O livro Literaturforum

Lass dir einen blasen

Wir erleben eine Wirklichkeit
zweiten Grades, jedes Wort
verändert seinen Gegenstand,
Bewusstsein entfremdet. Lass dir
einen blasen und im Moment
der reflexiven Entladung
spürst du vielleicht
für die Dauer eines Atemzugs
wie den Gedanken die Spucke wegbleibt

du steigst aus und dann auf
den Teppich aus Erde und Staub,
erstklassig, erstgradig,
hebst ab und strafst Newton
Lügen, fliegst mit den Möwen
als Gezeitenbrecher luftaufwärts,
bis die Spinne das Webmuster löst
und du herabsinkst
auf die Schlafcouch von Gewissen und Sprache,
zum Pussy-Ich, zu diesem Gedicht.

Hi Spider,

warum das /wir/ in der Anfangszeile? Willst du damit eine Generalitaet herbeireden, die deine macho-pubertaeren Phantasien mehrheitskonform legitimiert?

Das Gedicht ist frauenfeindlich, das ist dir vielleicht unterbewusst klargeworden. Frauen werden im Sexualakt instrumentalisiert, dem Akt an sich wird der Effekt einer erlebnissteigernden Realitaetsentfremdung zugesprochen. Er hat nur eine subjektiv definierte Funktion, keine Liebe, keinen ueber das egoistisch-effekthascherische Ich hinausweisenden Sinn.

Eine Frau /Pussy/ zu nennen, zeigt deine ganze Verachtung, Verniedlichung, Befremdung und Entfernung von der Frau, die dir das heilsbringende Gefuehl verschafft, die du nur im Zusammenhang deines augenblicklichen Gefuehls in Farben deiner Highstimmung benennen kannst, du bist unfaehig, einen beziehungsdefinierten Namen zu geben, weil fuer dich keine menschliche Beziehung zwischen dir und dieser /Pussy/ besteht, es besteht nur ein subjektives effektdefiniertes Verhaeltnis, und dafuer ist die Frau Mittel zum Zweck.

Dafuer steht auch die inhaltliche Leere des Gedichtes. Du redest viel, bringst viele Metaphern, aber sagst nichts, was ueber die subjektive Geilheit hinausweisen koennte.

Dieses Gedicht spricht vom Alleinesein bei der Liebe. Aber dafuer ist es gelungen. Wenn wahrscheinlich auch nicht so beabsichtigt.

SMID

Hi Spider ...

... ich wusste sofort, dass hier nur SMID geantwortet haben konnte


Ein zwei Anmerkungen:

Wir erleben eine Wirklichkeit
zweiten Grades, jedes Wort
verändert seinen Gegenstand,
Bewusstsein entfremdet. Lass dir
einen blasen und im Moment
der reflexiven Entladung
spürst du vielleicht
für (die Dauer) drei(er) Sekunden
wie den Gedanken die Spucke wegbleibt

du steigst aus und dann auf
den staubgewobenen Teppich,
erstklassig, erstgradig,
hebst ab und strafst Newton
Lügen, fliegst mit den Möwen
als Gezeitenbrecher luftaufwärts,
bis die Spinne das Webmuster löst
und du herabsinkst
auf die Schlafcouch|
von Gewissen und Sprache,
zu dieser Pussy, diesem Gedicht.


Ich würde die vorletzte Zeile umbrechen, erscheint mir zu lang.
Tja, vom Inhalt ist es wohl Geschmackssache. Traurige Angelegenheit, aber manchmal gehts wohl nicht anders.

Mal ne Frage: Ist "blasen" erniedrigend? Ist es das immer noch, wenn die Anordnung der Körper dabei nicht in der Horizontalen, sondern in der Vertikalen stattfindet? Oder wenn es Teil einer wechselseitigen Interaktion ist/wäre?

Ich denke, es gibt auch den karitativen Blowjob Ich sollte mal was über eine Hure schreiben, die glaubt, die Welt durch ihre Arbeit besser zu machen. Eine heilige Johanna des Straßenstrichs - aber das gibts bestimmt auch schon tausendfach notiert


Herzlich
Tolya

Hi Tolya,
danke für die Anmerkungen. Stimmt, "für die Dauer dreier Sekunden" geht eigentlich einfacher. Das Problem: es soll etwa drei Sekunden dauern, die Zeile zu lesen. "für drei Sekunden" wäre also zu kurz. Vielleicht fällt mir noch eine elegantere Lösung ein. "auf die Schlafcouch von Gewissen und Sprache" ist als Zeile so lang, um das langsame Herabsinken rhythmisch zu unterstützen, sollte sowas sein wie das Anziehen der Handbremse. Bin mir da aber auch nicht ganz sicher.

Zur Frage: "ist blasen erniedrigend?" Ich denke, Nein, nicht unbedingt, kommt auf den Kontext an. Dominanz und Unterwerfung sind ja Bestandteile jeden Sexualakts, das bleibt gar net aus, meistens ist es ein Wechselspiel.

Aber eigentlich geht's in dem Gedicht (für mich) gar nicht um die lyrische Verdichtung von Oralsex. Man muss sich doch eigentlich nur angucken, wer da wem einen bläst. Wer ist "wir", wer ist "du" und wer ist die "Pussy"?

Gruß

Spiderman

Hi Spider,

meine Anmerkungen zielten auch ein bisschen auf den werthen Herrn Smid.

"Stimmt, "für die Dauer dreier Sekunden" geht eigentlich einfacher. Das Problem: es soll etwa drei Sekunden dauern, die Zeile zu lesen."

Das ist m.E. Tändelei. Das brauchst du nicht. Meine Meinung


"auf die Schlafcouch von Gewissen und Sprache" ist als Zeile so lang, um das langsame Herabsinken rhythmisch zu unterstützen, sollte sowas sein wie das Anziehen der Handbremse."

