8. Und am Ende jeden Monats kommt die Polizei und macht ein Foto (Strophe sechs)Der Januar ist ein geräumtes Apartment,
der Februar ein Pinsel gelehnt an den Eimer mit Farbe
und der März eine Teppichrolle in Folie geschweißt.
Im April sehe ich eine Fototapete mit Südseeidyll,
im Mai zwei Möbelpacker mit Küchenschrank
und im Juni einen Gummibaum auf der Fensterbank.
Im Juli hängt ein altes Paar ein Porträt an die Wand,
im August mein Gesicht, verschwommen, auf einem Fest,
im September meine Familie mit Strumpfmasken auf der Wohnzimmercouch.
Der Oktober zeigt am Esstisch ausradierte Köpfe,
November zerbrochenes Geschirr und Blut an der Wand.
Im Dezember ist das Apartment leer, die Tapeten sind rissig.Hamburger: Nun zum Jahresablauf
Hamburger: Also, was am Jahresablauf ziemlich auffällig ist,
Hamburger: Ist, dass es sich zwar um ziemlich banale Dinge handelt
Hamburger: Aber auch von Januar bis Dezember eine ziemlich interessante
Geschichte erzählt wird
Hamburger: Und zwar die, dass ein geräumiges Appartement,
Hamburger: Wie wir es noch im Januar vorfinden, bezogen wird
Hamburger: Und dann letztlich nach einem Streit geräumt wird
Hamburger: Es ist in der gesamten Strophe eine ganz klare Entwicklung zu sehen
Hamburger: Die ich mal versuche nachzuzeichnen:
Hamburger: Erst - im Januar - das leere Appartement
Hamburger: Dann im Februar wird es gestrichen, sprich, es wird hergerichtet,
renoviert
Hamburger: Im März setzt sich das mit dem Teppich fort
Hamburger: Im April die Tapete
Hamburger: Alles noch Einrichtung der Wohnung
Hamburger: Die ziemlich lange dauert
Hamburger: Dann im Mai wird der Küchenschrank gebracht
Hamburger: Auch der Juni ist der Ausstattung gewidmet
Hamburger: Aber jetzt wohnt da wohl bereits wer
Hamburger: Spätestens im Juli aber wo das Porträt an der Wand hängt
Hamburger: Im August ist das LI auf einem Fest, vermutlich in dieser Wohnung
Hamburger: Vermutlich seine Wohnung
Hamburger: Im September eine groteske Situation:
Hamburger: Familie mit Strumpfmasken auf der Wohnzimmercouch
Hamburger: Irgendwas scheint schon da nicht zu stimmen
Hamburger: "Der Oktober zeigt am Esstisch ausradierte Köpfe"
Hamburger: Also gab es schon so was wie eine Scheidung
Hamburger: Das Tischtusch zwischen einigen Mitgliedern ist zerschnitten
Hamburger: Dann der November: "zerbrochenes Geschirr und Blut an der Wand"
Hamburger: Sprich: endgültiger Streit, heftige Auseinandersetzung
Hamburger: Und dann im Dezember: Appartement leer, Tapeten rissig
Hamburger: Also irgendwie erinnert mich das auch an das Gesicht der Diva
Hamburger: Das mit dem "rissig"
Hamburger: Aber das ist nur ein Nebenpunkt
Hamburger: Vor allem legt der Dezember nahe, dass es im Januar so weitergehen
wird
Hamburger: Ein ziemlich nihilistisches Weltbild
Hamburger: Zu bedenken ist hier aber, dass das LI das Ganze ja durch die Augen
des neuen Jahres sieht
Hamburger: Es hat also keine besonders gute Zukunft vor sich bzw. seine Familie
Hamburger: Oder wofür diese Familie auch immer steht
Hamburger: Soweit ich zu dieser Strophe
Silentium: aufdiezehenspitzenstellSilentium: mirkoumarmSilentium: weilgraddabeiseiauchgelbumarmHamburger: Du bist süß, Silly
Hamburger: Gleich zerfließen wir vor Harmonie
Silentium: So, und das kommt jetzt bitte wirklich NICHT ins Protokoll
Hamburger:
[) i r k: Das Umarmen nicht?
