Hi!
Ich lese einen Artikel nach dem anderen und verstehe es langsam ein bisschen besser, aber alles bleibt sehr vage. So viele geheimnisvolle Kräfte scheinen am Werk, die niemand - nicht einmal die, die diese Krise ausgelöst haben - komplett verstehen.
Genauso geht es mir augenblicklich. Ich finde es erstaunlich, wie vage und „allgemein“ selbst die Berichterstattung über diese Krise ist. Es wird mit Milliarden spekuliert, ohne die Risiken abzusehen, und die Folgen multiplizieren sich zu einem Crash; jetzt wird mit Milliarden jongliert, um die Krise abzuwenden – und keiner kann sagen, ob es funktionieren wird.
„Geheimnisvolle Kräfte“ – es ist nicht Natur, es ist nicht Naturgesetz, es ist keine übernatürliche Erscheinung, sondern es ist ein gesellschaftliches Konstrukt und doch entzieht es sich dem gesunden Menschenverstand. Ich glaube, der wissenschaftliche Begriff dafür ist „Emergenz“. Aus einfachen Regeln und Verhaltensweisen entsteht etwas Übergeordnetes, das wir nicht mehr verstehen und regulieren können – oder doch? Ich bin überzeugt, dass es diese „unsichtbare Hand“ gibt. Ich glaube nur nicht daran, dass sie zum allgemeinen Wohl „ausschlägt“ und „verteilt“.
Tatsache ist: Geld ist eine Fiktion. Es ist nicht wirklich, sondern etwas, woran wir glauben. Weil wir daran glauben, funktioniert es. Ich habe gelesen, dass die Investmentbanken Verbindlichkeiten bis zum Dreißigfachen ihres Kapitals hatten. Unwirkliches Geld, das noch mehr unwirkliches Geld einbrachte, aber das sind alles bloß Zahlen, nichts Konkretes. Eine Art Massen-Halluzination, nehme ich an.
Vielleicht nicht verwunderlich, dass dies ein Mann äußert, der sein Geld mit Fiktionen verdient. Aber hier bin ich entschieden anderer Meinung. Ich glaube, dass es nichts bringt, Geld als Fiktion zu betrachten. – Ich bezeichne etwas, das ich nicht verstehe, als „geheimnisvolle Kraft“, als „Fiktion“ und gebe mich dann damit zufrieden? – Das ist mir zu einfach, da fehlt mir der Erkenntnismehrwert.
Geld ist real und diese Finanzkrise ist es ebenfalls – sie ist harte, evidente Wirklichkeit. Das Geld, das an die Subprime Darlehensnehmer ging, mag Buchgeld gewesen sein, die Häuser, die dafür gekauft wurden, waren es nicht. Die drückenden Zinsen mögen irreal sein, die Zwangsversteigerung, die Schulden und die sozialen Folgen sind es nicht. Die Darlehen, die jetzt platzen, wurden am Markt umgesetzt in existierende Werte: mein Haus, mein Auto, mein Urlaub in der Dominikanischen Republik. Die Jobs, die jetzt wegfallen, das ist echt. Die Unternehmen, die Konkurs anmelden müssen, weil der Kredit nicht verlängert wird, das ist realwirtschaftliche Wertvernichtung. Die Ersparnisse an der Börse, die den Bach runtergehen, die sind nicht nur aus Spekulation entstanden – Hedge Fonds sind nicht nur unwirkliche Blasen, sondern auch Pensionskassen des Mittelstands, die, so möchte ich meinen, zum Teil auch „hard work“ zu verdanken sind. Vielleicht ist da gerade die eine oder andere Rücklage für die College-Ausbildung der nächsten amerikanischen Generation vernichtet worden. Das ist keine Einbildung – und daraus resultieren vielleicht neue Schulden: nämlich College-Darlehen.
Ich gehe nicht fünf Tage in der Woche auf Arbeit, weil ich an einer Halluzination leide – spätestens an der Kasse im Supermarkt verwandelt sich meine Halluzination in Brot und Wein. Geld als Fiktion zu bezeichnen, erklärt nichts. Metaphern, Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien, einfache Schuldzuweisungen an Banken – das ist Unwissenheit und Unwissenheit ist der Garant, dass es noch lange so weitergehen wird. Unwissenheit ermöglicht Angst. Und Angst ist ein Zustand, in dem man in einer Demokratie (fast) alles durchsetzen kann: Einen Krieg gegen einen vermeintlichen Biowaffenbesitzer oder die Umverteilung von 700 Milliarden Dollar – und zwar von unten nach oben.
