Wir werden mal wieder befreit
Verfasst: 05.05.2005, 13:01
Liebe Gemeinde!
Ich hab da mal 'ne Frage …
Wieder einmal naht sich ein Jahrestag des Kriegsendes – der 60. diesmal, wieder sind die Medien voll von Guido Knopp und Konsorten (Hitlers Helfer, Hitlers Frauen, Hitlers Fußpfleger, Hitler – eine Karriere, Hitler – ein Aufstieg, So zärtlich war der Führer, Kochen mit Adolf etc., etc. etc.) und wieder einmal wird mir täglich aus tausend verschiedenen Quellen ins Ohr getrötet, am 8. Mai 1945 sei Deutschland befreit worden.
BEFREIT????? Bitte was?????
Ich kann mich ziemlich genau erinnern, wann diese Sprachregelung zum ersten Mal aufkam: vor genau zehn Jahren, anlässlich des 50. Jahrestages. Damals musste ich sogar einen Artikel über die Befreiungsfeierlichkeiten an meiner Uni schreiben. Und die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wieso niemand diesen geschichtsklitternden Irrsinn aufhält. Gut, es gab eine Debatte, aber in der wurden alle, die mit dem Befreiungsbegriff nichts anfangen konnten, schnell mal ins Lager der Neonazis und deren Sympathisanten gesteckt.
Ich stelle mir gerade vor, jemand liest in 1000 Jahren so einen Beitrag über die Befreiung Europas: Erst wurden die Franzosen befreit, dann die Polen, die Belgier, die Holländer … und schliesslich die Deutschen. Wie schön, mag er denken, aber wer war wohl der geheimnisvolle Unterdrücker? Sind die braunen Horden in ihre Raumschiffe gestiegen und zurück auf den Mars, von wo sie 1933 urplötzlich aufgetaucht waren?
Mein Problem mit dem Begriff „Befreiung“ ist, dass er aus Tätern Opfer macht. Wenn die Deutschen „befreit“ worden sind, dann muss es ja auch vorher jemanden gegeben haben, der ihnen diese Freiheit vorenthalten hat. Und wer war das, von wem sind sie also „befreit“ worden? Genau – vom Nationalsozialismus. Dass dieser Nationalsozialismus eine nicht gerade lockere Verbindung mit dem Deutschen Volk hatte, dass er in ihm entstanden ist und mit ihm und aus ihm heraus wirksam wurde, dass er eine deutsche Hervorbringung ist, die so lange von großer Zustimmung getragen wurde, bis der Krieg sich wendete, wird dabei schlicht unterschlagen. Das aber Völker mit ihrer Führung unzufrieden sind, wenn diese dabei ist, einen Krieg zu verlieren, ist weder eine spezifisch Deutsche Qualität, noch hat sie irgendeine antifaschistische Triebfeder. Es ist einfach nicht schön, wenn um einen herum dauernd etwas explodiert. Von daher hatten die Deutschen den Krieg, den sie 1939 begonnen hatten, sicher gründlich satt und empfanden sein Ende als Befreiung. Aber von den Nazis sind sie, so sehe ich das, nicht befreit worden, sie sind als Nazis oder zumindest mit den Nazis besiegt worden. So war das!
Selbstverständlich gab es auch Deutsche, die befreit wurden. Vorneweg die deutschen Juden und andere deutsche Gefangene in den Konzentrationslagern. Aber auch Widerständler und desertierte Soldaten, die bis zuletzt um ihr Leben fürchten mussten. Und sicher auch viele, die still und furchtsam gegen den Nationalsozialismus waren. Aber unser Staat und – wenn das richtig sehe auch unser Volk – sieht sich (zurecht) in der Nachfolge des Deutschen Reiches. Und dieses Reich besiegelte am 8. Mai 1945 seine Niederlage, nachdem zuvor fast ganz Europa von seiner Herrschaft befreit werden musste.
Ich stelle mir gerade vor, ich fahre in die Niederlande. Ich bin ziemlich oft in der Provinz Zeeland, die im Krieg besonders hart gelitten hat, weil die Deutschen (also mein Volk, nur zwei Generationen vor mir) sie bis zuletzt hielten, aber nicht versorgen konnten. Vielleicht findet dort irgendeine Befreiungsfeierlichkeit statt, also gehe ich hin, und stelle mich neben einen alten Zeeländer, der womöglich damals einen Bruder oder eine Schwester durch den Hunger verloren hat. Und dem klopfe ich dann auf die Schulter und sage: „Wie schön, dass unsere Völker damals befreit worden sind.“
Ich würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er mir saftig eine pfeffert.
Mal ehrlich: Wann habt Ihr das letzte Mal gehört, dass die Polizei bei einer Geiselnahme 10 Leute befreit hat, darunter den Geiselnehmer?
Warum ich Euch damit behellige? Nun, Sprache ist unser Werkzeug, oder? Und so einfach lassen sich mit Sprache Tatsachen verdrehen? Oder wie seht Ihr das?
