Familie in Super 8

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Spiderman
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Familie in Super 8

Beitragvon Spiderman » 04.02.2005, 23:23

Familie in Super 8

Sommernacht, vom Balkon aus wirft Super 8
an das Nachbarhaus Sequenzen der Egometrie,
der Projektor wie ein schallgedämpftes Maschinen-
gewehr bei Zigarillo, Erdnußflips, Wein.

Grobkörnig illuminiert, mein Vater
mit Riesen-Koteletten klappt am Scharnier
meinen Schädel auf und lötet die Drähte,
er kennt die numerische Ordnung.

Mutter trägt ein Kleid im Seventies-Style,
sie öffnet am Reißverschluss meinen Rumpf,
jätet im Wildwuchs der Organe das Unkraut
und setzt unter das Zwerchfell Zwiebeln und Saat.

Im Hobbykeller tanzt zur Beat-Musik meine Schwester,
sie lehrt mich die Kunst, als Krieger zu kämpfen,
Beißen, Kratzen, Schwitzkasten, Judo,
Gewinnen ist das Ergebnis von Ausdauer, Disziplin.

Und das ist Barky, der Yorkshire-Terrier
auf dem Rasen im Garten, er weiß nichts, der Gute,
über die Relativität von Gedanken und Sprache,
ein Alltag nach den Gesetzen von Frolic und Stock.

Das ist das Reihenhaus, der quietschgelbe Fiat,
rechts unten eine Amsel im Bild, dann Flimmern auf Weiß,
das Scharren des losen Endes in Endlos-
schleife triggert den Rhythmus zum Schluss.
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

Silentium
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Re: Familie in Super 8

Beitragvon Silentium » 06.02.2005, 11:38

Hmmm... Familienabend auf Psychologisch. Schräg und gut.
I would go to the Dark Side in a heartbeat if I thought they had better dialog over there.
- Ursula Vernon

gelbsucht
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Re: Familie in Super 8

Beitragvon gelbsucht » 09.02.2005, 01:43

Guten Tag Herr Spinnenmann!

Also erstmal ist "Egometrie" ein schönes Wort. "Triggert" übrigens auch. So auf den ersten Blick habe ich mich sofort an "Das Kreuz mit der Familie" erinnert gefühlt, ohne dass ich jetzt genau sagen könnte warum.
Sommernacht, vom Balkon aus wirft Super 8
an das Nachbarhaus Sequenzen der Egometrie,
der Projektor wie ein schallgedämpftes Maschinen-
gewehr bei Zigarillo, Erdnußflips, Wein.

Super-8-Filme - sind das die 70er Jahre? Es gibt da ja noch ein paar Zeithinweise im Gedicht ... merkwürdigerweise assoziiere ich damit einmal mehr eine Fernsehserie. Ich habe plötzlich den Vorspann von "Wunderbare Jahre" im Sinn, sehr seltsam, das sind da eher die 50er. Herrje, jetzt habe ich auch noch einen Ohrwurm: With a little help from my friends. Äh, aber irgendwie bin ich von deinem Gedicht abgekommen. Also: 70er Jahre Filmprojektor, wahrscheinlich symbolisch gemeint, denn wir sehen ja "Sequenzen der Egometrie".
Grobkörnig illuminiert, mein Vater
mit Riesen-Koteletten klappt am Scharnier
meinen Schädel auf und lötet die Drähte,
er kennt die numerische Ordnung.

Der Vater erscheint, als homo faber. Das Kind, dessen Zeuger, dessen Erzeuger und geistiger Vater er ist, erscheint als Maschine, als kybernetisches Produkt des Technikers oder Ingenieurs. Natürlich eine Metapher für die Prägung, Sozialisierung, Erziehung - oder wie immer man es auch nennen mag. Die Riesen-Koteletten -> 70er Jahre. Das hätten Hinweise genug sein müssen, denke ich.
Mutter trägt ein Kleid im Seventies-Style,
sie öffnet am Reißverschluss meinen Rumpf,
jätet im Wildwuchs der Organe das Unkraut
und setzt unter das Zwerchfell Zwiebeln und Saat.

Das ganze übertragen auf die Mutter. Sie jätet und sublimiert. Sie sät und legt in ihrem Kind die Grundbausteine dessen an, was es später als erwachsene Persönlichkeit sein wird. Und alles, jede Kleinigkeit ist von Bedeutung. - Ein bisschen eindimensional: ich meine, die Richtung, es wirkt auf mich so passiv. Denn jede Eltern-Kind-Beziehung ist ja eigentlich eine Interaktion. Da wirkt die Beziehung zur Schwester schon etwas lebendiger und authentischer:
Im Hobbykeller tanzt zur Beat-Musik meine Schwester,
sie lehrt mich die Kunst, als Krieger zu kämpfen,
Beißen, Kratzen, Schwitzkasten, Judo,
Gewinnen ist das Ergebnis von Ausdauer, Disziplin.

Ähm, große Schwester, Geschwisterkampf, Erlernen von Methoden, sich auch später im Leben gegen andere zu behaupten und durchzusetzen, die vielleicht älter oder stärker sind, als man selbst.
Und das ist Barky, der Yorkshire-Terrier
auf dem Rasen im Garten, er weiß nichts, der Gute,
über die Relativität von Gedanken und Sprache,
ein Alltag nach den Gesetzen von Frolic und Stock.

"Relativität von Gedanken und Sprache" ist schön. Aber ich weiß trotzdem nicht, was du mir mit dieser Strophe sagen willst.
Das ist das Reihenhaus, der quietschgelbe Fiat,
rechts unten eine Amsel im Bild, dann Flimmern auf Weiß,
das Scharren des losen Endes in Endlos-
schleife triggert den Rhythmus zum Schluss.

Erinnert mich jetzt ein wenig an den Stil von Norbert. Filmisch. Abblende. Die Endlosschleife als Symbol für die Wiederholung, den Rhythmus, mit dem die ersten Jahre unseres Lebens den Rest davon unterlegen? Der Widerhall der Kindheit?

Das Gedicht plätschert ein bisschen belanglos aus, irgendwie nicht so befriedigend für mich als Leser. Es fehlt ein Bruch, eine Pointe, ein Kontrapunkt oder irgendwas vergleichbares. So wirkt dann das gesamte Gedicht etwas melancholisch und ziellos-sentimental auf mich. Es ist schön und verspielt in seinen Einzelheiten, manchmal ein bisschen zu glatt oder zu aufdringlich (was die Zeithinweise angeht), aber irgendwie fehlt noch der Clou, die entscheidende Spannung und Dramaturgie, die erforderlich ist, um beim Leser einen dauerhaften Eindruck zu hinterlassen. Kurz gesagt: Es ist so lala.

;-) gelbe grüße :-)
"Ein Kluger bemerkt alles - ein Dummer macht über alles eine Bemerkung." (Heinrich Heine)

Spiderman
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Re: Familie in Super 8

Beitragvon Spiderman » 19.02.2005, 11:17

Ja, gelbling, mit Deiner Kritik kann ich was anfangen. Eigentlich kann ich mich allen Punkten anschließen. Die Zeithinweise sind zu geballt, geben einzelnen Strophen etwas schablonenhaftes. Die Eltern-Kind Interaktion ist unidirektional falsch angelegt. Die letzte Strophe ist nichts weiter als eine Notlösung "weil mir nichts Besseres einfällt".

Ich selber mag ein paar Einzelheiten an meinem Gedicht. Die Strophe mit Barky ist ganz ganz wichtig. Da geht's ja um die Unterscheidung von Mensch und Tier, konkret auch darum, was eine menschliche von einer tierischen Familie unterscheidet. Der gute Barky hat's manchmal leichter, weil er nicht mit den unerwünschten Nebenwirkungen eines sprachbasierten Repräsentationssystem zu kämpfen hat.

Jedenfalls danke, gelb, für die Anmerkungen. Sie haben mir geholfen, klarer zu sehen, was mit dem Gedicht noch nicht stimmt.

Spiderman
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