Maximal Anuschka

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ralf
Minotauros
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Maximal Anuschka

Beitragvon ralf » 26.10.2008, 22:50

Maximal Anuschka

Es ist auffallend, wie mich die junge Frau mustert, wenn ich in dem kleinen Markt an der Ecke zu ihrer Kassa gehe. Sie ist neu, erst seit einer Woche hier. Ihr Akzent lässt Russland oder die Ukraine als ihre Heimat vermuten. Sie wirkt immer ein wenig nervös, fast so als wäre sie dabei, sich in mich zu verlieben. Immer wenn ich ein nettes Wort zwischen dem Geldhinreichen zu ihr sage, kommt es mir vor als lausche sie verwirrt, gleichsam als wollte sie mir die Worte von den Lippen lecken. Sie wartet scheinbar sehnsüchtig auf meine Blicke und ihr Hals, oder ist sie es? - gurgelt dabei mit Schlucklauten. Fehlte noch, dass sie rülpst. Anuschka heißt sie - ich glaube es ist das russische Wort für „Anna“.

Ich bin seit einer Woche im Bett: mit einer Grippe statt einer Mietze. Bei meinem ersten morgendlichen Einkauf nach nun fast sieben Tagen, blicken mir Anuschkas blauen Suppentelleraugen feucht entgegen: das Ding scheint voll im Glück zu schwimmen, dass ich wieder aufgetaucht bin. Ich glaube, dass sie sich tatsächlich in mich verliebt hat. Ob sie heute abends zu mir auf einen Drink kommen wolle, frage ich sie. Sie nickt wortlos - dem Ersticken nahe.

Pünktlich um 19:30 Uhr läutet es an meiner Türe. Ich öffne, um ihr mit überlegener Eleganz aus dem Türrahmen entgegenzuimponieren. Ihr Lächeln trieft mich geradezu an und ich weiß im Moment kaum, was ich sagen soll. Langsam zieht sie ihre Hand aus der Seitentasche ihrer billigen Lammfelljacke und tritt nahe an mich heran. Ihr Parfum ist irgendwie fremdartig. Plötzlich spüre ich einen brennenden Schmerz in der Brust: Ist das Liebe? Nein, es ist das 9-Millimeter Projektil aus dem Schalldämpfer einer Glock, das meiner linken Herzkammer einen Besuch abstattet.

Ich sitze neben dem Eingang meiner früheren Wohnstsatt auf dem Boden und lehne verkümmernd an der Wand. Ich schwebe irgendwie ein wenig. Sie lächelt mich an, scheint meine nur mehr lautlose Frage zu verstehen.

„Das ist für meine Schwester Natascha: Mit Gefühlen sollte man nicht spielen.“
Ich der ich weiß, nichts zu wissen, weiß, dass ich nichts weiß. (Sokrates)

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