Hamburger: Das Umarmen ohne Grund - was sollen die denken?
[) i r k: Ich finde, wenigstens das Umarmen könnten wir aufnehmen
Silentium: Das Umarmen kommt NICHT ins Protokoll
Hamburger: Mitten im Chat umarmen die sich?
[) i r k: Das wäre doch zu lustig
Silentium: Außerdem - wenn bekannt wird
Silentium: Dass ich zu solchen Sentimentalitäten neige
Silentium: Wär das sehr, sehr schrecklich
Silentium: Nein, wirklich
[) i r k: Würde dein schönes neues Image ganz kaputt gehen
Silentium: Genau! Bösewichtinnen umarmen nicht
Silentium: Und schon gar nicht solche Piefke wie euch!
Hamburger:
Silentium: umschauobehkeinerherschaut[) i r k: Okay, es ist an uns etwas zu Strophe 6 zu sagen
[) i r k: Also ich sehe das ähnlich wie Mirko
[) i r k: Es wird eine Geschichte erzählt
[) i r k: Ein Einzug in eine Wohnung, der merkwürdig lange dauert
[) i r k: Aber gerade die Ereignisse zum Ende hin sind etwas seltsam
[) i r k: Ich frage mich, wird hier wirklich von einer Beziehung erzählt?
[) i r k: Weil dieses andere Ich taucht ja nirgends auf
[) i r k: Was hat das alternde Paar zu bedeuten?
[) i r k: Was die Familie in Strumpfmasken?
[) i r k: Strumpfmasken klingt wie nach Überfall
[) i r k: Oder Entfremdung
Silentium: Eher Entfremdung
[) i r k: Ausradierte Köpfe?
[) i r k: Das klingt schon irgendwie – irgendwie psychotisch
[) i r k: Blut an der Wand klingt nach Gewalt
[) i r k: Nach Mord und Todschlag
Hamburger: Und wir müssen den Bezug herstellen
Hamburger: Das ist das was kommt
Hamburger: Darf ichs kurz zusammen fassen?
Hamburger: Es wird im neuen Jahr – wahrscheinlich – folgendes passieren:
Hamburger: Langer, langer Einzug
Hamburger: Irgendeine Art der Entfremdung
Hamburger: Auszüge und/oder Mord und Totschlag
Hamburger: Gesamtsituation zerschlagen, Appartement leer
Silentium: Also (mein Lieblingswort heute) ...
Silentium: Es gibt nur eine einzige Aktion im ganzen Jahr
Silentium: Das Aufhängen des Bildes durch das alte Paar
Silentium: Der Rest sind Standbilder, unbeweglich
Silentium: Am ehesten noch das Foto der Party, weil verschwommen – Bewegung?
Silentium: Jetzt ist die Frage, ob das was zu bedeuten hat
[) i r k: Es sind ja eh Fotos
Silentium: Ist das LI gleichzeitig ein Partymensch und Familienmensch
[) i r k: Die sind unbeweglich, meistens jedenfalls, außer bei Harry Potter
Silentium: Und wohnt in der selben Wohnung wie das alte Paar?
Hamburger: Wieso überhaupt altes Paar?
Silentium: Stillleben
Silentium: Ich glaub, dass die einzelnen Bilder keine geschlossene
Handlungskette
Silentium: nicht einmal eine Reihe gleichwertiger Möglichkeiten bilden
[) i r k: Ja, was soll überhaupt das alte Paar?
Silentium: Ja, das alte Paar ...
Silentium: Ein harmonisches altes Paar, die zusammen alt geworden sind
Silentium: Und sonntags nebeneinander auf der Parkbank sitzen?
Hamburger: Hm, eher nicht
Silentium: Oder so eines, dass aus Gewohnheit zusammen ist
Hamburger: Man hängt ja auch Bilder von sich selbst auf
Hamburger: Das wirkt eher nach der Familie des LI
Hamburger: Von dem wir das Alter wissen, wie alt ist Spider überhaupt?
Silentium: Dreißig, glaub ich
Hamburger: Jetzt können wir uns mit Schätzen unbeliebt machen
Silentium: Sekunde...
Hamburger: Hm, 43?
