Warum ich gerade Marx lese.

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 01.10.2008, 15:20

Ich glaube, indem man Bush die Schuld für diese Finanzkrise gibt, schafft man eine neue Metapher, nämliche eine Art „Personenkult“, der am Ende wieder von den realen, ökonomischen Ursachen ablenkt und zum Multiplikator medial wirksamer Unwissenheit wird.

Zum einen: Bush entscheidet nicht allein, er sitzt in einem politischen Bienenstock, in dem es nur so summt. Dort hockt er in seinem Kokon, umgeben von Beratern und Dronen, die sich um ihn kümmern, und Honigtropfen der Wirklichkeit in seine Augen tröpfeln, während er „seine“ Entscheidungen von einem Teleprompter abliest.

Zum anderen: Bush repräsentiert ein Amerika, das zumindest zum Teil genauso ist wie er. Ein Homer Simpson in Anzug und Krawatte, der Kredite aufnimmt ohne an Morgen zu denken und lieber auf seiner Farm mit Hunden herumtollt, als Probleme zu lösen. Er macht seinen Job: Er konzentriert auf seine Person die Wut und die Schuldzuweisungen aus dem In- und Ausland und er macht diesen Job glänzend, das muss man ihm lassen.



womöglich hast du recht, dass es unpassend ist, an bush alles festzumachen. für mich steht er nun aber für die politik der letzten 8 jahre.
bush ist eigentlich eine ehrliche haut. ein raubein, kein charmeur und erst recht kein stratege oder großer manipulator. seine lügen sind - wenn man darin geschult ist - sehr leicht als solche zu erkennen, er ist ein furchtbar schlechter lügner.

doch gerade das macht ihn auch wieder ein wenig sympathisch: diese tollpatschigkeit.

und wenn ich ehrlich bin: wer möchte schon seinen job machen? ich nicht ;)

(ich wäre aber gern ein sog. spindoc ;)

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon DerBaum » 01.10.2008, 19:52

Ich habe mir jetzt wirklich Gedanken gemacht und ich bin ganz zufrieden damit und lächle als hätte ich ein Staubtuch gegessen.
Die NATO muss militärisch eingreifen, ist
doch logisch.
Alle Banken müssen systematisch beschossen werden. Vor den Banken müssen Blauhelmsoldaten stehen, die Flugblätter an die verwirrten Passanten verkaufen (wer nicht kauft, bekommt kein Geld mehr). Der Natosicherheitsrat wird mit unglaublichen Mehrheiten aufwarten.
Und alles wird gut werden und wenn nicht, kann man immer noch sagen,
aber immerhin waren wir dabei B-) B-)
Wenn jemand auf der Stelle tritt und tut dabei niemanden weh, das ist ein schlechter Dichter

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 01.10.2008, 20:19

:rofl:
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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 03.10.2008, 22:42

George W. Bush: Nehmen Sie die embryonale Stellung ein!


das ist selbst für mich viel zu viel bushbashing.
aber der werte herr schirrmacher scheint mir ein streng emotionaler charakter zu sein, der mags gerne dramatisch.

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 06.10.2008, 01:35

Lob der Verschwendung: Alles muss raus!


man kanns also auch mit humor nehmen ...

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 10.10.2008, 19:14

Schon verrückt, was da gerade an der Börse passiert.
"du trittst da fast in die fußstapfen des unseligen dr goebbels und seiner zensur und verdammungsmaschine." (Ralfchen)

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 11.10.2008, 02:34

tja ... das riecht im moment schon deutlich nach der heiner-müllerschen "rache der toten indianer" (er zitierte damals, soweit ich mich entsinne, sein - und auch mein - idol john cage).
cage meinte, soweit ich weiß, die hippie-generation von 68 in den vereinigten staaten, in deren philosophie er die kulte der besiegten indianer wiederauferstehen sah ...