es werden in meinen augen keine milliarden, billionen oder fantastillionen vernichtet, wie es so schön heißt ... die werte bleiben. es sei denn, ein wirbelsturm fegt häuser weg
Ich halte das für naiv, Tolya. Werte sind nicht einfach Dinge wie Gold, die man im Garten vergraben kann. Werte sind Arbeitskraft, drücken sich in Einkommen, Konsum, Wachstum und Bruttosozialprodukt aus. Durch diese Finanzkrise gehen Banken pleite. Firmen verlieren ihre Investoren, müssen unter Umständen Konkurs anmelden, Beschäftigte entlassen oder Lohnkürzungen durchsetzen. Arbeit geht verloren. Ohne Kredite und Investitionen – gibt es keine Innovation, keine Produktion, keinen Mehrwert, kein Beschäftigungswachstum. Ein Unternehmen, das durch Verluste an der Börse plötzlich ein Viertel oder ein Drittel seines Kapitals beraubt wird, das bleibt nicht ohne Konsequenz, das ist ein Werteverlust, der sich auf die Zukunft dieses Unternehmens auswirkt. Die Immobilienkrise wirkt sich nicht nur auf die Bewertung existierender Grundstücke und Häsuer aus – sie verändert die Nachfrage: da kollabieren nicht nur die Profite von Grundstücksspekulanten, sondern es gefährdet die Existenz von Architekten, Bauunternehmern, Möbelhäusern, es kostet die Jobs von Landvermessern, Bauarbeitern, Teppichverlegern, Malern, Elektrikern, Verkäufern usw. Geld ist real und die Vernichtung von Werten ist es ebenfalls.
Ich glaube, die Paradoxie und das Problem liegt vielmehr darin, dass Geld die einzige Sache
von Wert ist, die ohne Zutun erhalten bleibt, während alles andere verfallen und an Wert verlieren würde, und die sich sogar noch wie durch Wunderhand selbst vermehrt, nämlich durch Kreditvergabe, durch Zins und Zinseszins, während „reale“ Werte nur durch Arbeit entstehen. Doch daraus den Umkehrschluss zu ziehen, die Kauf- und Innovationskraft von Krediten und die Zinsschuld wären irreal, halte ich für irrig.
was zu den billionen an den märkten zu sagen wäre: wenn man die weltdevisen begrenzte und fest an die weltwerte und damit das weltwirtschaftswachstum koppelte (oder an deren schrumpfung), würde eine inflation nicht mehr stattfinden können.
Ich frage mich, ob das wirklich funktionieren würde. Es gibt dazu ja auch genug theoretische Vorschläge wie etwa die des Freigeldes. Ich würde gern daran glauben, dass die Lösung der „Systemsanomalie“ so einfach ist. Das „Wunder von Wöhrl“ wird immer wieder gern herangezogen… ich möchte wirklich gern daran glauben. Aber Zweifel gibt es natürlich auch hier:
Freigeld#Kritikeine weltwirtschaftskrise ist, sofern keine unglücke passieren (und die klimakatastrophe könnte durchaus eine hervorrufen), nur dann möglich, wenn die menschen untereinander sich misstrauen.
Wie ich gestern schon gemutmaßt habe: Ich glaube, die Ursache ist eher
zu viel Vertrauen. Das Misstrauen ist die Begleiterscheinung oder vielleicht der Zündfunken der Wirtschaftskrise, aber nicht die Ursache. Eher ist sie die Kraft, die alles bereinigt und wieder ins Gleichgewicht bringt. Das Misstrauen, der Zweifel, die Risikoabwägung scheinen mir viel gesunder und rationaler zu sein als Vertrauen. Und natürlich widerspreche ich damit auch dem, was ich selbst glaube, denn ich halte den Menschen für ein zoon politikon. In einer vergesellschafteten, arbeitsteiligen Gesellschaft sind wir angewiesen auf Vertrauen und Kooperation. Aber ich halte Vertrauen weder für die natürliche, noch die logische Ausgangssituation in einem marktwirtschaftlichen Umfeld.
Demokratie setzt Vertrauen und Kooperation voraus, Demokratie braucht offene Informationen und Wahlmöglichkeiten – das ist ein Soll-Anspruch. Der Markt dagegen fußt auf Konkurrenz, auf Wettbewerb, auf Ungleichverteilung von Ressourcen und Informationen, der Markt tendiert zu Verdrängung, zu Fusionen und Monopolbildungen, also eher zu einer Verringerung von Diversität und Wahlmöglichkeiten. Da scheint es also einen immanenten Widerspruch zwischen politischem Rahmen und marktwirtschaftlichem Interesse zu geben. Die neoliberale Forderung, dass der Staat sich nicht in Wirtschaftsbelange einmischen soll, ist daher logisch. Dass die Wirtschaft nicht ganz so „liberal“ und zurückhaltend auf dem politischen Terrain agiert, veranschaulicht die älteste Demokratie der Welt. Ich glaube nicht, dass Demokratie eine notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft ist. Vielleicht vertragen sich Kapitalismus und totalitärer Staat viel besser miteinander. So wie in China, das inzwischen der größte Gläubiger der USA ist. Auch eine Antwort auf die Frage: bei wem?
in USA allerdings ist die verschuldungsquote verglichen zu deutschland noch geringer. da ist spielraum. die USA gehen nicht unter, auch wenn der feuilleton hierzulande das geradezu herbeisehnt, viel häme ist da mit dabei und schadenfreude.
