Die Mauer

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gelbsucht
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Die Mauer

Beitragvon gelbsucht » 28.04.2002, 18:35

Die Mauer

Die Fassade der Mauer,
nett und fröhlich,
manchmal auch sauer,
nicht ungewöhnlich.

Die Mauer an sich,
unüberwindlich hoch.
Sie gibt es nicht?
Ich denke doch!

Die Mauer nun sprengen?
Beklimmen, umgehen?
Vergessen, verdrängen?
Etwas muß geschehen!

Und hinter dem Gemäuer,
was erwartet da mich?
Mir ist's nicht geheuer,
vielleicht bin's ja ich!

Doch die Mauer, die steht,
nicht lange mehr hält.
Während die Zeit vergeht,
sie allmählich fällt.


Die Geschichte dieses Gedichtes:
Das ist das erste Gedicht überhaupt, das ich geschrieben habe. Ich habe es neulich auf einer Diskette wiederentdeckt, nachdem ich eigentlich bereits geglaubt hatte, es sei für immer verloren. Dieses Gedicht ist, soweit ich mich erinnere, im Rahmen einer Hausaufgabe entstanden: 10. Klasse, Hauptschule. Ich weiß gar nicht mehr, ob das Thema vorgegeben wurde oder ob ich es mir aussuchen konnte. Die Datei ist auf den 27. Oktober 1993 datiert, geschrieben auf einem PC, der eine Festplatte mit 20 MB und eine Taktfrequenz von 12MhZ hatte. Kein Witz! Mensch Leute, wie die Zeit vergeht! Klar, es ist ganz schön dilettantisch, aber so ein Erstling ist halt immer etwas Besonderes und ich bin froh, ihn wiedergefunden zu haben. Aus diesem Grund erschien es mir auch passend, ihn als ersten Beitrag in diesem Forum zu benützen.
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

ariadna
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Re: Die Mauer

Beitragvon ariadna » 12.05.2002, 01:48

ja, ich kenne das, mit dem ersten gedicht und was für ein durchbruch das für einen ist. aber wieder zu den reimen:
ich verstehe ja, nichts reimt sich auf mauer. aber sauer?
wie empfindest du das thema jetzt? hast du nicht lust es zu überarbeiten? das habe ich heute auch gemacht, mit meinem ersten "gedicht".
es ist zwar dann nicht mehr dasselbe wie damals (zu viel neuer intertext), aber man sollte sich an das überarbeiten von texten gewöhnen glaub ich.

gelbsucht
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Re: Die Mauer

Beitragvon gelbsucht » 13.05.2002, 22:42

Hallo ariadna,

es geht mir nicht darum, dir zu schmeicheln, bitte glaub mir, daß ich es ehrlich meine: das ist wirklich ein bezaubernder Name, den du Dir da ausgesuchst(?) hast. Und deine Lieblinge in Literatur, Dichtung und Drama, die lassen mich erblassen. Aber Beckett, ariadna, ist der nicht furchtbar langweilig? Ich für meinen Teil bin jedenfalls nicht über den ersten Akt von "Warten auf Godot" hinausgekommen (gelesen, nicht: auf der Bühne gesehen) -- hab ich da was verpasst?

So, jetzt aber in medias res, wie man so schön sagt: Durch-bruch würde ich dieses Gedicht nun nicht nennen. Relikt vielleicht, oder Auf-bruch? I don't know.
ich verstehe ja, nichts reimt sich auf mauer. aber sauer?

Sag ich ja: "ganz schön dilettantisch"!

hast du nicht lust es zu überarbeiten?
Also ich lehne das Überarbeiten meiner Sache nicht kategorisch ab, aber das erste Gedicht werde ich niemals anrühren. Es kommt nicht darauf an, daß alles perfekt ist. Und da man sich ja ständig weiterentwickelt, müßte man ja ständig alles überarbeiten und das möchte ich mir nicht antun. Ab einem gewissen Punkt muß man sich also einfach zufrieden geben und die Gedichte lassen, wie sie sind. In diesem Falle erübrigt es sich aber auch so: denn ich finde an dem Thema keinen Stoff mehr, den ich ausarbeiten möchte, ansonsten hätte es sich vielleicht gelohnt ein "neues Gedicht" mit altem Thema zu schreiben. Eine Variation, aber wie gesagt: ich find an dem Thema nichts mehr.

Aber wie sieht es mit deinem ersten Gedicht aus? Darf man das auch mal lesen?