Hamburger: Spider, sorry
Silentium: Nachgeschaut, er ist dreißig
Silentium: Noch kein altes Paar, nicht einmal ein einzelner Alter
Hamburger: Na, dann passt das alte Paar doch, oder?
Hamburger: Wenn seine Eltern noch verheiratet sind?
Hamburger: Es ist ja auch wohl ein Foto von ihm auf einer Party?
Hamburger: Warum verschwommen? Weil so lange her?
[) i r k: Jetzt komm ich irgendwie nicht mit?
[) i r k: Ihr meint, das seien die Eltern von Spider?
[) i r k: Obwohl das wieder den Rahmen des Fiktiven sprengt
Hamburger: Ganz zart angedeutet
Silentium: Vom LI, das ist unverfänglich
Hamburger: Weißt du, warum ich das glaube?
[) i r k: Das LI hat kein Alter
Hamburger: Ja, vom LI, stimmt
Hamburger: Also (auch mein Lieblingswort heute) ...
Hamburger: Ich glaub das, wegen dem verschwommenen Gesicht
Hamburger: Das würde nämlich passen auf ein "anderes" Gesicht
Hamburger: Und zwar auf eines als das LI noch jung war
Hamburger: Seien wir ehrlich, wenn wir Fotos von uns von früher sehen
Hamburger: Erkennen wir uns zwar, aber die Elemente die wir da sehen
Hamburger: Erinnern nur noch an uns, sind aber nicht mehr wir
Hamburger: Vielleicht deshalb verschwommen?
[) i r k: Also du meinst das Portrait,
[) i r k: Das die Eltern des LI aufhängen
[) i r k: Zeigt, verschwommen, da LI, als es noch jünger war?
Hamburger: Nein, ich meine sein Gesicht verschwommen auf einer Party
[) i r k: Vielleicht ist die Party verschwommen, weil jemand betrunken war?
Hamburger: Ich bin einfach davon ausgegangen, dass dies auch ein Foto ist
Silentium: Vielleicht ist die Party aber auch darum verschwommen
Silentium: Weil es nicht einen Monat gedauert hat
Silentium: Viel kürzere Belichtungszeit, metaphorisch gemeint
[) i r k: Vielleicht ist auf der Party was passiert, was nicht hätte passieren
sollen?
Hamburger: Das ist ein guter Ansatz, gelb
[) i r k: Und darum die Entfremdung und das Unglück im Folgenden
Hamburger: Direkt nach der Party nämlich, geht's los
Silentium: Das ist zumindest eine Möglichkeit, die gedacht werden darf
Hamburger: Übrigens ist August der Höhepunkt des Sommers,
Hamburger: Danach geht es wettertechnisch bergab
Silentium: Bergauf
Silentium: Erst ab Ende August ist das Jahr erträglich
Hamburger:
Hamburger: Frostbeulenliebhaberin
Silentium:
Hamburger: Sagen wir: für normale Menschen
Hamburger: Oh Gott, nein, ich will nicht normal sein
Silentium: Dampfkocher
Silentium: :-p
Hamburger: Für Österreicherinnen?
[) i r k: Willst du sagen, Silly ist nicht normal?
Hamburger: Silly und normal?
Hamburger: Die beiden Wörter gehören nicht mal einer Sprache an
Hamburger: Deshalb mag ich Silly ja so
Silentium: Heimito von Doderer sagte einmal,
Silentium: Dass ihm das Österreichertum mit so einer Vielzahl von
Silentium: Widerwärtigster Individuen gemein sei,
Silentium: Dass er sich weigern würde allein danach bestimmt zu werden.
Hamburger: Silly, sorry, du weißt wie ich es meinte
Silentium: So, und normal sind wir alle nicht
Silentium: Weil kein normaler Mensch
Silentium: Setzt sich am Samstag Abend her und diskutiert Gedichte
[) i r k:
Hamburger: Okay, back to spiders poem
[) i r k: Darf ich noch was zu dem alten Paar sagen?