Bezogen auf den Staatshaushalt: Ja. Bezogen auf die durchschnittliche Verschuldung der Privathaushalte: Bist du dir sicher? – Übrigens gebe ich dir Recht: Die USA haben schon mehr als eine Wirtschaftskrise, Rezession, Börsencrash und Weltkrieg geschultert. Die schaffen das. – Das ist übrigens eine Eigenschaft, für die ich Amerika bewundere – wie innovativ und produktiv das Land ist.
das mit dem übergeordneten willen oder der systematischen notwendigkeit: das sehe ich in einer stabilen, inflations- und deflationssicheren weltwährung, die nur nach der weltwerte-entwicklung in ihrer gesamtmenge angepasst wird.
Das hatte ich eigentlich anders gemeint: Ich meinte, dass Bush so eine Art Sahnehäubchen auf dem neoliberalen Kuchen ist. Er ist nicht der Erfinder, er ist nicht das Mastermind dahinter. Er ist „nur“ einer der glücklichen Profiteure und vielleicht der beste Lobbyist, den sie je hatten. Und zugleich der schlechteste.
ich glaube, dass ein idiot an einer sehr wichtigen position genügt, um die welt in ein chaos zu stürzen.
bush macht in der politik, worauf er bock hat? nimmt staatsschulden auf ohne ende? dann machen wir banker das auch.
Ich glaube, indem man Bush die Schuld für diese Finanzkrise gibt, schafft man eine neue Metapher, nämliche eine Art „Personenkult“, der am Ende wieder von den realen, ökonomischen Ursachen ablenkt und zum Multiplikator medial wirksamer Unwissenheit wird.
Zum einen: Bush entscheidet nicht allein, er sitzt in einem politischen Bienenstock, in dem es nur so summt. Dort hockt er in seinem Kokon, umgeben von Beratern und Dronen, die sich um ihn kümmern, und Honigtropfen der Wirklichkeit in seine Augen tröpfeln, während er „seine“ Entscheidungen von einem Teleprompter abliest.
Zum anderen: Bush repräsentiert ein Amerika, das zumindest zum Teil genauso ist wie er. Ein Homer Simpson in Anzug und Krawatte, der Kredite aufnimmt ohne an Morgen zu denken und lieber auf seiner Farm mit Hunden herumtollt, als Probleme zu lösen. Er macht seinen Job: Er konzentriert auf seine Person die Wut und die Schuldzuweisungen aus dem In- und Ausland und er macht diesen Job glänzend, das muss man ihm lassen.
allerdings steht dann noch eine weitere prognose: falls obama gewählt wird, dann ... wird er vermutlich mit einem anderen präsidenten das schicksal teilen, sofern er wirklich etwas ändern will.
Ich habe von Obama bisher nur Geschwaller gehört. Ihn mit Kennedy zu vergleichen, na ja, wir werden sehen. Er muss erst mal mit dem Schuldenberg, der Finanzkrise und dem Irak-Afghanistan-Komplex fertig werden, wenn er ans Ruder kommt… ich bin da insgesamt sehr verhalten.
... führte man aber zum beispiel ein, dass man eine erworbene aktie erstmal ein vierteljahr fest behalten muss und nicht verkaufen kann ... vielleicht wäre das eine möglichkeit, etwas mehr stabilität hineinzubringen?
Gefällt mir die Idee. Zulange haben wir nach der Devise gehandelt, dass Zeit Geld ist. Das Tempo aus dem Markt zu nehmen, könnte ein Weg sein, den Markt besser zu verstehen. Oder sogar ein anderes Handeln im Management zu fördern. Ich frage mich sowieso, wie nachhaltiges Denken entstehen soll, wenn in der Wirtschaft nur an das nächste Quartal und in der Politik nur an die nächsten vier Jahre gedacht wird.
allerdings weiß ich nicht, ob es möglich ist, auch sekundengeschäfte an der börse zu machen, oder ob das von den gebühren her unsinnig ist ...
Ja, das ist möglich. Ich habe mal darüber einen Bericht gesehen, aber keine Ahnung mehr, wie sich das nennt. Erfordert allerdings einen hohen Kapitaleinsatz und gilt auch als sehr riskant.
Genug spekuliert für heute!
[) i r k