Answering Rilke

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Lene
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Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 03:32

Rilke:

Klage

O wie ist alles fern
und lange vergangen.
Ich glaube, der Stern,
von welchem ich Glanz empfange,
ist seit Jahrtausenden tot.
Ich glaube, im Boot,
das vorüberfuhr,
hörte ich etwas Banges sagen.
Im Hause hat eine Uhr geschlagen...
In welchem Haus?...
Ich möchte aus meinem Herzen hinaus
unter den großen Himmel treten.
Ich möchte beten.
Und einer von allen Sternen
müsste wirklich noch sein.
Ich glaube, ich wüsste,
welcher allein
gedauert hat, -
welcher wie eine weiße Stadt
am Ende des Strahls in den Himmeln steht.


Lenes Antwort:

Du möchtest aus deinem Herzen hinaus?
Blickst auf zum Himmel, dem großen, doch drunten
- zwischen dem Fluss und dem Haus –
bin ich ein Stück Erde.
Die Zeit, die mich hertrug,
verriet mir jetzt erst den Ort.
Schau, das Boot ist verschwunden.
Und was immer die Uhr schlug,
geh nicht so schnell fort.
bevor es uns einschneit für immer (Max Frisch)

Glaukos
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Glaukos » 19.12.2004, 04:14

Answering Lene ;-)


Wo ist denn bitte das Rilke-Gedicht her? Steht es in einem besonderen Zyklus? Es erinnert mich an etwas ...

Deine Antwort gefällt mir auch sehr gut. Nur das "schau her" finde ich nicht treffend. "sieh her", "sieh nur"?


Außerdem denke ich hier mit dieser "Antwort" an Nietzsches "Klage der Ariadne". Da gibt es auch einen Antwortvers des Gottes, ich glaube es ist Dionysos selbst ...


Nächtliche Grüße
Tolya

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Re: Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 04:20

Hallo Tolya...

Rilke: Das Buch der Bilder (1902/1906) - Des ersten Buches zweiter Teil

"Schau her" wollte ich gerade ändern, als ich wieder ins Forum kam, allerdings das "her", weil es in "hertrug" schon einmal kam.

"Schau" möchte ich lassen, weil es (zumindest hier in Bayern) etwas Vertrautes hat, was mir wichtig ist für den Ton des Gedichts. Danke für den Vergleich mit Nietzsche :-D , muss ich mal nachlesen!

Gute Nacht auch dir,
Lene
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Silentium » 19.12.2004, 12:46

Oh ja, rettet das "Schau"! Klingt bei weitem nicht so gestelzt wie "sieh".

Schwierig ist nur das "drunten", weil das halt ein wirkliches Dialektwort ist... aber im Prinzip is ein bissl Dialekt sowieso nicht schlecht. (Versuch ich den Herrschaften hier schon seit anderthalb Jahren klarzumachen.)

Ist schön, die Antwort, und wäre sogar ohne den dazugehörigen Rilketext schön.
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Edekire » 19.12.2004, 12:51

Ich finde das drunten acuh nciht schlecht. Das ist mir gar nicht als Dialektwort aufgefallen, ich bin auch nciht sicher ob das nciht einfach nur alt ist. danach klingt es nämlich für mich. und das passt gut zum tonfall :-)
ach ja auch von mir : :welcome:
:-)
ich wünschte ich hätte musik, doch ich habe nur worte
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 12:53

Hallo Silly...

"Aber was schwatze ich mit Euch, Geselle, da drunten für tolles Zeug, und male nicht weiter? (Quelle: E.T.A. Hoffmann - Die Jesuiterkirche in G. / 2)"

Was gut genug für den ist, ist gut genug für uns, oder?