MfG,
gelbsucht
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Re: Die Mauer

Beitragvon ariadna » 14.05.2002, 12:00

also zu meinem ersten "gedicht" (es ist lyrische prosa):
ich war nicht mehr so jung, ich war 18. davor hatte ich nur pseudo-phisosophische texte auf englisch geschrieben.
im vergleich dazu, war es wirklich ein auf-bruch, wie du sagst. jedenfalls ein bruch. (es kam mir vor wie eine vision, damals. und eigentlich kann ich die vorzüge dieses kurzen textes immer noch schätzen. er ist unmittelbar, finde ich. naja, bin gespannt wie du das findest.)
leider habe ich den text nicht, daher muss ich ihn auswendig aufschreiben. ich erinnere mich, aber vielleicht lasse ich etwas aus. glaube nicht. mal sehen.

ich saß auf einem stein. regungslos.
die stille atmend.
da kam ein frosch vorbei und fragte:
"worauf wartest du?"
"ich warte nicht, ich bin." antwortete ich. mein blick war auf die brücke gerichtet.
die froschaugen verstanden nicht:
"falls du auf den zug wartest, so tust du es vergeblich. er fährt nicht mehr über diese brücke."
mit diesen worten wandte er sich von mir ab und hüpfte davon.
wie sanft
sich die stille gleich einem seidentuch an die landschaft schmiegt.
doch da hörte ich sie.
schritte.
schnelle. immer schneller lauter. sie kommen. ihre schritte. oder meine?
ich laufe jetzt. die brücke. ich muss hinüber. ich laufe. ohrenbetäubendes dröhnen in meinem kopf. die schienen beben unter meinen füßen. pfeifen. zischen. schreien dröhnen. beben. stille
in meinem kopf.
ich sah nur noch den zug, der über diese brücke nicht mehr hätte fahren sollen.

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Re: Die Mauer

Beitragvon ariadna » 14.05.2002, 12:11

übrigens ist die "neue version" von diesem text überhaupt nicht besser.
"ganz nur puls" und lauter sowas.
man merkt, dass man in der zwischenzeit etwas gelesen hat- aber ob´s was für die eigene schreiberei half? naja. glaube nicht.
beckett: ja, da hast du was verpasst.
der ist unheimlich lustig, dieser "waren auf godot". vielleicht war´s eine schlechte inszenierung? bist du einfach aus dem theater gegangen, oder wie?
beckett hat auch lustige und interessante erzählungen geschrieben. die romane (molloy, murphy) sind teilweise sehr interessant, teilweise sehr langatmig. aber ich finde es seltsam, dass dir godot nicht gefallen hat.
solltest dem ollen beckett noch mal ne chance geben! lies doch eine frühe erzählung, oder so. ("erste liebe" z.b.)
gruß
ariadna

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Re: Die Mauer

Beitragvon gelbsucht » 14.05.2002, 20:52

Hallo ariadna,

also "pseudo-philosophische Texte" (allerdings auf Deutsch) -- diese Phase habe ich auch durchgemacht. ;-)

Aber zu deinem Gedicht! Vorweg: ich bin überzeugt, daß Dein Erstling auch ein eigenes Thema verdient hätte! Zum Inhalt: den sprechenden Frosch finde ich irgendwie merkwürdig, aber auch lustig (war das beabsichtigt?). Es gibt zwei Verse, die ich sehr ansprechend finde:
wie sanft
sich die stille gleich einem seidentuch an die landschaft schmiegt.

Das ist Poesie!
"worauf wartest du?"
"ich warte nicht, ich bin." antwortete ich.

Da hört man noch etwas von der Pseudo-Philosophie, aber es paßt durchaus und gibt dem Gedicht Tiefe.

Das Ende, wo eine ganze Menge Bewegung und Hektik entsteht, verstehe ich nicht so richtig. Erst sind es Schritte (man erfährt nicht wessen Schritte es sind) und dann ist es auf einmal doch der Zug. Das ist etwas verwirrend.

Also für das erste Gedicht, finde ich es wirklich erstaunlich. Allerdings hat es nach meinem Geschmack zu viele "Themen" oder vielleicht sage ich besser "lyrische Elemente": Die Situation der Stille, der Frosch, die Brücke (die bestimmt eine wichtige symbolische Bedeutung hat, über die ich noch nicht nachgedacht habe), dann das philosophische Intermezzo und dann der Tempowechsel: die Schritte und der Zug. Das scheint mir doch etwas viel auf einmal. Man hätte sich vielleicht für eine Sache entscheiden müssen: Fabel (Frosch), philosophisches Gedicht oder den Kontrast: Stille und die plötzlich ausbrechende Bewegung.

Das ist meine Meinung.

Noch ein Wort zu Godot (komisch: Manche warten auf Godot, andere auf Züge, die nicht kommen werden und dann doch im falschen Augenblick auftauchen): Wie gesagt, ich hab es nur gelesen und nicht auf der Bühne gesehen. Aber deine Meinung zu Beckett überzeugt mich, daß ich das demnächst unbedingt nachholen sollte.

Ciao,
gelbsucht
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Re: Die Mauer

Beitragvon ariadna » 15.05.2002, 13:20

hallo, gelbsucht,

tja. im nachhinein kann ich den text nicht so wesentlich verändern. will ich auch nicht. damals war mir der text unheimlich wichtig. du hast recht: das pseudo- philosophische sieht man noch. aber dieser pathos ist glaube ich typisch für dieses alter (bei mir war es typisch).
in diesem text ging es mir um die trennung des einzelnen (ich) von der gesellschaft (frosch, leute, die einen nicht in ruhe lassen, ergo schritte).
ich kann noch nachvollziehen worum es mir ging, damals.
die starren normen, erklärungen ohne logik etc. versus meiner leidenschaftlichen sinnfrage..... sweeeeet 18.... naja. so sweet war´s nicht.
ciao
;-) ariadne


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