[) i r k: Ich hab auch beim ersten Lesen daran gedacht
[) i r k: Dass es die Eltern des LI sein könnten
Silentium: Is ja nicht so abwegig
Silentium: Weil die Wohnung neu ist
[) i r k: Aber für mich passt dieses Kalenderbild trotzdem nicht in den Kontext
[) i r k: Denn bis Juni scheint sich alles in der selben Räumlichkeit
abzuspielen
[) i r k: Aber, wenn meine Eltern mich besuchen kommen,
[) i r k: Und mir ein Bild schenken
Silentium: Hängst du's dann selbst auf?
Silentium: Oder machen sie das?
[) i r k: Dann hänge ICH es auf, und nicht sie!!!
[) i r k: Genau, das ist der Punkt
[) i r k: Das verwundert mich
Silentium: Vielleicht, wenn es ein wirklich scheußliches Bild ist
Silentium: Und sie nicht glauben, dass du es sonst überhaupt aufhängen würdest?
[) i r k: Vielleicht ist es das Portrait einer alternden Diva!
Silentium: Mit grünen Lockenwicklern in den Haaren
Silentium: Und einem zuckerlrosa Nachthemd
Hamburger: Eine Diva ist kein Paar!?
[) i r k: Das Bild, dass das alternde Paar aufhängt!
[) i r k: Ich glaub, Mirko hat noch nicht verstanden, worum es mir ging
Hamburger: Ja, sag
[) i r k: Also, ich sagte
[) i r k: Bis Juni scheint sich alles in der selben Räumlichkeit abzuspielen
[) i r k: Und ich dachte auch, als ich das Gedicht das erste mal las
[) i r k: Dass es die Eltern des LI wären, die vielleicht zu Besuch sind
[) i r k: ABER:
[) i r k: Wenn meine Eltern mich besuchen
[) i r k: Und mir ein Bild schenken
[) i r k: Dann hängen sie es nicht selbst auf
[) i r k: Sondern ich mache das
[) i r k: Gerade, wenn sie alt sind
Hamburger: Und d.h.?
Hamburger: Dass das die Wohnung des LI ist?
[) i r k: Vielleicht ist dieser Punkt zu pingelig
[) i r k: Aber für mich passt das alte Paar nicht in die Reihe
Silentium: Na ja ... vielleicht war es so:
Silentium: Neue Wohnung eingerichtet
Silentium: Eltern wollen Sohn überraschen
Silentium: Kaufen ihm heimlich ein Bild
[) i r k: Von einer alternden Diva
Silentium: Finden Bild wunderschön
Silentium: Denken: "Das hängen wir gleich auf
Silentium: Dann sieht der Sohn es, wenn er heimkommt und freut sich."
Silentium: Und dann hängen sie es auf.
Hamburger: Silly, das passt nicht
Silentium: Warum?
Hamburger: Na weil, wer kauft denn seinem Sohn ein Bild von einem alten Paar?
[) i r k: Ich wollte auch nur sagen, dass ich die Deutung
[) i r k: Mit dem "altes Paar" = "Eltern von LI" nicht so plausibel finde
Hamburger: Und wer hängt es dann noch selbst auf?
Hamburger: Ganz schön schwächlicher Sohn
Silentium: Wieso ein Bild von einem alten Paar?
Silentium: Es ist ja nur ein Porträt, mehr wissen wir gar nicht!
Hamburger: Doch, es steht da
[) i r k: Hä?
Hamburger: Ah, jetzt seh ich es
Hamburger: Mensch, du hast Recht, Silly!
Silentium: Ich hab IMMER Recht
Silentium: Das ist einfach so
Hamburger: Ein altes Paar hängt nicht als Porträt an der Wand
Hamburger: Sondern hängt ein altes Porträt an die Wand
Silentium: Lassen wir's offen, hm?
Silentium: Und Spider soll das dann klären
Hamburger: Hatte mich verlesen
Silentium: Macht ja nix
Silentium: Und wenn Spider keine gute Erklärung hat, hauen wir ihn
Hamburger: Erst hast du Recht, weckst meinen Detektivsinn
Hamburger: Und jetzt willst du's offenlassen
Hamburger: Sadistin!
Silentium: Ich stamm von einer Vorarlbergerin ab
Silentium: Die sind alle Sadisten, alle miteinander.
[) i r k: Ähm, gibt's zu dieser Strophe noch was?