heute scheint der kommunismus/sozialismus, wiewohl eigentlich längst besiegt und bis auf wenige ausnahmen zum dinosaurier geworden, sich als idee (oder gar als notwendigkeit) ganz nach oben zu arbeiten durch das siegersystem; womit ich jetzt nicht auguren möchte, dass der 'sozialismus wird siegen werden' (<- r.m. schernikau), aber wie die hippies die gesellschaft auf ihre weise verändert haben, könnte auch jetzt unser weltfinanzsystem neu konstruiert werden (müssen).

also, dirk, sag mal als marx-experte: gibts nun einen paradigmenwechsel? ;-)




nachtrag & abschweifung:

http://www.youtube.com/watch?v=FGVwzzr99oI


abschweifung 2, cage again:

http://www.youtube.com/watch?v=1G8i9Iai1N0



p.s.: gefällt mir gut, unser thread hier. macht mich um einiges schlauer ...

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon DerBaum » 13.10.2008, 16:41

Leute ich mag euch trotz all der Gemeinheiten die ihr euch immer wieder einfallen lasst, alleine dass man hier
nicht den viel zu schnell fahrenden Mann aus Österreich erwähnt, ist mir schon sehr symphatisch...
Wenn jemand auf der Stelle tritt und tut dabei niemanden weh, das ist ein schlechter Dichter

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 13.10.2008, 18:36

Indem du ihn nicht erwähnst, hast du ihn erwähnt. :-D
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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon DerBaum » 13.10.2008, 21:46

die resettaste gefällt mir
Wenn jemand auf der Stelle tritt und tut dabei niemanden weh, das ist ein schlechter Dichter

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 20.10.2008, 17:00

Diese beiden Interviews fand ich ganz interessant:

"Konsum lenkt die Menschen ab"
Der amerikanische Linksintellektuelle Noam Chomsky über die Krise des Kapitalismus, die Rhetorik Barack Obamas und die Rolle der Religion in der US-Politik

http://www.spiegel.de/spiegel/inhalt/0,1518,582439,00.html

Meine Lieblingszitate aus diesem Interview:
Ich stelle nur nüchtern fest, dass diese Krise, wenn nicht ihrer Größe nach, so doch ihrer Natur nach, perfekt vorhersehbar war.

Konsum lenkt die Menschen ab. Die eigene Gesellschaft lässt sich schlecht mit der Armee kontrollieren, aber sie lässt sich durch Konsum ablenken.

Die Reaktion in Europa auf Obama ist eine europäische Selbsttäuschung.

Dieser ganze Wahlkampf handelt von rauschender Rhetorik, von Hoffnung, Wechsel, von allem Möglichen, nur nicht von Sachfragen.

Niemand sollte sich Illusionen machen. Die USA sind im Kern ein Einparteiensystem, und diese eine regierende Partei ist die Business-Partei.



"Getriebene in einem unmenschlichen System"
"Let's Make Money"-Autor Wagenhofer im Interview

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/interviewwagenhofer100.html

Auch hier ein paar Ausschnitte:
Tatsache ist, dass in den vergangenen drei Jahren all die Leute, mit denen wir gesprochen haben, diese Krise haben kommen sehen. Aber niemand hat etwas dagegen getan. Das ist für mich heute das Überraschendste. Das ist, als ob Sie im Auto sitzen und mit 200 Stundenkilometern durch die Gegend fahren. Je länger Sie das tun, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie einen Unfall provozieren. Gegen die Finanzkrise hat niemand etwas getan - wissend, dass sowieso immer die Allgemeinheit bezahlt. Dahinter steckt ein Konzept.

Es ist ein Drama unserer Gesellschaft, dass die klügsten Köpfe in diese Systeme geschickt werden, um dort das Geld zu vermehren. Und nicht dazu herangezogen werden, die Probleme der Gesellschaft zu bewältigen.

Die Banken werben: Lassen sie ihr Geld arbeiten. Aber das kann ja nicht funktionieren, weil Geld selbst nicht arbeiten kann, das müssen andere tun. Und das passiert meistens über Ausbeutung.

Die Kapitalmengen haben sich in den vergangenen Jahren so stark erhöht, dass einfach zu viel Geld da war. Und das Geld muss arbeiten, wie uns das die Banken suggerieren. Aber beim Arbeiten richtet es eben auch sehr viel Schaden an.



