3. Amöbig, unter leerem Himmel (erste Strophe)Das neue Jahr ist eine alternde Diva,
die mit ihren Launen das Wetter bestimmt.
Ich stülpe mich von außen nach innen
und in Anbetracht der Größe des Himmels
schrumpft mich ein Eiswind auf Amöben-Format.Hamburger: Also das mit den Launen sprach ich bereits an
Hamburger: Allerdings bestimmen die Launen das Wetter
Hamburger: Das ist mir noch nicht ganz klar
Hamburger: In Zeile 3 kehrt das LI der äußeren Welt irgendwie den Rücken zu
Hamburger: Es klingt wie eine bessere In-sich-Kehrung
[) i r k: Stopp
[) i r k: Wieso der Welt?
[) i r k: Es heißt doch: ich stülpe
mich?
Hamburger: Ja, aber wenn mein Außen jetzt mein Innen ist,
Hamburger: Habe ich mich doch von etwas abgewendet
Silentium: Dann ist das Innen das Außen
Silentium: Und der verletzlichste Teil ist der Welt zugänglich
Hamburger: Hm, das finde ich in Anbetracht des Schlusses wieder unpassend
Hamburger: Wenngleich ich nicht weiß, ob ich jetzt schon mit dem argumentieren
darf?
Silentium: Punkt für dich
Hamburger: Soll ich noch zu Ende führen?
Silentium: Ja
Hamburger: Ich kann die letzten zwei Zeilen nicht richtig deuten
Hamburger: Dennoch fällt mir ein bisschen was auf.
Hamburger: Das Amöben-Format korrespondiert mit dem Verschwinden
Hamburger: Denn eine Amöbe ist ein Einzeller, also das kleinste Lebewesen
Hamburger: Dass eine Amöbe nur in Anbetracht des Himmels klein ist
Hamburger: Versteh ich aber ebenso wenig wie den Eiswind
Silentium: Viren sind kleiner, wenn sie als Lebewesen zählen
Hamburger: Hm, laut meinem Bio-Wissen nicht, aber okay
Silentium: Wie?
Silentium: Amöben kleiner als Viren?
Hamburger: Nein, Viren sind keine Lebewesen
Silentium: Ach so
Hamburger: Ich versteh nicht, wieso eine Amöbe nur in Anbetracht des Himmels
klein ist
Hamburger: Wobei es ja nur um ein Amöben-Format geht?
Hamburger: Ferner: Wieso Eiswind?
Silentium: Also, warum ist das NEUE Jahr eine ALTERNDE Diva?
Silentium: Normalerweise ist das alte Jahr alt
Hamburger: Da kann ich was zu sagen, wenn ich darf?
Silentium: Ja?
Hamburger: Weil immer eine Verbindung zwischen neuem Jahr und altem Jahr besteht
Hamburger: Jahre sind keine unabhängigen Teile
Hamburger: Deswegen zählt das neue Jahr zur alternden Diva aller Teil-Jahre
Hamburger: Dilettiere ich jetzt mal so vor mich hin
Hamburger: Das wird auch später noch deutlich - in Strophe 3
Hamburger: Das neue Jahr und die alten Jahre sind da sehr dicht beieinander
Silentium: Dirk, brauchst ein Parkemed?
Hamburger: Parkemed?