Hamburger: Ja, zu der Strophe würd ich gern noch was machen
Hamburger: Noch was allgemeines auch sagen, ehrlich gesagt
Hamburger: Mich bringt man zwar auch leicht zum Gruseln
Hamburger: Aber ich find die ziemlich gruselig
Hamburger: Wenn ich mir eine Familie mit Strumpfmasken
Hamburger: Auf der Wohnzimmercouch vorstelle
Hamburger: Im Oktober am Esstisch ausradierte Köpfe
brrrrrr[) i r k: Ja, deswegen sagte ich, das klingt schon sehr psychotisch
Hamburger: Irgendwie bin ich nicht glücklich damit, das alles offen zu lassen
[) i r k: Das ist nicht einfach nur eine Trennungsgeschichte
Silentium: Interessant ist, die Eskalation zeichnet sich zwar ab
Silentium: Recht plötzlich sogar - mit den Strumpfmasken
Silentium: Aber das Blut dann plötzlich, ohne dass sonst wie Gewalt angewendet
wird ...
Silentium: Es ist, als würde dauernd in der Wohnung was passieren
Silentium: Und am Ende jeden Monats kommt die Polizei
Silentium: Und macht ein Foto vom Tatort.
Hamburger: Ja, ein Kreislauf der Eskalation
Hamburger: Es erinnert mich auch an diese typischen amerikanischen Serien
Hamburger: Wo ich erst die Reihenhaussiedlung habe
Hamburger: Und alles sieht harmonisch aus
Hamburger: Und ich weiß von der ersten Sekunde irgendein Grauen ist dahinter
Hamburger: Und dann schlägt es recht plötzlich zu
Hamburger: Und wirkt durch den Kontrast umso schockierender
Hamburger: Vor allem finde ich, wir sollten den Bezug mal einbinden:
Hamburger: Das ist das, ich nerve und sag's noch mal,
Hamburger: Was im neuen Jahr kommen wird ...
Hamburger: Das wirkt aber nicht sehr konventionell
[) i r k: Aber was der Spider gut gemacht hat, ist:
[) i r k: Januar - leeres Appartment
[) i r k: Dezember - leeres Appartment
[) i r k: Es endet, wo es anfängt
Hamburger: Stimmt, schrieb ich ja schon
[) i r k: Achso, sorry
Hamburger: Nein, der Punkt ist gut: Weißt du, was das heißt?
Hamburger: Im Dezember kann man sich wieder Hoffnung machen
Hamburger: Neujahrswünsche, das was das LI durchschaut hat
Silentium: Für die nächste Diva
Hamburger: Genau, deswegen auch rissige Tapeten?
Hamburger: Oder ist das überinterpretiert?
Hamburger: Es sind ja Spuren, die Spuren eines Jahres
Silentium: Sind Tapeten nach einem Jahr schon rissig?
Hamburger: Na, wenn Geschirr geschmissen wird
Hamburger: Kommt auf die Ausdauer der Schmeißenden an
Silentium: Und die Haltbarkeit des Geschirrs
Hamburger: Bei dieser Psycho-Familie ist alles denkbar
[) i r k: Ich glaub, Mirko, ich habe deine Frage wieder nicht verstanden
Hamburger: Welche Frage?
[) i r k: Was für einen Bezug möchtest du jetzt herstellen?
Hamburger: Den Bezug zur vorherigen Strophe
Hamburger: Erinnern wir uns: Das ist ein selbstgemachter Fotokalender
Hamburger: Das ist, was wahrscheinlich (so unsere Deutung) passieren wird
[) i r k: Du hast gesagt, irgendwas wäre nicht sehr konventionell, oder so?
Hamburger: Ja, stimmt, habe ich gesagt, meintest du das?
Hamburger: Dann dazu eine Erklärung:
Hamburger: Es ist doch so, dass das LI das Spiel der Neujahrswünsche
Hamburger: Diesen Übergang und die Nichtmöglichkeit der Brüche durchschaut hat
Hamburger: So das ist die Vergangenheit, jetzt geht es um die Zukunft
Hamburger: Und da müsste man doch denken, es erkennt jetzt
Hamburger: Das immer dasselbe passieren wird, etwas langweiliges
Hamburger: Dass es den Bruch nicht gibt, sondern einen ewigen Trott
Hamburger: Der sich aus dem speist, was war
Hamburger: Aber das, was Spider zeigt
Silentium: Blut an der Tapete ist langweilig?