Und noch etwas von der humoristischen Seite betrachtet:

Von der Würde der Unschuld
Anmerkungen eines Kleinsparers nach vier Wochen Weltuntergang

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,584937,00.html


Gruß in die Runde!
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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 23.10.2008, 14:58

alle haben es kommen sehen?
nun ja ... ich kann mich da nicht ausnehmen.
was habe ich unternommen?
ich habe die leute mit aktien darauf hingewiesen, was ich für unausweichlich halte. gegen die krisis hab ich nichts getan. allerdings habe ich auch selbst weder zu profitieren noch etwas zu verlieren, daher tangiert mich das nicht so wie andere leute.
was mich tangiert, ist die lust zu verstehen, WAS da eigentlich vor sich geht, die struktur zu kapieren ...

heute fand ich folgenden artikel, vielleicht ist er auch für euch von interesse - übrigens mag ich diese seite sehr, die wissenslogs versammeln viele recht gute denker, die meisten sind wissenschaftsjournalisten (glaube ich), oder dozenten ...

Durch Mega-Rechenfehler zur Kreditkrise?


zum chomsky:
ja, den artikel kannte ich schon. hatte ich auch gern gelesen. er ist ein interessanter querkopf.

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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 17.11.2008, 03:51

Hab gestern "Let's make money" im Kino gesehen. Fand ich erklärungsmäßig bisher am aufschlussreichsten. Und erschütternd.

Er zeigt m.E. auch sehr deutlich, dass Deregulierung, Privatisierung und Kreditvergabe durch Weltbank und IWF mehr oder weniger Kontrollmechanismen amerikanischer Hegemonialbestrebungen sind.

Hintergrundmaterial gibt es auf der Website zum Film:
http://www.letsmakemoney.at/diefakten/emerging_markets.html

Der neue Spiegel, der morgen erscheint, dreht sich auch wieder um die Finanzkrise:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,590556,00.html

Darüber hinaus fand ich dieses Interview mit H.M. Enzensberger ganz interessant - vor allem, um den richtigen Blickwinkel auf die Ereignisse zu behalten:
http://wissen.spiegel.de/wissen/dokument/08/02/dokument.html?id=61822080

Da kam auch etwas zur Sprache, was wir hier schon angerissen hatten:
Jetzt wird man als Bankkunde dauernd angefleht: "Bitte, bitte, habt doch Vertrauen!" Diese eine Aufforderung ist natürlich selbstwidersprüchlich, so wie der Satz: Sei gefälligst spontan! Diese ganze Finanzkrise ist doch nicht gerade einem Mangel an Vertrauen geschuldet, sondern einer geradezu rührenden Leichtgläubigkeit. Wer seinem Bankberater vertraut hat, der ist jetzt arm dran.

Und es gibt eine Tendenz im Interview, auf die der Film "Let's make money" ebenfalls hinausläuft:
Es ist ein bisschen viel verlangt, dass ausgerechnet die Banker für die Moral zuständig sein sollen. Übrigens will auch der kleine Anleger eine saftige Rendite sehen.

Und auch einen Querverweis auf unseren Titel:
Wieso ehemalig? In meinem Werkzeugkasten finde ich nach wie vor die eine oder andere Brechstange aus der Werkstatt des Herrn Marx, die mir brauchbar scheint.

Aber das war schon immer so, und bisher hat sich dieses proteische Monster, das wir Kapitalismus nennen, noch jedes Mal aufgerappelt, weil es verdammt lernfähig ist und weil keine Alternative in Sicht ist.

Es hat sich doch herausgestellt, dass der Kapitalismus mit allen kann. Mit der Demokratie ebenso wie mit der Diktatur, mit dem Faschismus ebenso wie mit einer chinesischen Partei, die sich kommunistisch nennt. Offenbar ist die Reproduktion des Kapitals gegenüber dem herrschenden politischen Regime weitgehend indifferent.