... danke, auch an dich, Edekire, fürs Willkommen!
Lene :-))
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Silentium » 19.12.2004, 13:03

Okay, Etea ist als Beweißmittel zulässig. :-D
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Spiderman » 19.12.2004, 17:00

Hi Lene,

herzlich Willkommen im Forum! Dein Gedicht gefällt mir gut. Alleine der Wagemut, ein Rilke-Antwort-Gedicht zu schreiben, finde ich lobenswert. Aber wie kann ich das Gedicht eigentlich verstehen? Ich versuch's mal für mich so zu übersetzen:

Rilke: "Irgendwie bin ich total mies drauf. Es gibt ja gar nix, woran ich glauben kann. Am liebsten würde ich raus aus meiner Haut. Außerdem hab ich ganz schrecklich Angst. Naja, vielleicht gibt's da ja noch irgendwas im Himmel. Einen Stern oder so. Mal gucken. Keine Ahnung."

Lene: "Jetzt stell dich mal nicht so an. Das geht schon wieder vorbei. Was willst'n eigentlich mit dem Himmel und den Sternen. Schau her zu mir, hier auf der Erde findet das Leben statt. Bleib da und wart einfach ab."

Ja, eine angemessene Antwort.

Gruß

Spider
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 18:34

Hi Spider,

die Angst hätte ich jetzt darin gar nicht gelesen. Muss ich mal drüber nachdenken.

Aber Lenes Reaktion stimmt so in etwa... :-)

Bis bald!
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Spiderman » 19.12.2004, 19:37

Klar, die Angst ist doch im Rilke-Gedicht ganz großes Thema! Das Boot, in dem Banges gesagt wird, ist ja wohl ein Todessymbol schlechthin. Dann die Uhr, die schlägt. Der gute alte Rilke spielte m.E. mit Todesangst und Todessehnsucht in dem Gedicht. Jedenfalls, sehr dem Leben abgewandt, sehr auf der Flucht, der Gute.
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 19:41

Stimmt. Vielleicht hab ich die Angst vergessen, weil ich zu sehr an eine bestimmte Person gedacht habe, nämlich an die, die mir das Gedicht zitiert hat, und der ich "in Wirklichkeit" geantwortet hab.

Danke! Lene
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Glaukos » 19.12.2004, 19:46

Stimmt. Vielleicht hab ich die Angst vergessen, weil ich zu sehr an eine bestimmte Person gedacht habe, nämlich an die, die mir das Gedicht zitiert hat, und der ich "in Wirklichkeit" geantwortet hab.


... das klingt aber schön romantisch ;-)

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Re: Answering Rilke

Beitragvon Lene » 19.12.2004, 20:04

Soll ich jetzt hier mein Privatleben offenlegen, oder wie?? ;-)

Es ist alles ganz anders als ihr denkt! :-D

Danke übrigens für die vielen netten Kommentare - in einem anderen Forum hat jemand das ganze gerade als "Dichterwichse" bezeichnet... Schluchz.

Ich bin übrigens nicht glücklich damit, dass sich "Ort" auf "fort" reimt, habe die ganze letzte Nacht überlegt, aber so, wie es da steht, sagt es genau das, was ich meine, alles andere wäre weniger treffend (auch wenn man den Reim ganz weglassen wollte)...
Hat euch das "Ort"-"fort" Klischee auch so gestört?

Lene
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Spiderman » 19.12.2004, 21:30

Nö, Ort-fort hab ich gar nicht gemerkt. Hat deshalb auch nicht gestört.

Das mit dem Privatleben offenlegen ist eigentlich eine gute Idee. :-) Denn eine lyrisch ausgesprochen spannende Frage ist: was veranlaßt einen Menschen, einem anderen Menschen dieses Gedicht vorzulegen? Für mich tun sich da Abgründe auf. Und das gäbe Anlaß zu einem neuen Gedicht.
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Re: Answering Rilke

Beitragvon Glaukos » 20.12.2004, 11:44


Hat euch das "Ort"-"fort" Klischee auch so gestört?


Ich finde, dass es ein wunderbar gelungener Reim ist. Sozusagen das Herzstück deiner Verse! Unbedingt so lassen ;-)


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