Den Himmel zweier Liebenden geschleift
Verfasst: 20.05.2003, 22:57
Kabale und Liebe
Trauerspiel in fünf Akten
von Friedrich Schiller
Inszenierung von Burkhard C. Kosminski
am Düsseldorfer Schauspielhaus
Der Regen hat aufgehört. Nur die Kastanien der Kö tragen noch Blatt für Blatt die Tropfen der Erde zu wie tausendstufige Kaskaden, und du zitterst immer noch und immer noch laufen dir kalt die Schauer über den Arm, über den Rücken und durch deinen ganzen Körper. Das ist Theater!
Es beginnt mit einer Groschenromanphantasie: Ferdinand, ein junger Adliger, liebt Luise, ein bürgerliches Mädchen, Tochter eines einfachen Stadtmusikanten. Aber der Vater des Schwärmers hat schon ehrgeizigere Pläne mit seinem Herrn Sohn. Er will ihn in die Heirat mit der Lady Milford, der Mätresse des Fürsten, zwingen, um seine eigene politische Stellung am Hof zu sichern. Aber sein ganzer Einfluss und seine ganze Macht reichen nicht hin, seine Absicht und seinen Willen durchzusetzen. Es kommt zum Eklat zwischen Vater und Sohn, und als der letztere droht, die Intrigen anzuzeigen, durch welche einst der Vater das Präsidentenamt an sich gerissen hat, steckt dieser zurück – fürs erste. Aber der Haussekretär des Präsidenten, Wurm, der wiederum Luise für sich beansprucht und also seinen eigenen Grund hat, die Liebenden zu entzweien, erfindet schließlich eine List. Sie setzen Vater und Mutter des Mädchens in aller Stille fest und erzwingen von ihr, einen Brief zu schreiben. So reicht am Ende dieser Fetzen Papier, der wie zufällig Ferdinand in die Hände gespielt wird, "ihm das Mädchen verdächtig" zu machen und die selbstzerstörerische Kraft der Liebe zu entfesseln: die blindwütende Eifersucht. Mehr und mehr verhetzen sich die Liebenden und erst als bereits alles zu spät ist, kommt der Schwindel heraus.
Der Schillertext ist immer noch großartig. Ich habe ihn gelesen. Doch man wird nicht umhin kommen, einzugestehen, dass er auch einige Härten beinhaltet. Der moralische und religiöse Pathos ist an einigen Stellen zu stark, um nicht empfindlich den Geschmack der Zeit zu berühren. Es bedarf also schon einer geschickten Hand, das dezent umzusetzen, ohne die Kraft der Sprache und die Tragik der Handlung zu mildern, die dem Stück darüber hinaus innewohnt. Ich glaube, diese geschickte Hand, hat der Regisseur Burkhard C. Kosminski bei der Inszenierung von "Kabale und Liebe" am Düsseldorfer Schauspielhaus bewiesen. Ich habe schon lange nicht mehr so eine gute und spannende Theateraufführung gesehen. Sehr beeindruckt war ich vor allem von der schauspielerischen Leistung des gesamten Ensembles. Die Rollen sind – ohne Ausnahme – mit bewundernswerten Schauspielern besetzt, die durch ihren überzeugenden, leidenschaftlichen Auftritt die Zuschauer in ihren Bann schlagen.
Zudem hat man hier beim Bühnenaufbau und beim Einsatz von Licht und Musik mit wenigen Mitteln sehr viel erreicht. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten der schmalen, rechteckigen Bühne. Ganz nah dran. Ein Gerüst, ein große Stahlkonstruktion hängt da vor dir herunter und bildet durch Balken und Pfeiler einen Raum, der sich in mehrere kleinere Zimmerchen, Zellen, Kuben unterteilt. Aber es sind eben doch keine Zimmer, denn es gibt keine Wände dazwischen. Alles ist offen. Ein paar Stühle stehen herum, sonst nichts. Die Schauspieler treten auf, indem sie durch eine Öffnung im Boden der Bühne steigen oder indem sie von oben über eine eiserne Wendeltreppe herabkommen. Am Anfang lässt der Regisseur alle entscheidenden Personen auf einmal auftreten und verschmilzt verschiedene Szenen des ersten Aktes in einer einzigen. Es ist ebenso verwirrend wie genial: jeder, beschränkt auf sich selbst, nimmt eine dieser Zellen ein, sie sprechen durcheinander, sie rufen sich etwas zu, sie starren vor sich hin. Trotz der Offenheit der Räume wirken sie wie eingeschlossen und alles, was sie sagen, was sie sich zurufen, was sie tun, geht aneinander vorbei. Dann brechen diese Isolationen auf und das Stück geht in ein Nacheinander der Szenen über. Immer wieder dringen aus der Tiefe der Bühne, die man nicht sieht, gedämpfte Rufe, die man nicht versteht. Licht und Zwielicht, warmes und kaltes Licht wechseln einander ab und verstärken die Atmosphäre der einzelnen Szene und den Ausdruck der Schauspieler ungemein – gerade dadurch, dass die Bühne ansonsten so spartanisch gestaltet ist.
