Hallo zusammen (staubabpustend)!
Wir (Khadija und Ham) haben den Film jetzt vor drei Tagen auch gesehen. Zunächst mal unsere Meinung zu dem, was bereits besprochen wurde:
ausserdem - von wegen fehdehandschuh: in der tat, blöder film. und noch viel blöderer regisseur mit völlig gestörtem frauenbild, der emotional erpresserische filme macht.
Dem Punkt mit dem gestörten Frauenbild in Bezug auf dogville stimmen wir ausdrücklich zu. Wie wir später ultimativ beweisen werden, ist Grace ein erschreckendes Beispiel für Valiummissbrauch. Wir wissen auch nicht so genau, was mit "emotional erpresserisch" gemeint ist und ob es zutrifft, gehen darauf aber später nochmal ein.
weil ich mich frage, was denn ach so innovativ an einer Inszenierung sein soll, die wie eine Abfilmung eines Theaterabends ist. Nur weil der Typ Lars von Trier ist und sich gut verkauft? Mir erscheint es wie Effekthascherei. Reduktion erscheint mir nicht neu, indem sie aufs filmische Areal gezerrt wird.
Wir sehen das ähnlich. Am Anfang wirkt das Konzept allerdings unserer Meinung nach durchaus reizvoll. Dieser Reiz nutzt sich aber schnell ab. Wir finden auch nicht, dass das Konzept des abgefilmten Theaters essentiell ist für die Geschichte des Films oder mehr darstellt als einen hübschen Effekt. Die Funktion der Reduktion verleiht dem Film keinerlei Impulse.
Was ich von dem Film selbst halte, ist schnell abgemacht: Misslungen. Ich finde die Geschichte absolut unspannend, weil absolut vorhersehbar. Weder die Demütigungen und Misshandlungen kommen überraschend, noch die Auflösung.
Dem stimme ich (Khadija) vollkommen zu. Ich hingegen (Ham) sehe das in einem Punkt anders: das Gespräch zwischen Grace und ihrem Vater fand ich interessant und originell, besonders seinen Vorwurf an die Tochter, diese sei arrogant. Auch die Tatsache, dass er ihr die freie Wahl lässt, ob sie zu ihm zurückkehrt, überraschte mich. Allerdings sehe ich weniger Gangsterfilme als Khadija und vermutlich auch als du und insofern sind hier meine Ansprüche geringer.
Die Idee der Theateroptik ist an sich nicht schlecht, aber dann verrät von Trier sie doch, in dem er auf das, was Theater auch ausmacht weitgehend verzichtet, nämlich die Gesamtschau. Meist verwendet er relativ nahe Kameraeinstellungen, die einer Hauptfigur folgen. Wie in jedem konventionellen Film, da wirken die Kreidestriche auf dem Boden dann doch eher albern. Welche Chance er da verschenkt wird klar, wenn er doch mal aufblendet und eine Gesamtschau von zumindest Teilen von Dogville bietet. Da sieht man nämlich, dass die Schauspieler durchaus agieren wie im Theater: Alle sind aktiv, und wenn nicht, gehört es zur Rolle in diesem Moment. Das ist sehr interessant, aber, wie gesagt, es wird so selten genutzt, dass einem das Ensemble fast leid tut. Soviel vergeblich Mühe.
Stimmt, aus diesem Konzept hätte man viel mehr machen können. Für uns blieb dieses abgefilmte Theater - eben durch den von dir kritisierten weitgehenden Verzicht auf die Gesamtschau - meistens weit hinter seinem eigentlichen Potential zurück.
Nichts ist an diesem Film originell, gar nichts, abgesehen von der Optik.
Hast recht. Bis auf wenige Ausnahmen, auf die wir noch eingehen werden, beschränkt sich der Film darauf altbekannte Versatzstücke anzuordnen.
Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass es um die auch eigentlich geht. Die Geschichte war da nur Beiwerk, und entsprechend lieblos runtererzählt.