Silentium: Kopfwehtabletten
Hamburger: Ah, Aspirin
Silentium: Stärker
[) i r k: Ähm, Silentium, jetzt du
Hamburger: Ja, ich könnte noch was sagen
Hamburger: Ähm, aber Silentium ist dran
Silentium: Sag
[) i r k: Dann mach
Hamburger: Ich glaube, dass das ganze Gedicht so angelegt ist
Hamburger: Dass es die Trennung zwischen alten Jahren und dem neuen Jahr nicht
gibt
Hamburger: Es ist vielmehr ein Übergang, darauf deutet auch der Schluss hin
Hamburger: Und die Nähe der Jahre in Strophe 3
Hamburger: Der alten Jahre und des neuen Jahres
Hamburger: Aber da kommen wir ja noch hin
Hamburger: Okay, nun Silentium
Silentium: Also, erstens kann man sich die Diva so richtig schön vorstellen
Silentium: Schildkrötenhals, laaange Nase
Silentium: Purpur-dunkelbraun karierter Bademantel
[) i r k: Ich stelle mir Diven nicht im Bademantel vor, aber nun gut
Silentium: Graue Haare zu zwei Schnecken links und rechts
Silentium: Von einem schmalen, langen Schädel
Silentium: Sorry, ich schwatz Schwachsinn
[) i r k: Etwas mehr Selbstbewusstsein, junge Frau
Silentium:
Hamburger: Hab übrigens Diva aus dem Duden übersetzen lassen
Hamburger: Diva = Göttliche, erste Sängerin, gefeierte Schauspielerin
Silentium: Für mich klingt die Diva schon nach dem Wetter
Silentium: Und eine alternde Diva ist der Inbegriff von Frustriertheit
Silentium: Sie kann nimmer so gut singen wie vorher
Silentium: Kommandiert aber noch immer gerne herum
Silentium: wirklich gerne herum
Silentium: Und liebt sich selbst
Silentium: Und lässt sich kandierten Ingwer auf's Zimmer bringen
Hamburger: Guter Punkt. Ihre Launen bestimmen das Wetter
Silentium: Und redet ein bissl altertümlicher, als sie sogar in ihrer Jugend
geredet hat
Silentium: Nur damit man ihr ansieht, dass sie aus einer vergehenden Ära kommt
Silentium: Oder anhört, eben
Silentium: Und noch mehr Respekt vor ihr hat
Silentium: Danach klingt für mich alternde Diva
Silentium: Jetzt bestimmt diese Lady das Wetter
Silentium: Und weil sie so fürchterlich frustriert ist und verlangt (VERLANGT),
Silentium: Dass die ganze Welt an ihrer schmerzlichen Depression teilhat
Silentium: Damit ein jeder sieht, was für ein Künstlergeist in ihr wohnt
Silentium: Dass sie dauernd Kopfweh hat von der Unkünstlerischkeit der schnöden,
unätherischen Welt
Silentium: Darum bestellt sie schlechtes Wetter
Silentium: Ende Zeile 1 und 2
Silentium: Zeile 3: Von außen nach innen
Silentium: Den Kopf einziehen, wie ein Vogel untern den Flügel stecken
Silentium: Eine kleine Höhle warmer Atemluft schaffen
Hamburger: Stopp
Hamburger: Einwurf erlaubt?
Silentium: Ja
Hamburger: Das war gut, ich wollte nur was einwerfen
[) i r k: Das war sehr gut
Hamburger: Also, das mit dem Wetter ist wichtig, aber da steht nicht Ende Zeile
2
Hamburger: Dass sie schlechtes Wetter bestellt
Hamburger: Da steht nur, ihre Launen bestimmen das Wetter
Hamburger: Aber der Eiswind lässt sich so erklären!
Hamburger: Soweit mein Einwurf
Silentium: "von innen nach außen" heißt also
Silentium: Einigeln, damit wenigstens die Nasenspitze nicht so scheißkalt ist
Silentium: Aber gleichzeitig, dadurch, dass man den metaphysischen Hals so weit
strecken muss
Silentium: Damit man den Kopf unter den Flügel kriegt, liegt der Hals offen
Silentium: Dadurch, dass er sein Äußeres versteckt, muss er das Innere bloßlegen
Silentium: Das, was frieren kann, ist also geschützt
Silentium: Was erfrieren kann, erfriert
Silentium: Ihr kennt doch dieses Wetter, wenn der Himmel weiß ist
Silentium: Nicht von Wolken, sondern so wirklich perlmutweiß
Silentium: Anämisch
Silentium: Das sind die Tage, wo der Himmel am weitesten erscheint
Silentium: Weil er weder von tiefen Wolken beschränkt wird
Silentium: Und nicht von Blau begrenzt
Silentium: Wie ein Sternenhimmel - nur ohne Unendlichkeit
Silentium: Unendliche Endlichkeit halt
Silentium: Dann ist der Himmel groß und [ich] schrumpf zusammen
Hamburger: Nachfrage
Silentium: Ja?
