Beitragvon Glaukos » 17.11.2008, 11:59
hi dirk!
ja, den enzensberger fand ich auch erhellend. ich mag ihn als kritischen denker, er ist weit weniger "links" orientiert als man meinen könnte, zumindest wenn man der klassischen definition von links folgt.
meine eigene meinung zur finanzkrise hat inzwischen konturen gewonnen. eines ist gut an dieser krisis: ich habe begonnen, mir fragen zu stellen und auch informationen zu holen zu einem thema, das bislang eher ein blinder fleck war ...
meine zentrale interpretation ist inzwischen folgende:
auslöser: die bush-administration. wenn man sich ansieht, dass unter clinton die neuverschuldung gestoppt wurde und die bush-admin begann, nie dagewesene neue schuldenberge anzuhäufen, dann kann man darauf verweisen, dass die politik ein klima des kollektiven auf-pump-lebens auch anderen teilen der gesellschaft begünstigt hat.
ich wundere mich im übrigen noch heute, dass z.b. im web bar-kredite angeboten werden mit slogans wie, ich ironisiere: JEDER kriegt bei uns soviel knete, wie er haben will ...
allerdings kann ich nicht belegen, ob tatsächlich in den letzten jahren insgesamt mehr kredite vergeben wurden, insbesondere an unsichere kantonisten ...
der main point ist für mich aber etwas, das selten debattiert wird. ich las, das mckinsey schätzen, es gebe ein weltgesamtvermögen von ca 80 billionen euros. (europäische billionen, keine amerikanischen, also 80.000 milliarden)
nun war zu lesen, dass im zuge der finanzkrise 3 von diesen 80 billionen ... tja, was eigentlich? ... verschwunden, versickert sind? verbrannt worden sind? vernichtet?
manche experten glauben, dass das geld durchaus noch irgendwo zu finden wäre, dass sich, quasi verschwörungsmäßig jemand gesundgestoßen hat. ich halte das für weniger sinnig.
aber wie kann das geld denn dann verschwinden?
wenn man vom weltgesamtvermögen ausgeht, ist allerdings das wenigste wirklich in geld messbar und von daher nicht genau zu quantifizieren.
wenn ich einen van gogh gekauft habe für 50 millionen, dann kann ich der bank meines vertrauens sagen, hey leute, dafür musste ich 50 mille investieren, und sie werden dort, wenn ich das als sicherheit einsetzen möchte, grob schätzen, ob der preis noch zeitgemäß ist.
aber letztendlich werde ich erst dann den wahren gegenwärtigen preis feststellen, wenn ich versuche, das bild zu verkaufen. und wenn man sich die auktionserlöse ansieht, kann man immer wieder erkennen, wie stark die preise divergieren von den erwarteten.
kurzum, nichtgeldwerte lassen sich immer nur schätzen. die 80 billionen weltgesamtvermögen sind also auch nur eine schätzung.
meine theorie nun ist: in zeiten der krisis wie derzeit sinkt das weltgesamtvermögen deutlich, fällt um einige prozent ab. nichts wird hier verbrannt, nur der erwartungswert sinkt, weil die erwartungshaltung der leute in zeiten der krisis eher negativ ist. man denkt: aaaach, wenn ich jetzt versuche, das häusle zu verkaufen, wo niemand kaufen will, dann erziele ich einen schlechten preis ... und das wird vermutlich auch stimmen. (darum heißt es ja immer wieder, dass die wirklich erfolg-Reichen in der krisis kaufen.)
sobald das kollektiv aber wieder annimmt, dass die zukunft gar rosig aussehen wird, steigen auch wieder die bewertungen für die werte, und damit die weltgesamtwerte.
eigentlich sind, nach der gegenwärtigen risikoberechnung der banken, engpässe wie derzeit gar nicht denkbar. warum treten sie dennoch spätestens alle zehn jahre wieder auf?
vielleicht müsste man in die risikoberechnung/kreditvergabe mal einbeziehen, dass alle 10 jahre solch eine große krisis kommt, dass sie teil des spiels sein muss ...
man könnte folglich von einer weltstimmungslage sprechen, die wie die individuelle auch schwankungen ausgesetzt ist, und manchmal sieht die ganze welt eben einfach nur schwarz und ist depressiv.
gemessen wird diese positiv-negativ-laune dann unter anderem auch im barometer des weltgesamtvermögens.
und sinkt der weltknetepegel, weiß erstmal keiner warum. jeder bezichtigt jeden der schuld und weist sie von sich selbst. theorien von verbranntem geld machen die runde. aber ebensogut könnte man in phasen der stimmungsaufhellung von erfundenem geld sprechen. (möglich, das mit dem begriff einer blase gleichzusetzen - viel luft, wenig substanz)
in dieser logik wäre die gier-debatte umzumünzen in eine euphoriedebatte. und die vertrauenskrise-debatte müsste als depressions-debatte geführt werden (immerhin spricht man ja tatsächlich auch von einer wirtschaftlichen "depression")
also, das in etwa ist mein privates erklärungsmodell ... wieder habe ich versucht, es EINFACH zu halten und nicht herumzususen: oooohhhh, die welt ist soooo komplex.
gewiss sind die details saumäßig komplex, aber wenn man nur genügend weit abstand nimmt, muss sich auch ein einfacheres schema erkennen lassen ...