Und noch ein Link:
http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,589504,00.html
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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon Glaukos » 17.11.2008, 11:59

hi dirk!

ja, den enzensberger fand ich auch erhellend. ich mag ihn als kritischen denker, er ist weit weniger "links" orientiert als man meinen könnte, zumindest wenn man der klassischen definition von links folgt.

meine eigene meinung zur finanzkrise hat inzwischen konturen gewonnen. eines ist gut an dieser krisis: ich habe begonnen, mir fragen zu stellen und auch informationen zu holen zu einem thema, das bislang eher ein blinder fleck war ...

meine zentrale interpretation ist inzwischen folgende:
auslöser: die bush-administration. wenn man sich ansieht, dass unter clinton die neuverschuldung gestoppt wurde und die bush-admin begann, nie dagewesene neue schuldenberge anzuhäufen, dann kann man darauf verweisen, dass die politik ein klima des kollektiven auf-pump-lebens auch anderen teilen der gesellschaft begünstigt hat.
ich wundere mich im übrigen noch heute, dass z.b. im web bar-kredite angeboten werden mit slogans wie, ich ironisiere: JEDER kriegt bei uns soviel knete, wie er haben will ...
allerdings kann ich nicht belegen, ob tatsächlich in den letzten jahren insgesamt mehr kredite vergeben wurden, insbesondere an unsichere kantonisten ...

der main point ist für mich aber etwas, das selten debattiert wird. ich las, das mckinsey schätzen, es gebe ein weltgesamtvermögen von ca 80 billionen euros. (europäische billionen, keine amerikanischen, also 80.000 milliarden)

nun war zu lesen, dass im zuge der finanzkrise 3 von diesen 80 billionen ... tja, was eigentlich? ... verschwunden, versickert sind? verbrannt worden sind? vernichtet?
manche experten glauben, dass das geld durchaus noch irgendwo zu finden wäre, dass sich, quasi verschwörungsmäßig jemand gesundgestoßen hat. ich halte das für weniger sinnig.
aber wie kann das geld denn dann verschwinden?

wenn man vom weltgesamtvermögen ausgeht, ist allerdings das wenigste wirklich in geld messbar und von daher nicht genau zu quantifizieren.
wenn ich einen van gogh gekauft habe für 50 millionen, dann kann ich der bank meines vertrauens sagen, hey leute, dafür musste ich 50 mille investieren, und sie werden dort, wenn ich das als sicherheit einsetzen möchte, grob schätzen, ob der preis noch zeitgemäß ist.
aber letztendlich werde ich erst dann den wahren gegenwärtigen preis feststellen, wenn ich versuche, das bild zu verkaufen. und wenn man sich die auktionserlöse ansieht, kann man immer wieder erkennen, wie stark die preise divergieren von den erwarteten.
kurzum, nichtgeldwerte lassen sich immer nur schätzen. die 80 billionen weltgesamtvermögen sind also auch nur eine schätzung.
meine theorie nun ist: in zeiten der krisis wie derzeit sinkt das weltgesamtvermögen deutlich, fällt um einige prozent ab. nichts wird hier verbrannt, nur der erwartungswert sinkt, weil die erwartungshaltung der leute in zeiten der krisis eher negativ ist. man denkt: aaaach, wenn ich jetzt versuche, das häusle zu verkaufen, wo niemand kaufen will, dann erziele ich einen schlechten preis ... und das wird vermutlich auch stimmen. (darum heißt es ja immer wieder, dass die wirklich erfolg-Reichen in der krisis kaufen.)
sobald das kollektiv aber wieder annimmt, dass die zukunft gar rosig aussehen wird, steigen auch wieder die bewertungen für die werte, und damit die weltgesamtwerte.

eigentlich sind, nach der gegenwärtigen risikoberechnung der banken, engpässe wie derzeit gar nicht denkbar. warum treten sie dennoch spätestens alle zehn jahre wieder auf?
vielleicht müsste man in die risikoberechnung/kreditvergabe mal einbeziehen, dass alle 10 jahre solch eine große krisis kommt, dass sie teil des spiels sein muss ...