Ich hab da mal 'ne Frage …
Wieder einmal naht sich ein Jahrestag des Kriegsendes – der 60. diesmal, wieder sind die Medien voll von Guido Knopp und Konsorten (Hitlers Helfer, Hitlers Frauen, Hitlers Fußpfleger, Hitler – eine Karriere, Hitler – ein Aufstieg, So zärtlich war der Führer, Kochen mit Adolf etc., etc. etc.) und wieder einmal wird mir täglich aus tausend verschiedenen Quellen ins Ohr getrötet, am 8. Mai 1945 sei Deutschland befreit worden.
BEFREIT????? Bitte was?????
Ich kann mich ziemlich genau erinnern, wann diese Sprachregelung zum ersten Mal aufkam: vor genau zehn Jahren, anlässlich des 50. Jahrestages. Damals musste ich sogar einen Artikel über die Befreiungsfeierlichkeiten an meiner Uni schreiben. Und die ganze Zeit habe ich mich gefragt, wieso niemand diesen geschichtsklitternden Irrsinn aufhält. Gut, es gab eine Debatte, aber in der wurden alle, die mit dem Befreiungsbegriff nichts anfangen konnten, schnell mal ins Lager der Neonazis und deren Sympathisanten gesteckt.
Ich stelle mir gerade vor, jemand liest in 1000 Jahren so einen Beitrag über die Befreiung Europas: Erst wurden die Franzosen befreit, dann die Polen, die Belgier, die Holländer … und schliesslich die Deutschen. Wie schön, mag er denken, aber wer war wohl der geheimnisvolle Unterdrücker? Sind die braunen Horden in ihre Raumschiffe gestiegen und zurück auf den Mars, von wo sie 1933 urplötzlich aufgetaucht waren?
Mein Problem mit dem Begriff „Befreiung“ ist, dass er aus Tätern Opfer macht. Wenn die Deutschen „befreit“ worden sind, dann muss es ja auch vorher jemanden gegeben haben, der ihnen diese Freiheit vorenthalten hat. Und wer war das, von wem sind sie also „befreit“ worden? Genau – vom Nationalsozialismus. Dass dieser Nationalsozialismus eine nicht gerade lockere Verbindung mit dem Deutschen Volk hatte, dass er in ihm entstanden ist und mit ihm und aus ihm heraus wirksam wurde, dass er eine deutsche Hervorbringung ist, die so lange von großer Zustimmung getragen wurde, bis der Krieg sich wendete, wird dabei schlicht unterschlagen. Das aber Völker mit ihrer Führung unzufrieden sind, wenn diese dabei ist, einen Krieg zu verlieren, ist weder eine spezifisch Deutsche Qualität, noch hat sie irgendeine antifaschistische Triebfeder. Es ist einfach nicht schön, wenn um einen herum dauernd etwas explodiert. Von daher hatten die Deutschen den Krieg, den sie 1939 begonnen hatten, sicher gründlich satt und empfanden sein Ende als Befreiung. Aber von den Nazis sind sie, so sehe ich das, nicht befreit worden, sie sind als Nazis oder zumindest mit den Nazis besiegt worden. So war das!
Selbstverständlich gab es auch Deutsche, die befreit wurden. Vorneweg die deutschen Juden und andere deutsche Gefangene in den Konzentrationslagern. Aber auch Widerständler und desertierte Soldaten, die bis zuletzt um ihr Leben fürchten mussten. Und sicher auch viele, die still und furchtsam gegen den Nationalsozialismus waren. Aber unser Staat und – wenn das richtig sehe auch unser Volk – sieht sich (zurecht) in der Nachfolge des Deutschen Reiches. Und dieses Reich besiegelte am 8. Mai 1945 seine Niederlage, nachdem zuvor fast ganz Europa von seiner Herrschaft befreit werden musste.
Ich stelle mir gerade vor, ich fahre in die Niederlande. Ich bin ziemlich oft in der Provinz Zeeland, die im Krieg besonders hart gelitten hat, weil die Deutschen (also mein Volk, nur zwei Generationen vor mir) sie bis zuletzt hielten, aber nicht versorgen konnten. Vielleicht findet dort irgendeine Befreiungsfeierlichkeit statt, also gehe ich hin, und stelle mich neben einen alten Zeeländer, der womöglich damals einen Bruder oder eine Schwester durch den Hunger verloren hat. Und dem klopfe ich dann auf die Schulter und sage: „Wie schön, dass unsere Völker damals befreit worden sind.“
Ich würde es ihm nicht übel nehmen, wenn er mir saftig eine pfeffert.
Mal ehrlich: Wann habt Ihr das letzte Mal gehört, dass die Polizei bei einer Geiselnahme 10 Leute befreit hat, darunter den Geiselnehmer?
Warum ich Euch damit behellige? Nun, Sprache ist unser Werkzeug, oder? Und so einfach lassen sich mit Sprache Tatsachen verdrehen? Oder wie seht Ihr das?