Es gibt allerdings auch zwei Punkte, wo ich mich kritisch zu der Umsetzung des Stückes äußern möchte. Das betrifft zum einen die Szene, in der Wurm Luise erpresst und ihr den Brief diktiert. Hierbei kommt es, wie im Text nicht einmal angedeutet, zu einem Übergriff, zu einer versuchten Vergewaltigung, von beiden Schauspielern grausam gut gespielt. Ich war so geschockt, dass ich gar nicht wusste, wie ich mich als Zuschauer dazu verhalten sollte. Aber ich empfand das auch als einen sehr übertriebenen, unnötigen Effekt, der dem Stück mehr geschadet als genützt hat. Vollkommen unverständlich ist mir aber geblieben, warum der Hofmarschall von Kalb mit so einem lauten Knall, so heldenhaft und blutig sterben muss! Von dieser Szene war ich dann wirklich enttäuscht, denn hier wurde der Text ganz auf den Kopf gestellt. Erstens: Woher nimmt der lächerliche Charakter plötzlich soviel Festigkeit und Courage her? Zweitens: Warum schenkt Ferdinand seinen Worten denn keinen Glauben? Warum überhört er denn das Geständnis des Hofmarschalls: "Sie sind ja betrogen"? Warum münzt er das Wort "Ihr eigener, leiblicher Vater" nicht auf seinen Vater, den Präsidenten, sondern auf den Stadtmusikanten? Eben! Weil der Hofmarschall eine unglaubwürdige Witzfigur ist. Drittens: Wie kann Ferdinand noch an dem zweifeln, was der Hofmarschall sagt, obwohl er tödlich verwundet ist? Ja, wie treffend sagt er doch an späterer Stelle: "Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?" Nur, um ein bisschen Blut auf der Bühne zu verspritzen, hat hier die Regie viele unauflösbare Widersprüche und Unstimmigkeiten in Kauf genommen.
Nichtsdestotrotz ist die Aufführung wundervoll. Wer die Chance hat, sie zu sehen, wer in Düsseldorf oder in der Umgebung wohnt, dem sei gesagt: Nicht verpassen!
Trauerspiel in fünf Akten
von Friedrich Schiller
Inszenierung von Burkhard C. Kosminski
am Düsseldorfer Schauspielhaus
Der Regen hat aufgehört. Nur die Kastanien der Kö tragen noch Blatt für Blatt die Tropfen der Erde zu wie tausendstufige Kaskaden, und du zitterst immer noch und immer noch laufen dir kalt die Schauer über den Arm, über den Rücken und durch deinen ganzen Körper. Das ist Theater!
Es beginnt mit einer Groschenromanphantasie: Ferdinand, ein junger Adliger, liebt Luise, ein bürgerliches Mädchen, Tochter eines einfachen Stadtmusikanten. Aber der Vater des Schwärmers hat schon ehrgeizigere Pläne mit seinem Herrn Sohn. Er will ihn in die Heirat mit der Lady Milford, der Mätresse des Fürsten, zwingen, um seine eigene politische Stellung am Hof zu sichern. Aber sein ganzer Einfluss und seine ganze Macht reichen nicht hin, seine Absicht und seinen Willen durchzusetzen. Es kommt zum Eklat zwischen Vater und Sohn, und als der letztere droht, die Intrigen anzuzeigen, durch welche einst der Vater das Präsidentenamt an sich gerissen hat, steckt dieser zurück – fürs erste. Aber der Haussekretär des Präsidenten, Wurm, der wiederum Luise für sich beansprucht und also seinen eigenen Grund hat, die Liebenden zu entzweien, erfindet schließlich eine List. Sie setzen Vater und Mutter des Mädchens in aller Stille fest und erzwingen von ihr, einen Brief zu schreiben. So reicht am Ende dieser Fetzen Papier, der wie zufällig Ferdinand in die Hände gespielt wird, "ihm das Mädchen verdächtig" zu machen und die selbstzerstörerische Kraft der Liebe zu entfesseln: die blindwütende Eifersucht. Mehr und mehr verhetzen sich die Liebenden und erst als bereits alles zu spät ist, kommt der Schwindel heraus.