man könnte folglich von einer weltstimmungslage sprechen, die wie die individuelle auch schwankungen ausgesetzt ist, und manchmal sieht die ganze welt eben einfach nur schwarz und ist depressiv.
gemessen wird diese positiv-negativ-laune dann unter anderem auch im barometer des weltgesamtvermögens.

und sinkt der weltknetepegel, weiß erstmal keiner warum. jeder bezichtigt jeden der schuld und weist sie von sich selbst. theorien von verbranntem geld machen die runde. aber ebensogut könnte man in phasen der stimmungsaufhellung von erfundenem geld sprechen. (möglich, das mit dem begriff einer blase gleichzusetzen - viel luft, wenig substanz)

in dieser logik wäre die gier-debatte umzumünzen in eine euphoriedebatte. und die vertrauenskrise-debatte müsste als depressions-debatte geführt werden (immerhin spricht man ja tatsächlich auch von einer wirtschaftlichen "depression")



also, das in etwa ist mein privates erklärungsmodell ... wieder habe ich versucht, es EINFACH zu halten und nicht herumzususen: oooohhhh, die welt ist soooo komplex.
gewiss sind die details saumäßig komplex, aber wenn man nur genügend weit abstand nimmt, muss sich auch ein einfacheres schema erkennen lassen ...

[) i r k
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Re: Warum ich gerade Marx lese.

Beitragvon [) i r k » 09.02.2009, 19:56

Update.

Ich hab mal wieder ein paar Zitate gesammelt, die ich auf die eine oder andere Art ganz treffend/pointiert fand:
Viele der Banken des westlichen Finanzsystems sind im Prinzip Zombies, lebende Tote. Sie sind praktisch pleite. Sehen Sie: Fast jede Anlage in der Welt - abgesehen von Staatsanleihen - hat in dieser Krise zwischen 30 und 50 Prozent an Wert verloren. In den Schwellenländern 70 Prozent. Der einzige Grund, warum die Banken nicht reihenweise insolvent gehen, ist, weil sie Papiere reihenweise nicht zu Marktpreisen bilanzieren - weil sie sagen, es gebe derzeit gar keinen Markt dafür. So rechnen sie mit Modellen und geben zu hohe Preise in den Büchern an. Viele Leute wollen das nur nicht wahrhaben, weil die Vorstellung tatsächlich zu erschreckend ist. Die Hoffnung ist, dass man so viel Liquidität in die Märkte pumpt, bis die Preise für diese Papiere sich wieder erholen und mit denen in den Büchern übereinstimmen. Und dann leben alle glücklich weiter - nur das wird nicht passieren.

Ich spreche lieber von Restrukturierung. Verstaatlichung impliziert, dass der Staat der Besitzer bleibt. Das wäre ein Desaster, zumal die Branche dann monopolisiert würde. Dabei ist es jetzt sehr wichtig, dass neue Banken gegründet werden, die vom Vertrauensverlust in die alten Geldinstitute profitieren. Man muss die Dinosaurier sterben lassen, wenn ihre Zeit gekommen ist - und die Welt neuen Lebensformen überlassen. 2009 ist ein großartiges Jahr, um eine Bank zu gründen – ich bin versucht, es selbst zu probieren.

Niall Ferguson im SPIEGEL-Interview
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,604682,00.html

Der Artikel ist besonders im Hinblick auf eines für mich wertvoll: Einerseits tut die Politik so, als entspräche sie der Forderung nach einer strengeren und verschärften Finanzkontrolle. Andererseits haben die USA und Europa den Banken als Folge der Krise gestattet, ihre Bilanzen "aufzublähen", wodurch das Ausmaß der Krise weiter verschleiert und "vertagt" werden konnte.
Die amerikanischen Hausbesitzer haben im vergangenen Jahr Werteinbußen von 3300 Mrd. $ hinnehmen müssen. Inzwischen übersteigen bei jedem sechsten Häuslebauer die Verbindlichkeiten den Immobilienwert, teilte der Datendienstleister Zillow.com in einem Bericht mit.

Laut dem Datendienstleister Realtytrac wurde im vergangenen Jahr bei 2,3 Millionen Immobilien die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Im Dezember kletterte die Zahl um 41 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.