Klingt verständlich. Und auch das Bild finde ich nicht schlecht. Gewissen und Sprache nebeneinander, das hat was


"Aber eigentlich geht's in dem Gedicht (für mich) gar nicht um die lyrische Verdichtung von Oralsex. Man muss sich doch eigentlich nur angucken, wer da wem einen bläst. Wer ist "wir", wer ist "du" und wer ist die "Pussy"?"

Ja, genau.
Nicht ganz ernst gemeinter Vorschlag:
Nenn das Gedicht doch "Pussy blasen". Das irritiert dann total

Salut
Tolya

In dem Gedicht geht's um Sex?

Also habe ich am Ende alles verwechselt?

Dann muss es wohl an meiner Unfaehigkeit gelegen haben, die Wahrheit aus dem Gedicht herauszulesen? Oder lag es nicht viel mehr an der Unfaehigkeit des Dichters, die Dinge richtig zu benennen? Auf keiner amerikanischen, japanischen, chinesischen und sonstigen Sexsite heisst es /er blaest ihr/. Willst du mich eigentlich verarschen? Lecken ist lecken und blasen ist blasen. Aus basta. Und einen Mann Pussy zu nennen, geht auch nur unter Arschfickern. Ob man dann leckt oder blaest, verkommt zur haarspalterischen Definitionsfrage.

Ob der Dichter vom Thema nichts versteht? Jedenfalls laeuft er Gefahr, sich durch alberne Zusammenhangs-, Wort- und Substanzverdrehungen die Geduld der Zuhoererschaft zu verspielen.

Aber vielleicht war das ja gewollt.

SMID

"Aber vielleicht war das ja gewollt."

Ich glaube, du stößt vor zu dem Kern der Sache

Spider, ich bin wirr. Ich habe meine Frage geschrieben, ohne zu merken, dass Du sie weiter oben schon beantwortet hast. Dachte Du wärest Tolya gewesen... also... äh...

Weckt mich einfach, wenn ihr feststellt, dass ich mich für Kleinervogel halte. :-&

Dennoch - um kurz sachlich zu werden: Genau. Ich hatte wirklich nicht den Eindruck, dass Du hier 19 Zeilen darauf verwendest, uns mit Deinen bevorzugten Verkehrstechniken bekannt zu machen.

Vielleicht kommt das daher, dass ich ein besonderer Freund der ersten vier Zeilen bin.

Ich äußere mich ja selten zu Deinen Gedichten - Dein Stil gefällt mir sowieso immer, Themenwahl auch, Behandlung auch... ja... pfff... Fühl Dich gelobt

Kritik... geht in Wortklauberei, aber ich mache mal:

"staubgewoben" ragt hier wie ein Pfahl aus dem Stilbild, und schön ist er nicht, der Pfahl.

Und die Pussy... wirkt ein wenig aufgesetzt (im Gegensatz zum Blasen, übrigens).

Was die drei Sekunden angeht, stimme ich Glaukos voll zu. Da sowieso jeder anders und unterschiedlich lang liest, riskierst Du hier für ein Spiel eine eher schwache Formulierung. Ist es nicht wert, denke ich.

Greetz Razor

P.S. Oje... was haben wir denn hier... ein hässlicher Pfahl, eine aufgesetzt Pussy und angenehmes Blasen. Hoioioioi... :rofl:

Okay, habe noch ein paar Änderungen vorgenommen. Mit den "drei Sekunden" habt Ihr ja recht, hab's jetzt in "für die Dauer eines Atemzugs" geändert. Für Dich, Razor, habe ich dann mit einem Kran den Pfahl aus der Erde gezogen und stattdessen einen "Teppich aus Erde und Staub" gepflanzt.
Die "Pussy" will ich eigentlich behalten, aber wahrscheinlich bin ich der einzige auf dieser gottverlassenen Welt, der den poetischen Wert dieses Wortes erkennt. Hab die "Pussy" jetzt mal durch ein Synonym ersetzt, durch "Ich".

Pussy kann SEHR poetisch sein - man nehme nur den "Come on Pussy Lovers!"-Monolog aus From Dusk till Dawn.

Aber nicht hier. :-p

Die "Pussy" will ich eigentlich behalten, aber wahrscheinlich bin ich der einzige auf dieser gottverlassenen Welt, der den poetischen Wert dieses Wortes erkennt. Hab die "Pussy" jetzt mal durch ein Synonym ersetzt, durch "Ich".

Unsere Nachbarn hatten damals zwei Katzen. Die eine hieß Muschi und die andere Pussy. Als kleiner Knabe wusste ich freilich nicht, was man darunter auch NOCH verstehen konnte. Für mich waren das poetische Namen für Katzen

Ich finde die "Ich"-Lösung nicht so doll. Aber das ist wieder mal Geschmackssache.

Melde höflichst: Pussy bitte drinnlassen! "Ich" ist fahl dagegen!

Unsere Nachbarn hatten damals zwei Katzen. Die eine hieß Muschi und die andere Pussy.

Ich hatte auch mal eine Katze die Pussy hieß, wußt ich die bedeutung damals auch nicht, war für mich einfach eine Europäische Katzenname. :damn:

Ja, aber Du hast eine vernünftige Entschuldigung (andere Muttersprache). Die hatte Edmund Stoiber nicht, als er seine Frau "Muschi" taufte...

Siehste, Spider, da schreibste ein wirklich brauchbares Gedicht, und was machen wir daraus? Den Pussy-Thread. Jammervoll...

Andererseits:

"Do you want a fine piece of pussy-poetry?
COME ON HERE, PUSSY LOVERS!!!!!"

Willkommen im Titty-Twister unter den Literaturforen ]:-)