Lieber Dirk,
ja, ich staunte auch, dass ich noch nicht über BAUMAN gestolpert bin oder ihn damals nicht wahrnahm. Er ist ja schon ein recht alter Herr ... und seine Publikationsliste extrem lang. Ich kann mich gar nicht entscheiden, welches Buch ich bestelle ... alle scheinen irgendwie ähnlich und auch ähnlich gut
Mir ging es ähnlich, er hat einiges sehr klar auf den Punkt gebracht, und in einem Punkt sogar eine Hoffnung zu nähren versucht, die ich eher aufgegeben habe: auch ich kämpfe ja irgendwie gegen die AUTORITÄT und wünsche mir mehr Kompetenz. Schwärme, so Bauman, wenn ich ihn recht deute, unterminieren die Autorität der alten Schule. Sie sind flexibler, schneller, aber auch unfassbarer, ich möchte fast von einer Trendokratie sprechen, die da entstehen könnte. Mein Glückswetter-Tool ist ja auch ein Trendbarometer, wiewohl man damit auch im besten Fall nicht das misst, was geschehen könnte, sondern geschehen ist - wenn man das Tool entsprechend hochrüstet
Ich selbst sehe aber eher ein Vakuum an Macht, das neu entstehende "Hyperstrukturen" füllen werden. Vielleicht sind das dann Algorithmen, die miteinander interagieren, sich wechselseitig "trainieren", untereinander evolvieren ... sie müssten kein ICH besitzen, wie wir es tun ... o.k., das führt nun ein wenig weit ins Spekulative.
Der Konsum: das klingt sehr schlüssig, was Bauman dazu sagt. Ich finde insbesondere die Verwandlung des modernen Menschen in ein Konsumprodukt sehr schlüssig,stringent, es deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen und meinem Selbstbild. Nicht immer macht mich das glücklich, es relativiert schon sehr ... wenn man sich selbst eher als Struktur begreift oder als pulsierendes Muster. Aber manchmal macht es auch einfach nur Spaß, vor sich hin zu "mustern"
Osho - klingt wirklich gut vom Titel, und ich als alter Determinist bin da natürlich erstmal hellhörig.
Der Glücks-Zwang: ich habe in den letzten Wochen, insbesondere während meiner Reise, über mein Datamining und Selbstoptimieren intensiv nachgedacht. Mein Ideal zur besseren Gestaltung des Lebens ist nicht etwa Zufriedenheit, nicht Verantwortung, nicht Wissen - es ist offenbar Glück.
Man könnte aber auch sagen: Glück ist doch "auch nur" ein Gefühl?! Warum ist der Wert so hoch? Weil es in alle anderen Bereiche hineinspielt? Schon, aber es ist ja auch immer umgekehrt? Wirken nicht alle diese möglichen Schlüsselinhalte auch aufeinander?
Was macht das Glück so wichtig neuerdings? Warum war es zu Zeiten der Weltreligionen weniger wichtig? Wie kommt es, dass die uns eigentlich so wichtige Arbeit auch nur dem Glück untergeordnet zu sein scheint, gegenwärtig?
Das Huhn in der Legebatterie soll produktiv sein, und effektiv. Das Huhn Mensch am Arbeitsplatz soll dem Lege-Huhn ähneln (wie Sybille Berg so wunderbar spottet), was die Arbeitsdimension angeht, aber heute hat das Menschenhuhn auch noch andere Aufgaben, also etwa die des Konsumierens, Gestaltens, Einrichtens, Organisierens von der Lebenswelt - und das über die Arbeit am Arbeitsplatz hinaus. Auch das Freizeitverhalten, das Reiseverhalten - alles darf gerne effektiv sein, und dieses Effektive wird meines Eindrucks nach ermöglicht bzw. begleitet von Glück. Ich bin perfekt organisiert und eingerichtet und mein Lebensplan ist ideal kalkuliert - also bin ich idealst glücklich ...
Dass man selbst konsumierbar wird - ja, es ist erschreckend, aber auch ich denke mitunter ähnlich, ja ich verhalte mich so im Freundeskreis ... denke, wenn ich einen Freund treffe, und der offensichtlich herumjammert, uuuuuh, wie kriege ich den jetzt schnell wieder flott, ohne dass der mich runterzieht, mir den ganzen Abend versaut, ich habe kurz das Gefühl, da gerade einen Fehlkauf getätigt zu haben mit dem Treffen ... bis dann wieder "menschlichere" Gedanken kommen von wegen: DU MUSST IHM HELFEN, ER BRAUCHT DEINE HILFE, LASS DICH AUF IHN EIN.