Quelle: Financial Times Deutschland,
"US-Hausbesitzer verlieren 3300 Milliarden"

Und dann gab es ja kürzlich dieses nette Klassentreffen in Davos. Besonders prägnant fand ich dazu diesen Gastkommentar von Joseph Stiglitz in der FTD:
Beim Weltwirtschaftsforum zeigte sich, wie wenig Vertrauen die Führungseliten noch in die Effizienz der Märkte haben.

[...]

Ebenso auffällig war der Vertrauensverlust in die Märkte. In einer sehr gut besuchten Brainstorming-Sitzung wurden die Teilnehmer gefragt, welche Einzelursache wohl für die Krise verantwortlich wäre. Die deutliche Antwort lautete: der Glaube an die selbstkorrigierenden Märkte.

Das Modell von den sogenannten effizienten Märkten, wonach Preise alle verfügbaren Informationen vollständig und effizient abbilden, wurde ebenso scharf kritisiert wie die Inflationssteuerung. [...] Der Glaube der Zentralbanker, die Kontrolle der Inflation wäre notwendig und fast schon ausreichend, um Wohlstand sicherzustellen, stand eh nie auf einem gesunden Fundament. Durch die Krise verstärkte sich die Skepsis.

[...]

Einige amerikanische Finanziers wurden besonders hart angegriffen, weil sie trotz ihrer tatsächlichen Täterrolle die Meinung vertraten, auch Opfer zu sein. Besonders ärgerlich erschien, dass sie Regierungschefs weiterhin unter Druck setzen und massive Rettungsaktionen verlangen, weil andernfalls ein wirtschaftlicher Zusammenbruch drohe. Geld fließt nicht den Opfern zu, sondern den Verursachern der Probleme.

[...]

Die Krise wirft grundlegende Fragen über die Globalisierung auf, die eigentlich zur Streuung von Risiken hätte führen sollen. Stattdessen ermöglichte sie, dass sich die Fehler der USA wie eine ansteckende Krankheit auf der ganzen Welt ausbreiteten. In Davos ging die Sorge um, dass sich die westliche Welt aus dieser fehlerbehafteten Globalisierung zurückziehen könnte und darunter die armen Länder am meisten leiden würden.

Die Voraussetzungen waren allerdings nie für alle gleich. Wie hätten es Entwicklungsländer mit den US-Subventionen und Garantien aufnehmen sollen? Wie hätte irgendeines von ihnen seinen Bürgern die Idee vermitteln sollen, dass man sich gegenüber hoch subventionierten US-Banken öffnen sollte? Zumindest vorerst scheint die Finanzmarktliberalisierung vom Tisch zu sein.

Selbst wenn arme Länder bereit wären, Garantien für Spareinlagen abzugeben, wären diese Garantien weniger wert als jene der USA. Dies erklärt teilweise, warum kurioserweise jetzt Geld aus den Entwicklungsländern in die USA geflossen ist - wo doch die Probleme der Welt ausgingen. Entwicklungsländern fehlt es auch an den Ressourcen für massive Konjunkturprogramme.

Zu allem Übel zwingt der IWF die meisten Länder, die sich nun Hilfe suchend an ihn wenden, nach wie vor, ihre Zinssätze anzuheben und Ausgaben zu senken, was Abschwünge verstärkt. Die Banken aus den Industrieländern - vor allem solche, die Staatshilfe bekommen - scheinen, um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, sich über ihre Niederlassungen aus dem Kreditgeschäft in den Entwicklungsländern zurückzuziehen. Die Aussichten für die meisten Entwicklungsländer - auch für jene, die alles "richtig" gemacht haben - sind also düster.

[...]

Zu all diesen Sorgen gesellt sich noch die Angst, dass Schuldner, die den massiven amerikanischen Defiziten misstrauen, sowie Inhaber von Dollar-Reserven, die fürchten, Amerika könnte versucht sein, seine Schulden über den Weg der Inflation loszuwerden, ihre globalen Ersparnisse vermindert bereitstellen könnten.