Das Problem des Films ist weniger, dass er sich auf die Optik konzentriert, sondern dass die Geschichte an sich langweilig und unoriginell ist.
Selbstverstädlich ist der Film auch nicht ganz schlecht. So vorsehbar und tausendmalgesehen die Geschichte auch ist - es gibt schlechtere, und man hätte es sicher noch schlechter machen können. Und Nicole Kidman, James Caan und Stellan Skarsgård bei der Arbeit zuzusehen ist immer schön. Überhaupt ist die Besetzung beeindruckend und - wie bei einem solchen Ensemble nicht anders zu erwarten - die schauspielerische Gesamtleistung an diesen Plot regelrecht verschwendet.
Schlechter geht immer.
Was die Schauspieler betrifft, so gab es für uns nur wenige Lichtblicke. Der Junge (Jason) und zwei Bürger (Tom und Jack) gefielen uns. Aber prinzipiell sind die Rollen so eindimensional angelegt (grade Grace), dass gute Schauspielerei hier auch nicht viel retten kann.
Immerhin ist mir schon beim Sehen aufgefallen, dass er die erste Vergewaltigung sehr detailliert schildert, während er die Gewaltorgie zum Schluss ziemlich stilisiert. Aber vielleicht musste er das - eine große Blut und Gekröseparade am Ende hätte da wohl doch zu lächerlich gewirkt.
Gerade durch die Stilisierung wirkt das Ende albern und lässt uns völlig kalt. Die Schüsse klingen wie Platzpatronen und ein ganzes Dorf wird ausgelöscht, ohne dass auch nur ein Tropfen Blut spritzt. Zudem wirken die Figuren wie Pappmaché. Etwas Realitätsnähe hätte hier ein Mitfühlen mit den Figuren ermöglicht. So entsteht vor allem eine große Distanz.
Den Vorwurf, antiamerikanisch zu sein, obwohl er nie in Amerika war (habe ich auch mehrmals gelesen, den Vorwurf), mag ich Trier allerdings nicht machen. Erstens ist die Gesallschaft von Dogville nicht typisch amerikanisch, sondern typisch überall.
Sehen wir ganz genauso. Warum hier angeblich mit dem "American Way of Life" abgerechnet wird, ist uns völlig schleierhaft.
Mir gefällt vor allem erst einmal das formale Konzept des Films - die Vermischung von Theater und Kino.
Wir haben dazu ja schon etwas gesagt, aber sind immer noch ratlos, was dir daran eigentlich gefällt? Welche Verbesserung des Films wird eigentlich konkret durch dieses Konzept erreicht?
und ich muss auch zugeben, dass ich mich die erste halbe Stunde in "dogville" ziemlich gelangweilt habe. Aber, nach und nach, hat mich dann die Geschichte in ihren Bann gezogen und wurde immer unerträglicher - unerträglich spannend.
Wir haben uns nicht nur die erste halbe Stunde gelangweilt.
Aber unerträgliche Spannung? 8-o Dazu ist der Film doch viel zu vorhersehbar. Spätestens nach einer halben Stunde kann man doch mit großer Gewissheit fast bis ins Detail vorhersagen, was passieren wird.
Es ist eine sehr alte Geschichte, die hier erzählt wird, nicht ganz unähnlich dem Martyrium Christi. Nur das Ende weicht von der Passiongeschichte beträchtlich ab: nicht Tod und Auferstehung, nicht Ablass und Sündenvergebung, sondern Terror und Gewalt bietet von Trier seinem Zuschauer als Lösung des am Ende zwingend nach Auflösung verlangenden Zustandes an, in den er sich mit der Story manövriert hat.
Inwiefern ist das Handlungsschema
Mensch wird gequält und antwortet darauf irgendwann mit Gewalt denn neu? Sicher verlangt der Plot nach einer Auflösung und der Zuschauer muss Stellung beziehen. Aber die angebotene Auflösung ist durch ihre Radikalität dermassen platt, dass sie uns nicht grade zu moralischen Debatten angeregt hat.
