Die Feuchtigkeit in den Dingen

Du schreibst Gedichte? Laß sie nicht in einer Schublade verschimmeln! Menschenbeifall wirst Du hier finden, aber auch Kritik und Rat.
Spiderman
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Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Spiderman » 09.05.2005, 22:43

Die Feuchtigkeit in den Dingen

Draußen saugt eine Ahnung
des kommenden Sommers
mit unsichtbaren Halmen
die Feuchtigkeit aus den Dingen,
aus dem Riss im Asphalt
neben der Einfahrt vorm Haus,
aus der vergessenen Zeitung
neben der Altpapiertonne
und dem Gemüse vorm Geschäft
des türkischen Händlers,
ein durstiger Atem
lässt die Moleküle erzittern
an diesem Samstag im Mai.

Wir beide suchen drinnen
das Weite im Innern
zwischen Decken und Laken,
Feuchtigkeit ist eine Gabe
gern geschehen für die Ahnung
von allem was kommt
und für die Dinge, die da sind
und die gut sind, weil es sie gibt,
für die Jimi-Hendrix-LP,
für dein zerknülltes T-Shirt
am anderen Ende des Raums
und für das Space-Odyssey-Poster,
ich spür deinen Atem
neben dem Ohr und im Nacken
schwingen die Härchen im Takt.

Weder drinnen, noch draußen,
sondern dazwischen tief innen,
irgendwo in der Weite des Raums,
stell dir vor, wir sind Götter
und jedes Atom unserer Körper
hält ein Universum in Gang
und in jedem Universum
hält einer der Planeten
Leben und Dinge bereit,
dort fahren Autos, laufen Menschen,
alles faltet sich ineinander,
da ist ein Döner-Laden,
ein Obst- und Gemüsegeschäft,
in der Einfahrt ein Lieferwagen
und in einer Zimmerecke liegt
ein rosa Shirt mit Kussmund darauf,
Stell dir vor und in jenem Moment,
wenn dein Atem stockt
und deine Finger
fester noch in den Rücken
sich krallen, sich beißen,
regiert auf allen Planeten
ein Samstag in flirrender Hitze im Mai,
überall liegen wir zwei,
erschöpft, außer Atem besingen
wir die Feuchtigkeit in den Dingen.
Die nette Lyrik-Spinne von nebenan!

Fitnat
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Fitnat » 10.05.2005, 09:26

Wow!

Das ist ein Super Gedicht

Das ist absolut Klasse!

stell dir vor, wir sind Götter
und jedes Atom unserer Körper
hält ein Universum in Gang



Spider :-)
Wenn ich mein Schatten auf dem Asphalt sehe,
denke ich, "Du Armer Poet, bist schon wieder auf dem Boden!"

F.A. "Tanz des Todes"

charis
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon charis » 10.05.2005, 10:38

zunächst mal kurz und spontan: wunderschön, sexy und überquellend.
Spidey at his best!
B-)

Flocke
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Flocke » 17.05.2005, 17:04

Hi, Spiderman.

Ja, ich bin etwas spät, aber muß auch noch meinen Senf dazugeben.

Ich finde es ebenfalls in sich sehr schön, rund und absolut gelungen. Ein paar kleine Anmerkungen hätte ich jedoch:


Die Feuchtigkeit in den Dingen

Draußen saugt eine Ahnung
des kommenden Sommers
mit unsichtbaren Halmen
die Feuchtigkeit aus den Dingen,
aus dem Riss im Asphalt
neben der Einfahrt vorm Haus,
aus der vergessenen Zeitung
neben der Altpapiertonne

und dem Gemüse vorm Geschäft
des türkischen Händlers,
ein durstiger Atem
lässt die Moleküle erzittern
an diesem Samstag im Mai.

Wir beide suchen drinnen
das Weite im Innern
zwischen Decken und Laken,
Feuchtigkeit ist eine Gabe
gern geschehen für die Ahnung
von allem was kommt
und für die Dinge, die da sind
und die gut sind, weil es sie gibt,
für die Jimi-Hendrix-LP,
für dein zerknülltes T-Shirt
am anderen Ende des Raums
und für das Space-Odyssey-Poster,
ich spür deinen Atem
neben dem Ohr und im Nacken
schwingen die Härchen im Takt.

Weder drinnen, noch draußen,
sondern dazwischen tief innen,
irgendwo in der Weite des Raums,

stell dir vor, wir sind Götter
und jedes Atom unserer Körper
hält ein Universum in Gang
und in jedem Universum
hält einer der Planeten
Leben und Dinge bereit,
dort fahren Autos, laufen Menschen,
alles faltet sich ineinander,
da ist ein Döner-Laden,
ein Obst- und Gemüsegeschäft,
in der Einfahrt ein Lieferwagen
und in einer Zimmerecke liegt
ein rosa Shirt mit Kussmund darauf,
Stell dir vor und in jenem Moment,
wenn dein Atem stockt
und deine Finger
fester noch in den Rücken
sich krallen, sich beißen,
regiert auf allen Planeten
ein Samstag in flirrender Hitze im Mai,
überall liegen wir zwei,
erschöpft, außer Atem besingen
wir die Feuchtigkeit in den Dingen.



Das kursiv geschrieben würde ich weglassen, aus folgenden Gründen:

Die LP taucht nicht noch einmal auf und hat eigentlich nur die Funktion, ein "gutes" Ding zu sein, ich denke, du brauchst sie hier nicht. Ebenso das Poster. Und die Zeitung. Denke ich.

Das "weder drinnen noch draußen...", ich kann dir nicht genau sagen, warum, aber mich hat es gestört. Vielleicht klingt es zu allgemein, zu gewollt, ich weiß auch nicht, aber ich fand es besser ohne...

Und den Schluß, nun ja, ich empfand ihn als angehängt, als wolltest du auf Teufel komm raus den Bogen noch mal kriegen. Und dann der plötzliche ungewollte? Reim... Für mich war das Gedicht nach dem Samstag im Mai dann zu Ende.

Aber wie gesagt, mir gefällt es auch echt gut... welch ein Tag. :-D

Lieber Gruß
Flocke
...Der den Wind kennt / besser als alle Bücher / den Baum / frag nach Wahrheit...

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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon razorback » 17.05.2005, 17:21

Ich widerspreche! :-D Ich will das jedes verdammte gute Ding drin bleibt. In diesem erstklassigen Gedicht.

Du schreibst Gedichte, Spider, die machen einem die Momente schmackhaft. B-)
O You who turn the wheel and look to windward,
Consider Phlebas, who was once handsome and tall as You

Flocke
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Flocke » 17.05.2005, 18:17

@razor

Wenn das gute Ding aber keine Funktion weiter hat und außerdem noch äußerst subjektiv ist? :-& Es kommt doch viel besser, wenn der Leser sich selbst ausmalen kann, welche Dinge gut sind.

Ich hab ja nichts gegen Jimi Hendrix, habe aus einem anderen Gedicht schon geschlossen, dass Spidey ihn wohl mag. Aber ein anderer findet das vielleicht nicht und...

Ach Mann, heute ist mein persönlicher Ich-leg-mich-mit-Razor-an-Tag...

Nichts für ungut. :-D

Lieber Gruß
Flocke
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon razorback » 17.05.2005, 19:42

Wir sind verschiedener Meinung über ein Gedicht, Flocke. Anlegen ist anders. ;-)

Ich kann mit dem Begriff der "Funktion" hier wenig anfangen. Was soll der bedeuten? Damit müsste das Gedicht ja einen "Zweck" haben, dem die Funktion dient - und dass ich diesem Begriff im Zusammenhang mit Literatur gegenüber misstrauisch bin, ist ja hier allgemein bekannt.

Und was bitte ist Literatur anders als subjektiv? Zeig mir ein objektives Gedicht und ich zeige Dir einen misslungenen Text. :-D

Was mir an diesem Gedicht - wie eigentlich an allen Gedichten von Spider - gut gefällt, ist der eingefangene Moment, die grossartig geschilderte Atmosphäre. Ich halte es für keinen Zufall, dass sich bei ihm so oft Mikrokosmos und Metaphysik mischen, er hat eine begnadete Art, mit wenigen Beleuchtungen des Kleinen das große Ganze zu schildern. Und da ist das Poster eben nicht egal. Es ist nicht egal, ob da Space Odyssey, James Dean oder ein Janoschmotiv hängt, ob es eine Jimmi Hendrix LP oder eine CD von Bon Jovi ist. Und das hat nichts damit zu tun, ob ich Spiders Vorlieben kenne oder nicht. Wenn ich ein Gedicht lese, will ich - obwohl ich Subjektivität geradezu verlange (da jedes Bemühen um Objektivität scheitern muss) - nichts über den Autor erfahren. Ich will, dass ein Gedicht sich selbst trägt. Und das tun Spiders Gedichte - gerade durch die Details.

Sicher hast Du recht, wenn Du sagst, dass der Leser seine eigene Phantasie gebrauchen können muss. Aber an welchem Punkt der Autor die Phantasie des Lesers zulassen will und an welchem nicht, das ist seine Wahl. Andere hätten vielleicht das LD beschrieben, dafür die Poster nicht, andere gar nichts davon, wieder andere alles. Nichts und alles sind für mich die schwächsten Lösungen, da die Auswahl des Beschriebenen ein wichtiges Gestaltungsmittel ist, auf das ein Autor nicht verzichten sollte.

Und gerade in dieser Disziplin, in der Auswahl ist Spider ein Meister, sicher einer der Besten hier.
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Hilbi » 17.05.2005, 20:23

entschuldigung....sexy?
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Spiderman » 17.05.2005, 22:18

Danke Euch fürs Kommentieren, das Lob, die Kritik.

@Flocke: den vorgeschlagenen Streichungen in der dritten Strophe könnte ich etwas angewinnen, die Strophe ist mir noch ein bissl zu lang. Und es stimmt, dass man's nach "Mai" direkt enden lassen könnte. Jimi Hendrix muss allerdings drin bleiben, auch das Poster und die vergessene Zeitung. An den Stellen ging's mir wirklich darum, leicht übersehene Details wiederzugeben, etwas sichtbar machen.

Aber es ist wohl immer sehr schwierig zu entscheiden, was schreibe ich und was lasse ich weg.

So, und jetzt lasst Euch von dem Gedicht inspirieren. Ich will niemanden von Euch heute hier mehr online sehen!

Spider
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon razorback » 17.05.2005, 22:49

Meine Frau sitzt mit meiner Schwester in der Küche und macht die Steuererklärung. was soll ich da tun ... :-& :rofl:
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Flocke » 18.05.2005, 10:17

O.k., jetzt ist ja wieder ein neuer Morgen, wir dürfen wieder...

Jimi Hendrix muss allerdings drin bleiben, auch das Poster und die vergessene Zeitung. An den Stellen ging's mir wirklich darum, leicht übersehene Details wiederzugeben, etwas sichtbar machen.


Ja, ich seh es ja ein... :-&

Was mir an diesem Gedicht - wie eigentlich an allen Gedichten von Spider - gut gefällt, ist der eingefangene Moment, die grossartig geschilderte Atmosphäre. Ich halte es für keinen Zufall, dass sich bei ihm so oft Mikrokosmos und Metaphysik mischen, er hat eine begnadete Art, mit wenigen Beleuchtungen des Kleinen das große Ganze zu schildern.


Und diesen Aussagen kann ich mich auch vorbehaltlos anschließen.

@razor

Und was die Steuererklärung angeht, beantragt doch einfach Fristverlängerung wegen Familienplanung oder so... ;-)

Kaffeeumnebelte Grüße
Flocke
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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon charis » 18.05.2005, 11:15

Wir beide suchen drinnen
das Weite im Innern
zwischen Decken und Laken,
[...]
ich spür deinen Atem
neben dem Ohr und im Nacken
schwingen die Härchen im Takt.


sexy? aber ja! B-)

also ich reihe mich in die J.H.-LP&Space Odyssey-Befürworter-Gruppe ein. Welche bedeutung hat es, ob die Dinge "nochmal" vorkommen. Sie haben einzig und allein die Aufgabe einen Moment zu schildern, greifbar zu machen, und was eignet sich dafür besser als eine LP-Hülle? ;-)

also ich würde das bitte bitte nicht streichen, die letzten drei zeilen mein ich, boah, das wär ja wie das ausatmen, das niederfallen nach gutem sex weglassen. ;-) nein echt. lass es doch ganz einfach so wie es ist. die atmosphäre ist da, die melodie swingt, die chemie stimmt, warum jetzt analytisch drauf losgehen...

:-)
charis

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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon Hilbi » 18.05.2005, 11:19

und das ist sexy? warum?
Wenn der Himmel so blau ist, warum wird es dann finster?

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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon charis » 18.05.2005, 11:23

und das ist sexy? warum?


naja,..., hilbi, wie soll ich das sagen, vielleicht einfach ... weils mich kribbelig macht, weil es die ahnung, den wunsch nach heißen atem unter bettdecken erklingen lässt, nach naher duftender, feuchter haut des menschen deiner wahl, weil das mit meiner vorstellung von (gutem) sex gekoppelt ist? weils einfach die richtigen saiten in mir anschlägt...? :-))

*seufz*
AUS jetzt. :-D

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Re: Die Feuchtigkeit in den Dingen

Beitragvon razorback » 18.05.2005, 11:39

Charis, geh Holz hacken! Oder kalt duschen. :rofl:

Aber mir geht es ähnlich mit dem Gedicht - sexy, ja. :mirfehltjetzteingeniessersmily:

Aber meine Schwester deswegen rausschmeissen ... das geht nicht. Die sehe ich so selten ... :-|
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