Auch diejenigen, die den USA nicht unterstellen, sich ihrer Schulden absichtlich durch Inflation entledigen zu wollen, äußerten in Davos die Sorge, dass dies unabsichtlich geschehen könnte. Es war wenig Vertrauen in die Federal Reserve zu erkennen, die massive Anhäufung von Schulden und Liquidität zu bewältigen.

[...]

Amerika führte die Globalisierung an. Nachdem der Kapitalismus amerikanischer Prägung in Misskredit geraten ist, stellt sich die Frage, ob Amerika die Welt nun in eine neue Ära des Protektionismus führt.

Quelle: Gastkommentar von Joseph Stiglitz
"Der deprimierte Davos-Mensch"

Mir persönlich geht es im Augenblick so, dass ich diesen ganzen Pessimismus ein wenig nervig und übersteigert finde. Mich interessieren eigentlich Innovation und Lösungsansätze mehr als Untergangszenarien. Aber angesichts von Davos muss man sich auch die Frage stellen, ob die Führungseliten der Welt in der Lage sind, die Krise zu meistern. Die Rezepte sind umstritten und alles scheint jetzt in der Hand von Politikern/von Staaten zu liegen - und deren Kooperationsbereitschaft. Die Banken halten die Hände auf oder modellieren an den Bilanzen. Während die Zentralbanken die Zinsen weiter senken und immer mehr Geld in den Markt "pumpen", bleiben die Kreditmärkte weiter eingefroren, vgl.
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,605335,00.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,605940,00.html

Und: Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob schärfere Regulierung, staatliche Rettungsschirme und Investitionspakete eine Wirkung bei der Belebung der Märkte haben. Ich frage mich in der Tat, ob neue Schulden die Lösung für eine Krise sind, die durch Aufnahme von Schulden verursacht wurde. Staatliche gesteuerte Inflation scheint da tatsächlich das heimliche Lösungskonzept zu sein: Die Schulden von heute sind morgen durch Abwertung der Währung getilgt. Das kann man anzweifeln:
Das Konzept funktioniert wie folgt: Man nehme Geld, das man nicht besitzt, lasse es auf das Volk regnen, und überall sprießen öffentliche Bauten. Unter FDR entstanden 900.000 Kilometer neue Straßen, 77.000 neue Brücken und 285 zusätzliche Flugplätze. Unter Obama sollen Millionen neue High-Speed-Internet-Anschlüsse gelegt werden, die Krankenversicherungen bekommen moderne Computersysteme, und die Parkanlagen des Capitol Hill in Washington werden frisch begrünt.

Schade, dass Obama kein Vergleichsangebot aus Deutschland eingeholt hat. Das hiesige Konkurrenzprodukt kann sich durchaus sehen lassen. Es ist billiger und langlebiger als alles, was sonst im Markt der Krisenkonzepte geboten wird. Es stammt aus den fünfziger Jahren und heißt "Stabilitätskultur".

[...]

Obama ist ein Roosevelt ohne Weltkrieg. Die Staatsschulden, die er dem Land gerade aufbürdet, dienen keinem höheren Zweck als dem, den Kater der Amerikaner einmal mehr zu verschieben.

Obama lindert die Krise - indem er die nächstgrößere vorbereitet. Der Kater aber wird kommen.

Quelle: SPIEGEL-Online, "Was Obama von Deutschland lernen kann"
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,605537,00.html

Auch über die Bildsprache dieser Krise müssten wir noch mal genauer nachdenken: Kredit-"Blase", Geld "pumpen", Rettungs-"Schirme", Investitions-"Pakete". Angesichts von Milliarden- und inzwischen Billionen-Beträgen erscheinen mir diese Metpahern ein wenig verniedlichend. Wobei "ein wenig" noch ein wenig euphemistisch ist. Allerdings, welches Bild veranschaulicht treffend eine Steuerschuld von einer oder zwei oder drei oder ...n Billionen? Oder das Schicksal von zwei oder drei Millionen Amerikanern, die ihr Haus verloren haben und trotzdem mit soundsoviel Schulden dastehen?

Gruß,
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