Sag mal, charis, was speziell stört dich an dem Frauenbild von Lars von Trier, an diesen stilisierten Unschulds- und Marienbildern, an der Frau als Heilige und Märyterin, die an der Ungerechtigkeit der Welt zugrunde geht. Ist das Kitsch?
Das ist kein Kitsch, sondern ein extrem undifferenziertes, der Entwicklung der modernen Frau diametral entgegengesetztes Bild. Sicher, man darf und soll auch unzeitgemässe Filme machen, aber Lars von Trier bietet ein so unerstrebenswertes Bild eines naiven Dummchens an, dass sich unserer Überzeugung nach die deutlich überwiegende Zahl aller Frauen damit keinesfalls werden identifizieren wollen. Und das zu Recht.
Und, was meinst du genau mit "emotional erpresserische Filme" - ist das nicht der Sinn eines Films - Emotionen zu evozieren?
Klar soll ein Film Emotionen auslösen und unklar ist uns wie gesagt, was genau mit "emotional erpresserisch" gemeint ist, jedoch lockte der Film bei uns kaum Emotionen hervor: genauer gesagt schaute Ham ab Minute 110 fast ununterbrochen auf die Uhr und erhoffte das Ende des Films.
Wie schätzt ihr das überkritische Amerikabild dieses Regisseurs ein, der - anders z.B. als Wim Wenders, der jetzt mit "Land of Plenty" auch einen sehr guten und subtilen Film gemacht hat, der sich mit der Lage der amerikanischen Nation nach dem 11. September auseinandersetzt
(Hervorhebung von uns)
Wieso auch? Was vermittelt denn dieser Film, was er nicht selbst ganz deutlich ausspricht?
Nun noch ein paar eigene Punkte:
Erst mal zu den spärlich gesäten Wuchteln:
Dazu zählen Jasons Darstellung, als er von Grace geschlagen werden will (sehr überzeugend), Graces Rache, als sie die Kinder töten lässt und Vera anbietet aufzuhören, wenn sie die Tränen zurückhält (grausame Konsequenz, die den Bogen zu den von Vera zertrümmerten Figuren spannt), und Kapitel 3, "in dem Grace sich eine fragwürdige Provokation leistet" (Graces Charakter wird endlich mal gebrochen).
Kommen wir nun zu den ekligen Reibekuchen:
Bis auf wenige Ausnahmen handeln die Bewohner von Dogville viel zu undifferenziert und einheitlich. Erst sind alle skeptisch, dann mögen sie alle und dann nutzen sie alle aus. Alle Figuren erfahren, wenn auch nicht im genau gleichen Tempo, so prinzipiell doch exakt die gleichen Wandlungen. Dass sogar jeder Mann, bis auf Tom, Grace vergewaltigt, finden wir übertrieben und unglaubwürdig. Dadurch dass es wieder und wieder passiert, dachte ich (Khadija) irgendwann nur noch "nee, bitte nicht schon wieder".
Nächster Punkt: Wenn ich ein Hörbuch hören will, kauf ich mir ein Hörbuch: der Sprecher quasselt fast die Hälfte des Films und die meisten Dinge, die er sagt, sind unnötig und fallen in zwei Kategorien. Kategorie eins: ich sehe es eh schon („Grace lief die Strasse entlang“). Kategorie zwei: penetrante, viel zu ausführliche Schilderung von Graces Gefühlsleben („Grace dachte, Grace meinte…“).
Der Film ist überlang: 165 Minuten sind unangemessen, weil die Handlung absolut vorhersehbar ist (Grace darf überall helfen, Grace wird ausgenutzt, Grace wird erniedrigt) und nicht in epischer Breite erzählt werden muss. Es fehlt an jedweden überraschenden Plottwists. (findet Khadija; Ham findet einen: das Gespräch zwischen Grace und ihrem Vater)
Grace agiert einfach nur nervig und ist zur Identifikation völlig ungeeignet, weil sie übertrieben sanft und passiv handelt und sich naiv bis zur Dämlichkeit gibt.