Hamburger: Was ist dann auf Amöben-Format geschrumpft worden?
Hamburger: Denn zweimal wird "mich" eingesetzt
Hamburger: Ferner ist das Amöben-Format ja auch relativ zur Größe des Himmels
Hamburger: Also nur bildlich gesprochen, das nur als Vorgriff
Silentium: Er kommt sich klein vor
Silentium: Und außerdem, wenn's kalt ist, schrumpft man noch mehr zusammen
Silentium: Grad bei Wind
Silentium: Eiswind ist was schreckliches
Silentium: Da treibt's einen raus, mich zumindest
Hamburger: Hm, mir noch nicht aufgefallen. Bin ich wieder zu groß für?
Hamburger: Mist, dumme Körpergröße
Silentium: Okay, ein Riese wie du...
Silentium: Wir sollten mal für einen Tag Körper tauschen
Silentium: Wäre sicher eine interessante Erfahrung
[) i r k: Wie dich treibt's raus?
Silentium: Ja, raus
Silentium: Ich hasse Schönwetter inbrünstig
Hamburger: Warum denn das?
[) i r k: Ah, verstehe
Silentium: Ich brauch einen leeren, toten Himmel, dann kann ich hinausgehen
Silentium: Und dann gibt's bei uns in der nähe so einen alten Steinbruch
Silentium: Richtig klischeehaft, einen aufgelassenen
Silentium: Von wo aus man auf eine Straße hinunterschaun kann
Silentium: Ganz weit unten, und hin und wieder braust da ein Auto vorbei
Silentium: Und du hörst es nicht, weil der Wind so geht
Silentium: Und die Ohren sind kalt
Silentium: Und der Himmel über dir leer
Silentium: Und der Wind schiebt und zieht
Silentium: Und dann bist du klein
Silentium: Winzig klein
Silentium: Und du stellst dir vor
[) i r k: Darüber solltest du mal ein Gedicht schreiben
Silentium: Es würde kitschig
[) i r k: Dann erlaub dir diesen Kitsch
Silentium: Tu ich vielleicht, interessante Idee
Silentium: Auf jeden Fall stell ich mir dann manchmal vor, wie's wär
Silentium: In den wind zu hüpfen und mit dem Wind zu fallen
Silentium: Und weg zu sein
Silentium: Amöbig, unter leerem, großem Himmel
Silentium: Im Eiswind
Silentium: Und dunkelbraunes Gras, noch nass
Silentium: Das immer dunkler wird in der Ferne
Silentium: Schwülstig
[) i r k: Vielleicht solltest du's mal mit Paragliding probieren (schreibt man
das so?)
Silentium: Erlaubt Mama nicht
Hamburger: Mit Y glaub ich
Silentium: Papa hat's mal getan
Hamburger: Silly?
Silentium: Nein, schreibt man ohne y
Silentium: Ja?
Hamburger: Echt? Na gut.
Hamburger: Ähm, aber meine Frage hast du noch nicht so recht beantwortet
Hamburger: Obwohl das außerordentlich gut war, was du geschrieben hast
Hamburger: So, nun zur Frage also:
Hamburger: Wenn es ein Innen und ein Außen gibt
Hamburger: Und dann steht da: "schrumpft mich ein Eiswind..."
Hamburger: Ist dann beides gemeint, das Innen und das Außen?
Hamburger: Von der Beantwortung dieser Frage können wir vielleicht
Hamburger: anhand deiner Zweiteilung weitere Folgerungen machen
Hamburger: Darauf wollte ich raus
Silentium: Also, lass mal überlegen
Silentium: Ich hab das Gefühl, da ist nicht ein Bild vom anderen abhängig
Silentium: Sondern ... sie laufen gleichzeitig
[) i r k: Ja, ich hab das Gefühl auch
[) i r k: So ganz logisch geht's da nicht zu
Silentium: Er kriecht in sich selbst hinein
Silentium: Ein klein machen
Silentium: UND
Silentium: Sich klein gemacht fühlen
Silentium: Aber die Logik, die Logik ...
Hamburger: Hm, ich glaub das liegt an meinem blöden Phil-Logik-Kurs
Hamburger: Ich fang schon an so zu denken
Hamburger: Stört uns da die eventuell fehlende Logik?
Silentium: Also mich stört sie nicht wirklich
[) i r k: Ich glaub, dieses Stülpen korrespondiert aber ganz gut mit dem
Schrumpfen und dem Amöbenhaften
[) i r k: Die Bilder passen ineinander, meine ich
Silentium: Wenn man's nicht bildlich nimmt, sondern übertragen
Silentium: Wenn wir uns die Amöbe nicht als Seegurke vorstellen
Silentium: Die sich wirklich nach außen stülpt, quasi
Silentium: Sondern als bewussten Schutz-such-und-Schrumpfungs-Prozess
Silentium: Dann hat der gelbling Recht
[) i r k: Na ja, aber als Amöbe stell ich mir schon etwas vor
[) i r k: Dass irgendwie deformierbar und ungestalt ist
[) i r k: Amöbe ist ja auch eine Art Beleidigung
[) i r k: Wenn ich sag: Du Amöbe, du
[) i r k: Dann sag ich damit:
[) i r k: a.) du bist klein, und
[) i r k: b.) du bist hässlich
Hamburger: Wenn das wirklich eine Beleidigung ist
Hamburger: Und ich denke es ist eine
Hamburger: Und es stimmt auch das mit dem Klein-Machen und dem Klein-Gemacht
werden
Hamburger: Spricht das sowohl für ein mangelhaftes Selbstbewusstsein des LI
Hamburger: Als auch für eine feindliche Außenwelt
Hamburger: Sprichwort "alternde Diva" bzw. für feindliche äußere Geschehnisse
Hamburger: Besser kann ich's noch nicht ausdrücken
[) i r k: Nee, das sehe ich anders
Silentium: Wie?
Hamburger: Genau, wie?
[) i r k: Silly mach erstmal mit der Strophe zu Ende
Silentium: Für mich hat das mit der Amöbe weniger Beleidigungscharakter
Silentium: Schon mal, weil ich "klein" von Natur aus
Silentium: nicht für eine Beleidigung halten darf
Hamburger: Immer diese persönlichen Sichtweisen
Silentium: Da hätten Dirk und ich ja ein echtes Egoproblem
Silentium: Es geht nichts über einen kleinen Menschen mit unmöglichem Riesenego
...
Silentium: Die Amöbe ist für mich nur "klein", aber nicht unwürdig
Silentium: Quasi hilflos im Wind
Silentium: Weil eine Amöbe sich nicht gegen einen Wind wehren kann
Hamburger: Hilflos ist gut
Silentium: Gleichzeitig unbemerkt, winzig
Silentium: So winzig, das sie wegfliegt, ohne bemerkt zu werden
Silentium: Der Wunsch, ungesehen zu sein
[) i r k: Ich glaube für die Amöbe wäre so ein Eiswind tödlich, oder?
Silentium: Ich weiß nicht, wie das mit Amöben ausschaut
Silentium: Aber in der Regel sind Einzeller recht widerstandsfähige Viecher
[) i r k: Ist ja auch nicht wichtig
Silentium: Kommt auf die Gattung drauf an
Hamburger: Aber es ist ja bildlich gesprochen
Hamburger: Nicht wie eine Amöbe
Hamburger: Sondern in Anbetracht der Größe des Himmels auf ihr Format
Hamburger: Das ist ein Unterschied
Silentium: Ist er
Silentium: Damit er unerkannt und unsichtbar ist
Silentium: "in Anbetracht" das heißt,
Silentium: Eine gewisse Freiwilligkeit ist dabei, weil "Anbetracht" heißt
Silentium: Dass er sich zumindest dem Eiswind hätte widersetzen können
Silentium: Wenn er gekonnt hätte
Hamburger: Nein, sehe ich anders
Hamburger: "in Anbetracht" heißt nichts weiter als "in Relation zu"
Hamburger: Da ist keine Wertung des eventuellen Widersetzens drin enthalten
Silentium: Ich weiß nicht
Silentium: Wenn man sagt "in Anbetracht der Tatsachen"
Silentium: Dann heißt das nicht: "im Vergleich zu den Tatsachen"
Silentium: Sondern "weil die Tatsachen so sind"
Silentium: Die Handlungskette ist nicht:
Silentium: Himmel: groß -- im Vergleich: Amöbe klein
Silentium: Sondern:
Silentium: Himmel: groß -- deswegen: Amöbe klein
Silentium: Glaub ich
Hamburger: Aber hier folgt aus der Größe des Himmels eben nicht die kleine Amöbe
Hamburger: Sie ist nur klein in Beziehung zur Größe
Hamburger: Glaube ich
Hamburger: Wenngleich deine erweiterte Definition korrekt ist
Hamburger: Gelb, sag auch mal was
Silentium: Ja, genau, gelb!
Silentium: Sprich mit uns!
[) i r k: Hm, würde mich wohl Ham in diesem Punkt anschließen wollen
Silentium: schluchz Alle sind gegen mich
[) i r k: Er wird ja nicht zur Amöbe
Silentium:
[) i r k: Sondern fühlt sich so
[) i r k: Fühlt sich so in Anbetracht des Himmels
[) i r k: War Silly jetzt fertig?
Silentium: Silly war fertig
Hamburger: Gelb ist dran
[) i r k: JA, endlich darf ich
[) i r k: Und ihr müsst mir zuhören!
[) i r k: Harhar
Hamburger: Du durftest die ganze Zeit
Hamburger: Wir müssen? Hörst du das, Silly?
Hamburger: Jetzt kommt das gelbe Solo...
[) i r k: Shut up
Hamburger: Leg los!
[) i r k: Ich bin dran
[) i r k: Also - erst mal was zu dem Gedicht allgemein:
[) i r k: Ich finde schon, dass Spider hier ungewöhnlich melancholische Töne
anschlägt
[) i r k: Das klingt wirklich etwas depri
[) i r k: So kennt man ihn ja eigentlich nicht
[) i r k: Aber die Originalität der Bilder fängt das wieder etwas ab
[) i r k: Für meinen Geschmack
[) i r k: Also erste Zeile: "Das neue Jahr ist eine alternde Diva"
[) i r k: Ja, ein neues Jahr sollte keine alternde Diva sein
[) i r k: Das ist ein Widerspruch, ein Paradox
[) i r k: Es sollte ein kleiner Junge sein, dem die Welt offen steht
Silentium: Mit Windeln, frischen
[) i r k: Aber offensichtlich ist dieses neue Jahr vorbelastet
[) i r k: Ich denke da ähnlich wie ihr.
[) i r k: Das Paradox aus "neu" und "alternd"
[) i r k: Kann sich nur aus dem ergeben, was vorher gewesen ist
[) i r k: Ich seh das Bild der "alternden Diva" aber nicht ganz so kritisch
[) i r k: Eine alternde Diva kann schon zickig sein, das stimmt
[) i r k: Aber sie kann auch etwas Würdiges haben
[) i r k: Klar ist, dass sie ihren Zenit überschritten hat
[) i r k: Auf sie wartet kein Triumph mehr
[) i r k: Kein voller Konzertsaal, keine Standing Ovations mehr
[) i r k: Sie hat ihr Leben hinter sich
[) i r k: Und, wenn so das Neue Jahr ist
[) i r k: Dann ist es schon recht - aussichtslos
[) i r k: Und erdrückend
[) i r k: Egal, wie viel Würde und Glanz diese alternde Diva auch hat
[) i r k: Zweite Zeile: "die mit ihren Launen das Wetter bestimmt."
