Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Spiderman
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Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Spiderman » 20.02.2005, 01:01

Ich hab Jimi Hendrix gekannt

{Die Weisheit hatt ich mit Plastik-
löffeln gefressen, ich hatte Jahre
mit dem Lernen von Wörtern verbracht,
ich hatte die Namen gekannt
von Adler, Löwe und Fuchs,
ich hatte die Farben gezählt
und an die Orchideen und Birken
Nummern von Null bis Unendlich verteilt,
doch irgendwas hatte gefehlt.

Are you experienced? Ein Geruch
zwischen Frühling und Sommer
färbte das Haar violett, eine Muschel
hielt ich ans Ohr und ich verstand
Jimi Hendrix, als er in der Red Eye Bar sang
„Better people are animals,
elephants do not fear the fear."
Ohne Sprache, gedankenlos nahm ich
in der Verzerrung, dem zersplitterndem Beat,
in der Melodie ohne Grenzen das Bäumen,
den Puls, das Verschwinden, den Niedergang wahr.

[...in eckigen Klammern die Gegenwart
und wenn das Papier ungeduldiger wär',
könnt man im Strom kleine Sprünge besehen,
in relativer Bewegung ein Fenster,
die Wörter und was untenrum ist,
ein Fließtext aus Erfahrung und Sprache,
kleine Sprünge im Strom könnte man sehen,
wenn das Papier ungeduldiger wär',
die Gegenwart in eckigen Klammern...]

Ich werd niedergehen, verschwinden, den Puls,
das Bäumen in einer Melodie ohne Grenzen,
in zersplitternden Beats, in der Verzerrung
gedankenlos, ohne Sprache gewahr sein.
„Elephants do not fear the fear,
better people are animals."
werd ich in der Red Eye Bar hören,
Jimi Hendrix, und eine Muschel am Ohr,
ein Geruch zwischen Frühling und Sommer
färbt das Haar violett. Will you be experienced?

Gefehlt haben wird irgendwas,
die Nummern von Null bis Unendlich
werd ich an die Birken und Orchideen
verteilt und die Farben gezählt,
die Namen von Fuchs, Löwe, Adler
gekannt haben und ich werde die Jahre
mit dem Lernen von Wörter verbracht,
werde die Weisheit mit Löffeln
gefressen haben aus Plastik.}
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

[) i r k
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon [) i r k » 17.03.2005, 19:41

Danke, dass du den Knopf gedrückt hast und mein Gedicht vom Boden des Archivs hast aufsteigen lassen, wie den Mann in der Flasche. :-)

Ich mag Jimi Hendrix.

Und ich mag dein Gedicht.

Und die Symmetrie in deinem Gedicht.

LG,
[) i r k
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

Spiderman
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Spiderman » 19.03.2005, 12:00

Danke, Dirk, fürs Hochholen. Ich mag mein Gedicht auch.
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

Kato
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Kato » 27.03.2005, 22:32

Ein feiner Text, Spiderman!

Etwas sperrig für Ohr und Hirn empfinde ich allerdings in der ersten Strophe das viele "Gehatte".
Braucht es hier diese Zeitform wirklich? Und/oder könnte sie nicht zumindest nach dem "Einstieg" in die etwas "einfachere" übergleiten? Wenn nicht, würde ich aber herausstreichen, wo `s geht.
Denn diese Vergangenheit mit all dem Wissen darum bleibt dem lyrischen Ich ja - so oder so, oder?

Nur als Beispiel:

>>{Die Weisheit hatte ich mit Plastik-
löffeln gefressen, hab Jahre
mit dem Lernen von Wörtern verbracht,
hab die Namen gekannt
von Adler, Löwe und Fuchs,
die Farben gezählt
und an die Orchideen und Birken
Nummern von Null bis Unendlich verteilt,
doch: irgendwas hat gefehlt.<<


Gruß, Kato

Spiderman
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Spiderman » 28.03.2005, 20:02

Hi Kato,

ich sage mal Ja und Nein. Freilich hast Du recht, dass die vielen "hatte" in der ersten Strophe sperrig klingen und das ästhetische Empfinden beleidigen. Leider bietet eine andere Zeitform keine Alternative, dann würde das Gedicht und das Spiel mit der Zeit [für mich] nicht mehr aufgehen. Was also tun? Naja, wenigstens auf zwei "hatte" kann ich wirklich verzichten, das klänge dann so:

{Die Weisheit hatt ich mit Plastik-
löffeln gefressen und Jahre
mit dem Lernen von Wörtern verbracht,
ich hatte die Namen gekannt
von Adler, Löwe und Fuchs,
die Farben gezählt
und an die Orchideen und Birken
Nummern von Null bis Unendlich verteilt,
doch irgendwas hatte gefehlt.


Ist das jetzt gut so? :-&

Gruß

Spiderman
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

charis
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon charis » 31.03.2005, 10:28

lieber spidey,

die symmetrie des gedichts find ich auch toll, hast du super gelöst. womit ich mit doch schwer tu ist die aussage. was soll mir das gedicht sagen? das LI zählt also auf, was es gelernt hat, diagnostiziert ein "fehlen". es geht also um "ratio". dann "emotio", jimi und to be experienced, sinneseindrücke, und auch hier der niedergang... die gegenwart bringt all dieses scheitern zu papier. und dann beginnen dieselben irrungen von vorn, diesmal in umgekehrter reihenfolge... ich sehe es so, dass du die vergebliche glücksssuche des menschen beschreibst, und dass er es bei all den kopf- und bauchlastigen versuchen nicht finden kann/wird. eigentlich dann, nach meiner interpretation, ein zutiefst trauriges, pessimistisches gedicht.

aber: vielleicht liege ich ja - völlig - falsch...

die bilder adler-löwe-fuchs
und birke-orchideen lassen bei mir nichts klingeln, ich denke höchstens an fabeln beim ersteren. hm, vielleicht gibts da eine allgemein bekannte assoziation, die mir nicht parat ist? oder wie kommst du auf die begriffe? jedenfalls finde ich sie wunderschön, vor allem birke und orchidee - ein traumhaftes gegensatzpaar.

mit liebem gruß
charis

Kato
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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Kato » 02.04.2005, 02:54

Wenn dem LI die Distanz vom Damals zum Heute so wichtig ist, wenn es nichts von dem damals Gefühlten, dem damals Gewesenem
mit ins Heute genommen hat, Spiderman, dann lass diesen Text, wie er ist ...

Kato

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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon Spiderman » 05.04.2005, 19:42

@charis: nö, eigentlich finde ich das Gedicht nicht tieftraurig und pessimistisch, wobei Deine Interpretation recht nah an meiner lyrischen Intention ist. Klar, es geht um zwei verschiedene Zugangsweisen zum Leben, zum einen der Intellekt, die Vernunft, die Fähigkeit, zu unterscheiden und sprachlich zu benennen. Und zum anderen die direkte Erfahrung, das direkt Fühlbare, das lebendige Begehren, das in Sprache nur unzureichend Erfaßbare. Klar, und andauerndes Glück läßt sich über beide Zugangsweisen nicht finden, weil eben nichts andauernd ist. Aber ist das traurig? Nein, aus meiner Sicht nicht. Ohne einen Niedergang gibt es keinen Aufstieg, ohne Tod kein Leben. Zwar wird etwas gefehlt haben, aber der Mangel war immer auch Voraussetzung für all die Dinge, die geworden sind. Ähem, so ungefähr jedenfalls.

@kato: ja, diese Distanz braucht's. Ich lass es so, allerdings mit den Schönheitskorrekturen bzg. der unzähligen "hatte".

Liebe Grüße

Spider
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

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Re: Ich hab Jimi Hendrix gekannt

Beitragvon charis » 06.04.2005, 10:16

ah ha, sehr schön...
das hat dann wiederum gleich was sehr gleichmütiges vielleicht buddhistisches... gefällt mir auch gut, diese deutungsweise. nur wäre ich spontan nicht als erstes in die richtung gegangen, dazu fehtlen mir vielleicht irgendwelche ansätze im gedicht à la "und es gut so wie es ist"...

allerliebsten gruß
charis


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