Ein Beispiel dafür ist die unüberzeugende Liebesgeschichte zwischen Tom und Grace. Er hilft ihr nicht, als sie vergewaltigt wird, und selbst als sie bereits ans Rad gekettet ist, vertraut sie ihm grenzenlos. Das wirkt gegen Ende sogar völlig lächerlich, als sie ihm nach wie vor zutraut, ihr helfen zu können.
Nebenbei zu Tom: Es heißt an einer Stelle des Films, ihm täte das, was mit Grace geschieht (dutzendfache Vergewaltigungen) weh. Das nennen wir mal eine vernünftige und angemessene Reaktion und eine große Hilfe. :vogel:
Übrigens scheinen Grace die Vergewaltigungen nicht in dem Masse nahe zu gehen, wie es normal wäre. Beispiel: Nachdem Grace im Apfelfrachter von Ben vergewaltigt wird, meint der Sprecher "ihre Fähigkeit nach vorne zu sehen" würde Grace hier helfen das Geschehene sofort zu verdrängen. Wir zitieren hier mal Wikipedia um auch sehr deutlich zu machen, welche Verharmlosungen Lars von Trier hier begeht:
Zu den physischen Folgen der Vergewaltigung und der Gefahr, durch Geschlechtskrankheiten angesteckt oder ungewollt schwanger zu werden, kommt häufig eine langfristige psychische Schädigung des Opfers (psychisches Trauma).
Die Reaktion kann bis zu schweren Depressionen, Psychosen, Schuldgefühlen, Angstzuständen, Panikattacken und Suizidversuchen oder vollendetem Suizid reichen, jedoch ist die Schwere der Reaktionen sehr individuell und nicht bei allen Betroffenen gleichartig.
Während einige Opfer auch ohne spezielle Betreuung zu einem normalen Leben zurückfinden, gelingt es anderen langfristig nur durch eine Psychotherapie, die Vergewaltigung zu verarbeiten. Besonders bei sehr jungen, aber auch zahlreichen erwachsenen Opfern ist eine vollständige Heilung der psychischen Wunden auch durch Therapien nicht oder nur sehr schwer möglich. Daher ist es beim Umgang mit Betroffenen wichtig, offen für die individuellen Bedürfnisse zu sein, ohne durch Erwartung einer bestimmten Reaktion Druck aufzubauen.
Nun noch einmal zu dem bereits mehrfach angesprochenen moralischen Dialog zwischen Grace und ihrem Vater: Dieser ist interessant (nach Hams Meinung), sorgt aber ( nach unser beider Meinung) für eine solch` unvermittelte, 100%ige Wandlung von Grace zum Racheengel, auf die vorher nichts hindeutet, dass die Konsequenzen dieses Dialoges total unglaubwürdig anmuten.
Zum Schluss noch einige praktische Fragen:
Warum flieht Grace gerade morgens, wo es sofort auffällt? Warum gibt sie ihrem Fluchthelfer Ben nicht erstmal nur die Hälfte des Geldes? Warum braucht sie überhaupt einen Fluchthelfer und flieht nicht nachts alleine die Strasse ins Tal hinunter (sie hätte immerhin einige Stunden Vorsprung)? Warum denkt sie nicht eine Sekunde an Selbstmord oder ruft, in Anbetracht des Martyriums, dass sie erleiden muss, ihren Vater an, damit er ihr hilft (sie weiß ja, dass er ihr nichts tun will)?
Wäre cool, wenn uns das alles irgendeiner mal erklären würde.
Liebe Grüße aus dem Oachkatzelschwoaf-land
Khadija und Ham
PS: Aber "Young America" hat Ohrwurmqualität. :rock: