Joey
Verfasst: 17.09.2002, 01:36
Joey
Michaela kam die Treppe herauf und sagte: "Der Hund ist fort." Aber das war keine erschütternde Neuigkeit, denn es war nicht das erste Mal, daß Joey ausgerissen war.
Meine Schwester hatte sich den Bernhardiner kurz nach ihrer Heirat zugelegt. Es war ein schönes, großes Tier, mit weißen und hellbraunen Flecken und dunklen, traurigen Augen - diese großen Augen, die vieles mit Menschenaugen gemeinsam haben. Ihre beiden Kinder liebten den Hund. Auf dem Hof hinter der Gaststätte, die Michaela bewirtschaftete, hatte ihr Mann, Harald, einen Zwinger gebaut. Aber Joey, in jeder anderen Beziehungen lieb und pflegeleicht, mochte eines überhaupt nicht: eingesperrt werden, und der Zwinger, den Harald zusammengezimmert hatte, konnte der Kraft des Tieres nicht standhalten.
Harald, der gerade in der Küche war und in alle Töpfe geguckt hatte, weil er hungrig war, drehte sich um und sagte: "Nicht schon wieder!" Dann ging er hinunter, schlurfte im Pyjama über den Hof und schaute sich die Hütte von Joey an. Diesmal hatte der Hund die ganze Seitenwand mit dem Gewicht seines Körpers aufgedrückt.
Im Sommer war Joey einmal ausgebrochen, doch nicht, um in der Gegend herumzustreunen und seine Hundefreiheit zu genießen. Es waren die ersten zwei Juliwochen und ziemlich heiß. Die Fenster, die nach hinten zum Hof hinausgingen, dort, wo auch die beiden Kinder in Parterre ihr Zimmer hatten, wurden abends aufgerissen und blieben die ganze Nacht über geöffnet. Morgens öffnet Michaela, im Begriff ihre Kinder zu wecken, die Tür und im ersten Moment stockt ihr das Herz: steht doch der große Hund mitten im Raum. Joey war aus seiner Hütte ausgebrochen und durch das offene Fenster, unbemerkt, in das Zimmer der Kinder gesprungen. Dort legte er sich vor das Bett von Anne und schlief. Am Morgen weckte er das Mädchen, indem er ihr die Hand und das Gesicht leckte.
"Wir sollten uns vielleicht ins Auto setzen und ihn suchen", sagte Harald, als er wieder heraufkam. "Besser wäre das", sagte Michaela, die inzwischen den Kaffee aufgesetzt hatte. Harald ging ins Schlafzimmer und zog sich an.
Gegenüber dem Haus und der Gaststätte war - im Schatten von zwei Platanen - eine Haltestelle der Linie 382. Eines Tages war Joey, als keiner es bemerkte, ausgerissen und über die Straße gelaufen. Der Bus kam, hielt, die Türen gingen auf, ein ältere Frau stieg aus und Joey stieg ein. Da stand der Bus also. Erst versuchte es der Fahrer selbst, den vierbeinigen Fahrgast wieder aus dem Bus zu bekommen, doch Joey hatte sich hingelegt und schaute ihn nur traurig und treuselig an, als wäre es die normalste Sache der Welt für einen Bernhardiner, mit dem Bus durch die Stadt gefahren zu werden. Dann sprach der Fahrer mit der Zentrale. Die Leute im Bus nahmen es mit Humor, wurden aber nach 15 Minuten doch ungeduldig. Erst ein Nachbarsjunge, 9 Jahre alt, der den Hund kannte, schaffte es, das große Tier aus dem Bus zu bringen, damit er weiterfahren konnte. Er packte ihn an einem Ohr und holte ihn heraus.
Harald kam von seiner Suche erfolglos zurück. In den folgenden Tagen fuhr er noch öfter durch die Gegend und Michaela verteilte gemeinsam mit den Kindern im ganzen Stadtviertel Steckbriefe. Aber Joey tauchte nicht wieder auf.