Also, ganz Bauman'sch: Wenn Mitmenschen konsumierbar werden, werden sie auch "wegwerfbar". Die Wegwerfware "Arbeitslose" hat er - das sehe ich wie du - brutal ausgezeichnet.
Mit Recht? Dazu muss ich ihn mal lesen ...
Mhm, ich dachte immer, ein homo ludens sei ein "spielerischer mensch". Meine Beschäftigung ist durchaus spielerisch, aber das Produzieren ist nicht unbedingt vordringlich bei mir. Ich produziere ohnehin extrem viel, aber aus keinen (inneren oder äußeren) Zwängen heraus. Mhm ... ich habe darüber selten nachgedacht. Derlei WARUM-Fragen meide ich, weil sie oft zu komplex sind
Konsumieren: Nun, Kaufhäuser sind auch nicht so mein Fall. Warum? Ich denke, weil sie so hässlich sind
Ich ginge liebend gerne durch Schlösser. Könnte ich dann etwas bestellen, ja super, einfach draufdeuten, und es wird geliefert, wow! Aber für mich sind die meisten Kaufhäuser vom Design her so interessant wie Toiletten; sie haben eine Funktion, man benutzt sie, man verlässt sie meist erleichtert ... aber es ist kein Ort, an dem man sich unnötig lange aufhalten will.
Nur: FRAUEN sind da grundlegend anders?!?!
Jelinek: tut sie das? Da kann man ihr nur gratulieren, das geschnallt zu haben.
Messbarkeit: Nun, ich weiß auch keine Messmethode für Menschenkonsum. Ich selbst verändere mich allerdings ständig. Das Internet tut das seinige: Da bricht man auch Gespräche einfach ab im Chatroom, wenn es sein muss, wenn der andere nervt.
Was mich immer störte: dass immer, wenn ein Handy klingelt, das Handy Vorrang hat(te). Das Live-Moment war zweitrangig. Heute hat sich das ein bisschen besser eingespielt, und die Leute telefonieren auch nicht mehr so viel und haben gott sei Dank das Telegramm wiederentdeckt, das weniger grausam "unterbricht".
O.k., ich glaube, ich bin etwas vom Thema abgeschweift, sorry
Menschenkonsum: Auf den Reisen ist mir aufgefallen, dass ich auch Erlebnisse irgendwie im Konsum- bzw. Sammelgedanken einordne: Noch ein Land, in dem ich nicht war, noch eine Stadt, die mir fremd ist, noch ... oder aber ... noch eine Geliebte, die aus einem anderen Land kommt
... vieles am Konsum hat ja zu tun mit dem Sammeltrieb, und der gilt nicht nur für schöne Dinge, sondern auch für abstrakte Dinge, Erlebnisse etc.
Was ist aber wichtig, wenn ich reise? Das Land? Das Prestige, das mit der Reise dorthin verbunden ist? Die Menschen dort? Das, was mich dort irritiert? Die Erfahrungen? Das Fremde an sich? Was möchte ich? Der Reisende, der von Ort zu Ort tingelt, passt gut zu dem modernen Menschen, der durchs eigene Leben "reist", "flaniert", heute x und morgen y trifft, ohne echte Pläne zu machen, was er mit x oder y längerfristig tun könnte. Echte Freundschaft? Für ein Leben lang? Von Liebe spricht ja heute kaum noch einer, aber auch die Freundschaft, die weit weniger einfordert, erscheint immer schwieriger, wenn sie dicht sein soll.
Der Freund bietet einfach nicht genug NEUES, wenn man ihn zu oft ... sieht? Oder gar: "sich reinzieht?" "Konsumiert?"
Was sind denn gute Reden von Buddha? Ich suche da noch etwas für das Buddha-Kapitel im geplanten nächsten Roman ... einen Aufhänger, gerne auch biografisch angebunden an Buddhas Leben.
Seneca ... kenn ich auch nur flüchtig aus dem Lateinunterricht ...... der wäre es auch mal wert, "reingezogen" zu werden, was?
LG
Tolya