Hamburger: Eben, Silly!
Hamburger: Das, was Spider zeigt, ist kein Trott
Hamburger: Alles andere als das
[) i r k: Hm, stimmt
Hamburger: Das ist gruselig, furchterregend
Hamburger: Ich bewerte es sicher über, weil ich zart besaitet bin
Hamburger: Aber es hat etwas gespenstisches, etwas morbides
Hamburger: Wie bei David Lynch
Hamburger: Diese Familie, das ist wie ein Lynch-Effekt
Hamburger: Dem würde ich gerne auf den Grund gehen!!
Silentium: Bin definitiv NICHT zart besaitet, gebe dir trotzdem Recht
[) i r k: Aber später in dem Gedicht heißt es noch:
[) i r k: "Die Bilder, die ich sehe, sind ohne Bedeutung"
Hamburger: Ja, warum sind die ohne Bedeutung, gelb?
[) i r k: Was er sieht, ist auch Fiktion
[) i r k: Es sind Aktionspotentiale
[) i r k: Später heißt es ja auch:
[) i r k: "Ich weiß nicht, was passieren wird"
[) i r k: Vielleicht sollten wir uns doch von der Theorie verabschieden
[) i r k: Dass der Kalender eine FESTSTEHENDE Zukunft zeigt
[) i r k: Sondern nur eben eine mögliche
Hamburger: Na, aber wir hatten doch schon gesagt
Hamburger: Dass es das ist, was wahrscheinlich passieren wird
Hamburger: Übrigens, noch eine Anmerkung, so direkt zu Spider
Hamburger: Ich kenne ihn ja nur vom Einmalsehen in Köln
Hamburger: Und welche Abgründe da lauern
Hamburger: Ich hätte es nicht für möglich gehalten
Hamburger: Bei diesem netten, aufgeschlossenen, sympathischen jungen Mann
Hamburger: Du hast uns alle getäuscht, du
Silentium: Stichwort: Forensikhochsicherheitszelt
[) i r k: Ach, Spider hat schon auch was morbides in seinen Gedichten
[) i r k: Der Tod und Friedhöfe
Silentium: "Der Kurier" ...
[) i r k: Es gibt da schon das eine oder andere dekadente Bild
Hamburger: Da sieht man wieder, dass ich von ihm so was systematisch nicht lese
Silentium: Nur, um das zu klären und das kommt bitte nicht ins Protokoll -
Silentium: Weil er sich am Ende was drauf einbildet
Silentium: "Der Kurier" ist das beste Gedicht
Silentium: Das weltweit und überhaupt je geschrieben wurde
Silentium: Wehe, das steht im Protokoll
Silentium: Aber das ist so
[) i r k: Das steht 100Pro im Protokoll
Silentium: WEHE!
Hamburger: Welche Sanktionen hast du schon gegenüber gelb, Silly?
Silentium: Reicht schon, dass ich euch umarme
Silentium: Muss jetzt nicht noch erklärt werden
Silentium: Dass Spider sowieso der beste aller Lyriker ist.
Hamburger: Kannst du dir noch merken, gelb,
Hamburger: Was du alles aus dem Protokoll streichen musst?
[) i r k: Das steht doch im Protokoll, was nicht im Protokoll stehen soll
Hamburger: Ach, stimmt ja, bin ich zerstreut
Hamburger: Meine Zerstreutheit bitte nicht in Protokoll aufnehmen
Silentium: UND dir schick ich Gedächtnispillen!