[) i r k: Tja, werd ich nicht so ganz schlau draus
[) i r k: Eine Diva hat Launen
[) i r k: Und launisch kann auch das Wetter im Januar sein
[) i r k: Man möchte diese Zeile fast ergänzen um:
[) i r k: "Und das Wetter die Launen des LI" - oder so
[) i r k: Dritte Zeile: "Ich stülpe mich von außen nach innen"
[) i r k: Tja, Introspektive, nennt man das, glaube ich
Silentium: Studierte
[) i r k: Es hat einerseits etwas vom "Verstecken", wie ihr schon sagtet
Silentium: schlimmschlimm
[) i r k: Und andererseits vom "Nach innen schaun", sein Inneres ergründen
[) i r k: Aber hier ist es noch ein Handlung
[) i r k: Hier heißt es noch: "Ich stülpe"
Hamburger: Stimmt
[) i r k: Nachher heißt es nur noch: "schrumpft mich"
Silentium: Guter punkt
[) i r k: Aber vielleicht ist das auch ein Domino-Effekt oder sowas
[) i r k: Erst indem man sich umstülpt, wird man gefährdet, zu schrumpfen
Hamburger: Aber darf ich was sagen?
[) i r k: Bitte
Hamburger: Kurz vor Schluss stülpt das LI sich zurück. Auch da ist es eine
Handlung. Das sollten wir nachher bedenken
Hamburger: Du bist wieder dran
[) i r k: Ich sehe es so:
[) i r k: Jemand hat Jahr für Jahr dasselbe Prozedere mitgemacht
[) i r k: Jedes Jahr ein Neuanfang
[) i r k: Jedes Jahr die gleiche Show:
[) i r k: Neue Vorsätze und so
[) i r k: Und plötzlich ist es halt anders
[) i r k: Das neue Jahr ist nicht mehr jung, unversehrt und voller Aussichten
[) i r k: Sondern schon der Anfang ist eine Katastrophe
[) i r k: Er durchschaut dieses sich ewig-wiederholende Spiel und wird -
nachdenklich
Silentium: Darf ich kurz?
[) i r k: Jepp
Silentium: Die Überlegung ist verdammt gut
Silentium: Nur ... das Wort "Katastrophe"
[) i r k: Ja, stimmt
Silentium: Es klingt als wär sogar eine Katastrophe besser als das, was jetzt
ist
Silentium: Lustlos, Matt, Ewiggleich
[) i r k: Ja, gebe ich dir Recht
Hamburger: Dem stimme ich zu
Silentium: Nicht einmal unterbrochen von so etwas
Silentium: Siehe: durchschaut das Spiel
Silentium: Ich glaub, damit hast du den Punkt
Silentium: Das klingt richtig, irgendwie
[) i r k: Ja, aber es ist auch eine Erkenntnis, die hier drin steckt
[) i r k: Die Zukunft bekommt plötzlich etwas ----
[) i r k: Etwas
[) i r k: Hier fehlt mir wieder ein Wort
Silentium: Lasches?
Hamburger: Entidealisiertes?
Silentium: Kaltes?
Silentium: Lauwarmes?
[) i r k: Nein, mom
Hamburger: Ewiglich Gleichbleibendes?
Silentium: Neutral-klinisches
Silentium: Krankenhauslicht-farbenes
[) i r k: Er schrumpft angesichts dieser Erkenntnis zusammen
[) i r k: Wenn unser Jahr voller Vorsätze und Ziele verplant ist
[) i r k: Dann machen wir uns was vor, nämlich, dass wir Herr der Zeit sind
[) i r k: Dass wir darüber bestimmen können, was passiert
Silentium: Pffft ... ich bin ja kaum Herrin der nächsten Woche
[) i r k: Das Jahr soll spannend sein
[) i r k: Wir wollen glücklich sein
[) i r k: Wir wollen unsere Ziele verwirklichen usw.
[) i r k: Und hier ist es eben plötzlich ganz anders
[) i r k: Das Jahr schrumpft nicht angesichts irgendwelcher Wünsche und
Hoffnungen zusammen
[) i r k: Sondern das LI schrumpft
[) i r k: Die Zeit bekommt etwas erdrückendes
Hamburger: Was ist das Schrumpfen? Enttäuschung?
Silentium: Enttäuschung nicht
Silentium: Enttäuschung ist, wenn sich eine Erwartung nicht erfüllt
[) i r k: Hm, nein, es kann nicht Enttäuschung sein
[) i r k: Denn es ist ja noch nichts passiert
Silentium: Das Schrumpfen steht dafür, dass es nicht einmal mehr Erwartungen
gibt
Silentium: Nur Warten
Hamburger: Moment, darf ich kurz?