Michaela kam die Treppe herauf und sagte: "Der Hund ist fort." Aber das war keine erschütternde Neuigkeit, denn es war nicht das erste Mal, daß Joey ausgerissen war.
Meine Schwester hatte sich den Bernhardiner kurz nach ihrer Heirat zugelegt. Es war ein schönes, großes Tier, mit weißen und hellbraunen Flecken und dunklen, traurigen Augen - diese großen Augen, die vieles mit Menschenaugen gemeinsam haben. Ihre beiden Kinder liebten den Hund. Auf dem Hof hinter der Gaststätte, die Michaela bewirtschaftete, hatte ihr Mann, Harald, einen Zwinger gebaut. Aber Joey, in jeder anderen Beziehungen lieb und pflegeleicht, mochte eines überhaupt nicht: eingesperrt werden, und der Zwinger, den Harald zusammengezimmert hatte, konnte der Kraft des Tieres nicht standhalten.
Harald, der gerade in der Küche war und in alle Töpfe geguckt hatte, weil er hungrig war, drehte sich um und sagte: "Nicht schon wieder!" Dann ging er hinunter, schlurfte im Pyjama über den Hof und schaute sich die Hütte von Joey an. Diesmal hatte der Hund die ganze Seitenwand mit dem Gewicht seines Körpers aufgedrückt.
Im Sommer war Joey einmal ausgebrochen, doch nicht, um in der Gegend herumzustreunen und seine Hundefreiheit zu genießen. Es waren die ersten zwei Juliwochen und ziemlich heiß. Die Fenster, die nach hinten zum Hof hinausgingen, dort, wo auch die beiden Kinder in Parterre ihr Zimmer hatten, wurden abends aufgerissen und blieben die ganze Nacht über geöffnet. Morgens öffnet Michaela, im Begriff ihre Kinder zu wecken, die Tür und im ersten Moment stockt ihr das Herz: steht doch der große Hund mitten im Raum. Joey war aus seiner Hütte ausgebrochen und durch das offene Fenster, unbemerkt, in das Zimmer der Kinder gesprungen. Dort legte er sich vor das Bett von Anne und schlief. Am Morgen weckte er das Mädchen, indem er ihr die Hand und das Gesicht leckte.
"Wir sollten uns vielleicht ins Auto setzen und ihn suchen", sagte Harald, als er wieder heraufkam. "Besser wäre das", sagte Michaela, die inzwischen den Kaffee aufgesetzt hatte. Harald ging ins Schlafzimmer und zog sich an.
Gegenüber dem Haus und der Gaststätte war - im Schatten von zwei Platanen - eine Haltestelle der Linie 382. Eines Tages war Joey, als keiner es bemerkte, ausgerissen und über die Straße gelaufen. Der Bus kam, hielt, die Türen gingen auf, ein ältere Frau stieg aus und Joey stieg ein. Da stand der Bus also. Erst versuchte es der Fahrer selbst, den vierbeinigen Fahrgast wieder aus dem Bus zu bekommen, doch Joey hatte sich hingelegt und schaute ihn nur traurig und treuselig an, als wäre es die normalste Sache der Welt für einen Bernhardiner, mit dem Bus durch die Stadt gefahren zu werden. Dann sprach der Fahrer mit der Zentrale. Die Leute im Bus nahmen es mit Humor, wurden aber nach 15 Minuten doch ungeduldig. Erst ein Nachbarsjunge, 9 Jahre alt, der den Hund kannte, schaffte es, das große Tier aus dem Bus zu bringen, damit er weiterfahren konnte. Er packte ihn an einem Ohr und holte ihn heraus.
Harald kam von seiner Suche erfolglos zurück. In den folgenden Tagen fuhr er noch öfter durch die Gegend und Michaela verteilte gemeinsam mit den Kindern im ganzen Stadtviertel Steckbriefe. Aber Joey tauchte nicht wieder auf.