Hamburger: Aber noch mal zurück! Ich hab ne Deutung
Hamburger: Wir hatten doch gesagt, zumindest hatte ich das behauptet
Hamburger: Dass das LI in gewissem Sinne gegen das neue Jahr unterwegs ist
Hamburger: Es ist der Vorbote des Regens
Hamburger: Wenn es nun schon mit seiner Arbeit beginnt
Hamburger: Dann zapft es eben nicht die Bilder des typischen Trotts ab
Hamburger: Den es durchschaut hat, sondern es zapft genau die gegenteiligen
Bilder ab
Hamburger: Die einen gewissen Kick bringen
Hamburger: Die den Schockeffekt bringen
Hamburger: Kurzum: Die den Trott durchbrechen
Hamburger: Gerade deshalb auch die erste Jahreshälfte so ruhig und scheinbar
friedlich
Hamburger: Und dann die krasse Änderung, nämlich:
Hamburger: Verkrassung der Bilder im Kalender
Hamburger: Eine sehr eigenwillige Deutung, aber sie hat was für sich, find ich
Hamburger: Ihr seid dran
Silentium: Könnte sein... ist auf jeden fall besser, als das, was wir bisher
haben ...
Hamburger: Ach so, sorry, deshalb sind die Bilder auch ohne Bedeutung
Hamburger: Was das LI da macht ist eben eher etwas, tja, spielerisches
Hamburger: Deshalb weiß es auch nicht, was passieren wird
Hamburger: Weil das, was es konstruiert, relativ unwahrscheinlich ist
Hamburger: Jetzt seid ihr aber dran
Hamburger: Das LI
Hamburger: (Ich bin schlimm ich weiß, aber mir fällt noch was ein)
Hamburger: Hat das Spiel ja auch durchschaut
Hamburger: Warum sollte es jetzt denselben Trott konstruieren wollen?
Hamburger: Außerdem, das läge doch gar nicht in seinem Interesse
Hamburger: Es stürzt auf die Diva
Hamburger: Sich auf jemanden stürzen, ist schon eher feindselig
Hamburger: So jetzt ihr, endgültig
Silentium: Ich find die Deutung gut.
Silentium: Nicht schlecht, Herr Specht, aber echt.
[) i r k: Die letzte Strophe!
Silentium: Die letzte Strophe.
Hamburger: Ja, was sagt ihr denn jetzt zu der Deutung?
Hamburger: Gelb?
[) i r k: Hm
Silentium: Ich sagte doch: ich find die Deutung GUT.
Hamburger: Ansatzweise passend?
[) i r k: Ähm, also deine Deutung hat einen Widerspruch
[) i r k: Für mein Empfinden
[) i r k: Nämlich: Das LI konstruiert sich wieder eine Wirklichkeit
[) i r k: Natürlich, es kann nicht wissen, was passiert
[) i r k: Aber im Grunde macht es doch genau das, was es vermeiden wollte, oder
nicht?
Hamburger: Wieso?
[) i r k: Es konstruiert etwas, dass nicht ist
Hamburger: Aber das ist besser als den Trott hinzunehmen
[) i r k: Nur der Wunsch wird hier durch den Horror ersetzt
Hamburger: Vor allem ist es endlich mal etwas
Hamburger: Was wenig wahrscheinlich erscheint
[) i r k: Ich gebe dir zu, dass es sich dabei um eine Spielerei handelt
[) i r k: Aber der Vorgang bleibt an sich der gleiche
Hamburger: Ja, es ist ein Ausbruch in eine irreale Konstruktion
Silentium: Was ist, wenn das LI nicht bewusst konstruiert
Silentium: Sondern eher eine Ahnung hat
Hamburger: Doch das tut es, Silly
Hamburger: "selbstgemachter kalender"
Hamburger: es "zapft ab"
Hamburger: Das sieht alles sehr bewusst aus
Hamburger: Du hast geschrieben, der Wunsch wird durch Horror ersetzt
Hamburger: Das unterschreibe ich
Hamburger: Aber ich finde die Motivlage des LI, die dazu führt, sogar stimmig
Hamburger: Ich meine: Es erkennt den Trott
Hamburger: Es hat die Metaposition
Hamburger: Es kann damit nichts anfangen
Hamburger: Wenn du eines Systems überdrüssig bist
Hamburger: Dann kann das durchaus in dem Wunsch nach Horror
Hamburger: Oder sagen wir besser: in Gewaltphantasien münden
Hamburger: Ein besonderer Kunstgriff wäre hierbei
Hamburger: Dass das LI die UNWAHRSCHEINLICHEN Aktionspotenziale abgezapft hat
Hamburger: Das, was eben auch geht, aber selten vor kommt
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)