlichkeitslinie, die ich verlasse, nun außerhalb "meines" Universums befindet. Da aber schon Kants (ich komme immer auf Kant :-D ) Kategorienlehre nahelegt, dass unsere messbare Realität mit "Wirklichkeit" wenig zu tun hat, scheint mir das sehr logisch - logischer jedenfalls als das Paradoxon, das etwas gleichzeitig Welle und Teilchen ist. Da die Physik sich nicht mit Glaubensfragen und nicht messbaren Wirklichkeiten beschäftigt, sondern nur mit dem, was wir messen können, ist es klar, dass sie Wahrscheinlichkeiten misst, so lange sie sie sucht - und manifestierte Realitäten findet, wenn sie die Wahrscheinlichkeit dazu reduziert.

Ich glaube, Arthur C. Clarke hätte seine helle Freude an uns :-) .
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Re: 2008 - das Jahr, in dem wir Abschied nehmen

Beitragvon Silentium » 08.04.2008, 21:25

So lang wir uns darauf einigen können, dass jeder, der hier irgendwelche Katzen in irgendwelche Kisten steckt, ernsthafte Schwierigkeiten mit mir bekommt, ist alles gut...
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon


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