Hamburger: Ich meinte, dass das LI enttäuscht ist, weil es erkannt hat
Hamburger: Dass es gar nichts mehr bringt Erwartungen zu haben
Hamburger: Das kommt auch gleich noch auf der Plattform
Hamburger: Es hat eine Übersichtsposition gewonnen
[) i r k: Ja, das stimmt
[) i r k: Nein, ich meine, das mit dem Schrumpfen ist so
[) i r k: Die Zeit gewinnt plötzlich Oberhand
[) i r k: Die Illusion, ihr Herr zu sein, fällt in sich zusammen
[) i r k: Ich kann es irgendwie nicht besser ausdrücken
Hamburger: Das passt doch schon recht gut
Silentium: Wir verstehen dich
Hamburger: Genau, und außerdem freu ich mich
Hamburger: Dass mein allererster Gedanke, den ich hatte als ich das Gedicht las
Hamburger: Nämlich den verschwurbelten Gedanken:
Hamburger: "Kontrast zu üblichen Neujahrswünschen" zutreffend ist
Hamburger: freu freu[) i r k:
Hamburger: So gelb, nun noch zu Zeile 4 und 5
[) i r k: Nee, ich hab alles gesagt
[) i r k: Der Himmel ist nur ein Symbol
[) i r k: Und der Eiswind auch
[) i r k: Ach so, aber ich würde das nicht als "feindliche Außenwelt" deuten
[) i r k: Sondern einfach als Relation
Hamburger: Relation?
[) i r k: Das ist was früher ein großer Dom für Menschen gewesen sein muss
[) i r k: Die riesigen Hallen und Tore
[) i r k: Das hohe Kirchenschiff
[) i r k: Das große Kreuz, der Altar
[) i r k: Der Mensch schrumpf angesichts so einer Größe zusammen
[) i r k: Nur ist, was hier groß und übermächtig ist
[) i r k: Nicht ein Altar, ein Gebäude oder sonst was
[) i r k: Sondern die Zeit selbst
[) i r k: Und Himmel und Horizont sind einfach naheliegende Symbole
[) i r k: Für das, was noch nicht passiert ist,
[) i r k: Für das, was kommen wird
[) i r k: Für ein großes Panoptikum der Möglichkeiten
[) i r k: Irgendwie so
Hamburger: Punkt für dich. Klingt material-schlüssig
Silentium: Verloren ... klingt gut
Hamburger: Ich glaub, wir haben's kapiert
Silentium: Halbwegs
Hamburger: Oder viertelwegs
Hamburger: Zusammen dreiviertelwegs
[) i r k: Ich hab's selbst nicht kapiert
[) i r k: Strophe 2
Hamburger: Okay Strophe 2
Hamburger: Erst gelb
Hamburger: Ich hab grade angefangen
Silentium: Und gelb ist grad so schön in Fahrt
Hamburger: Genau, wir warten also gespannt ...
Hamburger: auf die Erleuchtung durch unseren Chef
Silentium: Entäusch uns nicht
Hamburger: Bin auch etwas überdreht
Silentium: Würgeengel sind ja allwissend, angeblich
Hamburger: Wir haben riesige Erwartungen an dich
Hamburger: Kannst du ihnen gerecht werden?
Silentium: Wenn du jetzt nicht das richtige sagst
[) i r k: Stopp, ich möchte nicht anfangen
Hamburger: Feigling!
Silentium: Eingeschüchtert?
[) i r k: Amöbe!
Hamburger: Hm ... Schuft!
Hamburger: Oh, ich habs: Wegelagerer!
Hamburger: (Ein Insider, Silly)
[) i r k: Alternde Diva!
Silentium: Piefke!
Hamburger: Hey, Piefke trifft mich auch
Silentium: Sorry
Silentium: Düsseldorfer Piefke!
[) i r k: Ösi-Tusse
Hamburger: Dann du, Silly
Hamburger: Ich hab grad angefangen
Silentium: Okay, dann fang ich an