Der Schillertext ist immer noch großartig. Ich habe ihn gelesen. Doch man wird nicht umhin kommen, einzugestehen, dass er auch einige Härten beinhaltet. Der moralische und religiöse Pathos ist an einigen Stellen zu stark, um nicht empfindlich den Geschmack der Zeit zu berühren. Es bedarf also schon einer geschickten Hand, das dezent umzusetzen, ohne die Kraft der Sprache und die Tragik der Handlung zu mildern, die dem Stück darüber hinaus innewohnt. Ich glaube, diese geschickte Hand, hat der Regisseur Burkhard C. Kosminski bei der Inszenierung von "Kabale und Liebe" am Düsseldorfer Schauspielhaus bewiesen. Ich habe schon lange nicht mehr so eine gute und spannende Theateraufführung gesehen. Sehr beeindruckt war ich vor allem von der schauspielerischen Leistung des gesamten Ensembles. Die Rollen sind – ohne Ausnahme – mit bewundernswerten Schauspielern besetzt, die durch ihren überzeugenden, leidenschaftlichen Auftritt die Zuschauer in ihren Bann schlagen.
Zudem hat man hier beim Bühnenaufbau und beim Einsatz von Licht und Musik mit wenigen Mitteln sehr viel erreicht. Das Publikum sitzt zu beiden Seiten der schmalen, rechteckigen Bühne. Ganz nah dran. Ein Gerüst, ein große Stahlkonstruktion hängt da vor dir herunter und bildet durch Balken und Pfeiler einen Raum, der sich in mehrere kleinere Zimmerchen, Zellen, Kuben unterteilt. Aber es sind eben doch keine Zimmer, denn es gibt keine Wände dazwischen. Alles ist offen. Ein paar Stühle stehen herum, sonst nichts. Die Schauspieler treten auf, indem sie durch eine Öffnung im Boden der Bühne steigen oder indem sie von oben über eine eiserne Wendeltreppe herabkommen. Am Anfang lässt der Regisseur alle entscheidenden Personen auf einmal auftreten und verschmilzt verschiedene Szenen des ersten Aktes in einer einzigen. Es ist ebenso verwirrend wie genial: jeder, beschränkt auf sich selbst, nimmt eine dieser Zellen ein, sie sprechen durcheinander, sie rufen sich etwas zu, sie starren vor sich hin. Trotz der Offenheit der Räume wirken sie wie eingeschlossen und alles, was sie sagen, was sie sich zurufen, was sie tun, geht aneinander vorbei. Dann brechen diese Isolationen auf und das Stück geht in ein Nacheinander der Szenen über. Immer wieder dringen aus der Tiefe der Bühne, die man nicht sieht, gedämpfte Rufe, die man nicht versteht. Licht und Zwielicht, warmes und kaltes Licht wechseln einander ab und verstärken die Atmosphäre der einzelnen Szene und den Ausdruck der Schauspieler ungemein – gerade dadurch, dass die Bühne ansonsten so spartanisch gestaltet ist.
Es gibt allerdings auch zwei Punkte, wo ich mich kritisch zu der Umsetzung des Stückes äußern möchte. Das betrifft zum einen die Szene, in der Wurm Luise erpresst und ihr den Brief diktiert. Hierbei kommt es, wie im Text nicht einmal angedeutet, zu einem Übergriff, zu einer versuchten Vergewaltigung, von beiden Schauspielern grausam gut gespielt. Ich war so geschockt, dass ich gar nicht wusste, wie ich mich als Zuschauer dazu verhalten sollte. Aber ich empfand das auch als einen sehr übertriebenen, unnötigen Effekt, der dem Stück mehr geschadet als genützt hat. Vollkommen unverständlich ist mir aber geblieben, warum der Hofmarschall von Kalb mit so einem lauten Knall, so heldenhaft und blutig sterben muss! Von dieser Szene war ich dann wirklich enttäuscht, denn hier wurde der Text ganz auf den Kopf gestellt. Erstens: Woher nimmt der lächerliche Charakter plötzlich soviel Festigkeit und Courage her? Zweitens: Warum schenkt Ferdinand seinen Worten denn keinen Glauben? Warum überhört er denn das Geständnis des Hofmarschalls: "Sie sind ja betrogen"? Warum münzt er das Wort "Ihr eigener, leiblicher Vater" nicht auf seinen Vater, den Präsidenten, sondern auf den Stadtmusikanten? Eben! Weil der Hofmarschall eine unglaubwürdige Witzfigur ist. Drittens: Wie kann Ferdinand noch an dem zweifeln, was der Hofmarschall sagt, obwohl er tödlich verwundet ist? Ja, wie treffend sagt er doch an späterer Stelle: "Eine Lüge pflegt man doch sonst nicht auf diese Reise zu nehmen?" Nur, um ein bisschen Blut auf der Bühne zu verspritzen, hat hier die Regie viele unauflösbare Widersprüche und Unstimmigkeiten in Kauf genommen.
Nichtsdestotrotz ist die Aufführung wundervoll. Wer die Chance hat, sie zu sehen, wer in Düsseldorf oder in der Umgebung wohnt, dem sei gesagt: Nicht verpassen!